Montag, November 17

Frankreichs Präsident hat mit François Bayrou einen engen Vertrauen zum Regierungschef ernannt. Für Bayrou ist dies die Krönung seiner politischen Karriere – und eine schier unmögliche Aufgabe.

Also doch: François Bayrou. Die Ernennung des neuen französischen Regierungschefs war mit Spannung erwartet worden, doch eine Überraschung war sie nur bedingt. Denn auf diese Krönung seiner langen politischen Karriere hatte der aus den Pyrenäen stammende Zentrumspolitiker lange gewartet.

Bayrou gehört zwar einer kleinen Partei, dem Mouvement démocrate (Modem) an. Aber sein Name ist in Frankreich gut bekannt. Er war in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder gefallen, wenn es darum ging, einen neuen Premierminister zu finden. Noch länger ist Bayrou, der stets die provinzielle bürgerliche Mitte repräsentierte, eine Schlüsselfigur der französischen Politik, die kein Staatschef ignorieren konnte. Immer wieder versuchte er, es ganz an die Spitze der Macht zu schaffen und scheiterte dabei. Böse Zungen hatten ihn sogar schon abgeschrieben, schliesslich ist Bayrou bereits 73 Jahre alt.

Der letzte Joker?

Doch Bayrou ist vielleicht die letzte Karte, die Emmanuel Macron in der gegenwärtigen Regierungskrise noch als Joker ausspielen konnte – mit dem Ziel, zumindest ein wenig Vertrauen in die Staatsführung wiederherzustellen. Laut den ungeduldigen französischen Medien, die in den letzten Tagen jedes Augenzwinkern des Präsidenten als Hinweis auf seine Entscheidung interpretierten, hatte Macron seinen Mentor Bayrou mehrfach angerufen und auch zu Gesprächen in den Élysée-Palast eingeladen. Es wäre daher eine echte Überraschung gewesen, wenn Macron zuletzt doch jemand anders aus dem Hut gezaubert hätte.

Einen idealen Kandidaten für die Aufgabe, nach dem von der Opposition erzwungenen Rücktritt von Michel Barnier eine Regierung zu bilden, gab es angesichts der vertrackten politischen Kräfteverhältnisse in der Nationalversammlung nicht. Dort existiert keine regierungsfähige Mehrheit. Wie sich im Fall des Ex-Premierministers Barnier gezeigt hat, kann jede Minderheitsregierung nur dank der gnädigen Duldung der Rechten oder eines Teils der Linken überleben.

Chiracs Rivale, Sarkozys Gegner

Für Bayrou sprachen daher nicht am meisten positive Argumente, sondern die Tatsache, dass sein Name am wenigsten negative Einwände oder Reaktionen auslöste. Er erregt sowohl links wie rechts weniger Anstoss als andere und ist bekannt dafür, dass er «mit allen reden» kann. Noch mehr als der gleichalterige Barnier hat er eine lange Erfahrung in der Diskussion mit Freunden und Gegnern und dies im Parlamentsbetrieb, auf lokaler Ebene wie auch auf Ministerebene.

Bayrou wurde 1951 im französischen Baskenland Béarn geboren, wo er verwurzelt blieb. Er studierte Literatur, wurde dann an einem Collège Mittelschullehrer. Seine politische Karriere begann schon als Jugendlicher in der damaligen Mitte-Partei «Centre des démocrates sociaux», in der er rasch in Führungspositionen aufstieg. Nach lokalen und regionalen Wahlsiegen eroberte er 1986 ein erstes Mandat als Abgeordneter. Von 1993 bis 1997 war er Erziehungsminister, danach EU-Abgeordneter und jeweils Vorsitzender seiner Partei der Mitte. Seit 2014 ist er zudem Bürgermeister der Stadt Pau, die unweit seines Geburtsorts liegt.

Als Chef und Kandidat der Zentrumsdemokraten wurde er im bürgerlichen Lager zum wichtigsten Konkurrenten des Neogaullisten Jacques Chirac. Drei Mal versuchte es Bayrou mit einer Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen. Dass er 2012 beim zweiten Wahlgang den Sozialisten François Hollande unterstützte und nicht Chiracs Nachfolger Nicolas Sarkozy, hat Letzterer ihm nicht verziehen. Ab 2016 setzte er alles auf die Karte Macron und gewann in dessen Schatten ebenfalls an Zuspruch. Er genoss den Ruf des «Königsmachers».

Nur fünf Wochen Macrons Minister

Nach Macrons Triumph durfte er als Belohnung einen Spitzenposten erwarten. Er wurde nicht Regierungschef, aber doch Justizminister. Allerdings musste er – wie zwei andere Ministerkollegen seiner Partei Modem (Mouvement démocrate) – nach nur fünf Wochen im Amt in den Ausstand treten. Die Justiz ermittelte wegen Unterschlagung von EU-Geldern gegen ihn. Er soll Mittel, die der Bezahlung von parlamentarischen Assistenten dienen sollten, indirekt für die Parteifinanzierung abgezweigt haben.

Bayrou wurde im Februar 2024 freigesprochen und darf sich auf die Unschuldsvermutung berufen. Da die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat, bleibt die gerichtliche Verfolgung wie ein Damoklesschwert über seiner Person. Seit vier Jahren musste sich Bayrou deswegen als Chef des in einer wirtschaftsliberalen Republik anachronistisch anmutenden «Plankommissariats» gedulden. Oft bekam er am Fernsehen von politischen Journalisten die etwas hämisch klingende Frage zu hören, wozu er eigentlich als «Chefplaner» diene.

Aus diesem Grund zweifelten viele bis zuletzt daran, dass Macron Bayrou aus seiner bisherigen Rolle als graue Eminenz ins Rampenlicht befördern würde, wo er Angriffen von allen Seiten ausgesetzt sein wird. Macron geht das Risiko ein, dass der neue Regierungschef schon demnächst vor dem Berufungsgericht vorgeladen wird. Wahrscheinlicher aber ist es, dass Bayrou angesichts der politischen Ungewissheit und der langsamen Verfahren in der Justiz bei der nächsten Prozessrunde schon nicht mehr im Amt sein könnte.

Die ihm jetzt übertragene Mission, Frankreich aus der politischen Krise zu führen, ist ohnehin schwierig bis unmöglich. Schon in den ersten Kommentaren zu seiner Ernennung stellte das rechtsnationale Rassemblement national Forderungen als Bedingung für eine Schonzeit. Die extreme Linke von Jean-Luc Mélenchon hat dagegen bereits erklärt, Bayrou beim ersten möglichen Misstrauensvotum wie Barnier stürzen zu wollen.

Als Erstes muss Bayrou nun ein Kabinett formen, das in der Assemblée nationale möglichst viel Rückhalt erhält. Anders als sein Vorgänger Barnier wird Bayrou vermutlich versuchen, eine Mehrheit zu finden; dafür braucht er aber nicht nur die anderen Parteien der Mitte, sondern auch die moderaten Linken und die Konservativen. Viel Zeit hat er nicht, über den Entwurf des Sondergesetzes für den Staatshaushalt 2025 muss noch vor Ende Jahr im Eilverfahren abgestimmt werden.

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