Samstag, November 23

Frank Auerbach floh als Kind vor den Nazis aus Deutschland nach London. Dort stürzte er sich als junger Mann in die Malerei, die auch ein Mittel zur Verdrängung war. Auerbachs Porträts zeichnen sich durch eine einmalige Vielschichtigkeit aus. Weswegen seiner Malerei etwas Skulpturales eignet.

Noch während seines Studiums am Royal College of Art übernahm der britische Maler Frank Auerbach ein Atelier seines Studienfreundes Leon Kossoff im Londoner Stadtteil Camden. Dort entstand seit Mitte der fünfziger Jahre mit aussergewöhnlicher Konsequenz und Produktivität sein individuelles Werk, das sich vom Geheimtipp zu einer gefeierten Position entwickelte.

Als die Galeristin Helen Lessore ihm bereits 1956 eine erste Einzelausstellung ausrichtete, wurde Auerbachs pastose Malweise von einigen Kritikern moniert. Der bedeutende Kunstkritiker David Sylvester jedoch schrieb, es handele sich um die aufregendste und beeindruckendste Einzelausstellung eines englischen Malers seit Francis Bacon im Jahr 1949. Sylvester feierte die physische Struktur der Bilder Auerbachs, denen er etwas Skulpturales attestierte.

Bilder wie Halbreliefs

Zunächst an einer Theaterlaufbahn interessiert, hatte sich Auerbach rasch in die Malerei gestürzt. Eine wichtige Voraussetzung für diese Berufswahl war die intellektuelle und ideologische Freiheit, die er in dem von einer deutsch-jüdischen Quäkerin geführten Internat kennenlernte, wo er nach seiner Flucht aus Berlin gelandet war. Seine Eltern hatten ihn 1939, mit nicht einmal acht Jahren, nach London in Sicherheit geschickt, sie selber wurden später von den Nazis ermordet. Wie es ihnen zuletzt in Berlin ergangen war, hat Auerbach nie herauszufinden versucht, er verdrängte das Unabänderliche durch konzentrierte Arbeit.

Zunächst entstanden kompositionell strenge, figurative Bilder mit dreidimensionalen Oberflächen, für die zahllose Farbschichten bis an die Grenzen der Belastbarkeit des Bilduntergrunds aufgetragen wurden. Auf diese Weise wurden die Porträts beinahe zu Halbreliefs, Stirn und Nase beispielsweise treten auf diesen Werken deutlich hervor. Ende der sechziger Jahre vollzog Auerbach eine stilistische Änderung: Statt sukzessiv Farbe zu schichten, schabte er die Farbe nach jeder Porträtsitzung wieder von der Leinwand ab, so dass das restliche auf dem Bild verbliebene Material Ausgangsbasis für einen erneuten Farbauftrag wurde.

Ziel des langen Prozesses war es, die Präsenz der Person in der Farbe zu spiegeln, wobei physiognomische Ähnlichkeit eine durchaus untergeordnete Rolle spielte. Entscheidend ist der Akt des Malens selber. Die langwierige Art der Bildproduktion verhinderte eine expressive Darstellungsweise. Auerbachs malerische Analysen, häufig in intimen Bildformaten, lassen stets den Akt des Farbauftrags und zugleich die Reduktion und Selektion eines reflektiert arbeitenden Künstlers erkennen.

Die Intensität von Auerbachs Wahrnehmung fordert auch vom Betrachter aktives Sehen im Wechsel von Nähe und Distanz. Dann erst erschliesst sich der dynamische Prozess der Herstellung, der den Eindruck vermeintlicher Unmittelbarkeit ablöst.

Grosser Arbeitsfuror

Neben den Porträts gibt es von Auerbach auch Bilder von Gebäuden und Stadtlandschaften, für die er zuvor Skizzen angefertigt hatte. Auerbach hat beispielsweise für das 1967/68 entstandene Gemälde «Primrose Hill», den in seinem Werk häufig auftauchenden Park in unmittelbarer Nachbarschaft seines Ateliers, mehr als fünfzig lockere und präzise Zeichnungen zu allen Jahres- und Tageszeiten gemacht. All die unterschiedlichen Stadien fliessen ein in ein Gemälde, das er, wie die erwähnten Porträts, immer wieder ausgekratzt und übermalt hat.

Auerbachs Arbeitsfuror und das Gefühl, in London seine Heimat gefunden zu haben, waren seine Rettung. Von den eher erdigen Tönen des Frühwerks hat er in späteren Jahren zur Leuchtkraft intensiver Farben gefunden. Seine Motive blieben stets die gleichen Menschen und Ecken Londons, der Stadt, die er kaum je verlassen hatte.

Nach Deutschland ist er, trotz zahlreicher Retrospektiven, die ihm in den letzten Jahren gewidmet wurden, nie mehr zurückgekehrt. Am 11. November ist Frank Auerbach in seinem Londoner Haus gestorben.

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