Sonntag, Oktober 6

Die französischen Justizbehörden wollen den russisch-französischen Internetunternehmer nicht so schnell laufen lassen. Derweil gibt es wilde Spekulationen, welche Beziehung er zur französischen Staatsspitze pflegt. Denn bei Durows Einbürgerung hat diese wohl die Finger im Spiel gehabt.

Nach fast viertägiger Polizeihaft ist der russisch-französische Internetunternehmer Pawel Durow gegen Kaution auf freiem Fuss. Ein Richter entschied am Mittwochabend, dass Durow das Gefängnis gegen eine Garantie von 5 Millionen Euro verlassen darf. Es ist ihm allerdings untersagt, Frankreich zu verlassen. Zudem muss er sich zweimal pro Woche bei einer Polizeistelle melden. Denn die französischen Behörden haben entschieden, ein Ermittlungsverfahren gegen Durow zu eröffnen. An dessen Ende wird entschieden, ob Anklage erhoben wird.

Anlass zu wilden Spekulationen

Die Festnahme des 39-jährigen Pawel Durow am Samstagabend bei seiner Ankunft auf einem Flughafen bei Paris hatte eine Welle von Spekulationen und Gerüchten ausgelöst. Zwar musste dem Gründer der russischen, aber inzwischen weltweit von rund einer Milliarde Nutzern verwendeten Kommunikationsplattform Telegram bekannt gewesen sein, dass seit längerem ein Haftbefehl der französischen Justizbehörden gegen ihn vorlag. Diese wollten ihn befragen, weil Telegram von kriminellen Kreisen und auch terroristischen Organisationen wie dem IS eingesetzt wird, ohne dass die Verwalter der Plattform etwas dagegen unternehmen. Aber vermutlich hatte Durow sich nicht vorgestellt, dass ihn die Polizei am Samstagabend auf dem Pariser Flugplatz Le Bourget bei der Ankunft aus Aserbaidschan erwarten und zu einer mehrtägigen Einvernahme abführen würde.

Laut der satirischen Wochenzeitung «Le Canard enchaîné» hat der völlig überraschte Durow gegenüber den Beamten behauptet, er werde von Emmanuel Macron im Élyséepalast zu einem Treffen erwartet. Der französische Staatschef dementierte dies umgehend mit dem Hinweis, er sei am Samstag gar nicht in Paris, sondern wie häufig am Wochenende in Le Touquet gewesen. In der Gemeinde am Ärmelkanal besitzt die Familie seiner Frau ein Haus.

Es ist indes allgemein bekannt, dass Macron von Internetunternehmern im Stil von Mark Zuckerberg oder Elon Musk fasziniert ist und sie auch gelegentlich empfängt. Laut Informationen der Zeitung «Le Monde» hatte Macron auch Durow früher mehrmals getroffen. So beispielsweise 2018 zu einem Arbeitsessen, das in der offiziellen Agenda des Präsidenten nicht aufgeführt war. In jüngerer Vergangenheit aber habe Durow keinen Termin in Paris gehabt.

Der Fall regt auch Anhänger konspirativer Theorien an, die mehrere Falschmeldungen verbreiteten. Demnach soll Macron den Internetunternehmer mit einer Einladung in die Falle gelockt haben. Oder aber Durow habe in Polizeigewahrsam gebracht werden wollen, weil er sich angeblich vom russischen Geheimdienst, mit dem er nie kooperieren wollte, bedroht gefühlt habe.

Die Beziehungen Durows zu Putin und seinem Nachrichtendienst FSB sind komplex. 2014 flüchtete Durow offiziell aus Russland. Er wohnt seither in Dubai, aber seine Plattform wird sowohl von Oppositionskreisen wie auch von der staatlichen Propaganda benutzt. Sowohl die Regierung wie Putin-Kritiker haben sich über die Festnahme von Durow und eine Gefährdung der Freiheit auf Telegram empört.

Einigermassen plausibel tönt der Hinweis, Durow gehe wegen Telegram grosse Risiken ein, weil diese Kommunikations-App von russischen Ministern und Spitzenbeamten, aber auch vom russischen Militär bei der Organisation und Koordination der Offensive gegen die Ukraine benutzt werde. Falls Durow also, entgegen seiner bisherigen Weigerung, einer europäischen Behörde Daten und Informationen oder den Zugang zur Verschlüsselung bei Telegram gebe, könnte dies für Moskau und die Fortsetzung des Kriegs gegen die Ukraine fatale Folgen haben.

Einbürgerung per Express

Was Durow in der aussergewöhnlich langen polizeilichen Befragung gesagt hat, bleibt ein Amtsgeheimnis. Zu Beginn seiner Haft hatten seine Anwälte versichert, ihr Klient wolle mit den französischen Justizbehörden nicht kooperieren. Die Vorstellung, dass der Gründer der grundsätzlich völlig unzensurierten Internetplattform dafür verantwortlich sei, was in den geheimen Kanälen von Telegram vorgehe, sei «absurd», teilte das Unternehmen Telegram mit. Allein die Tatsache, dass die Verhöre fast die gesetzlich zugelassenen 96 Stunden gedauert haben, kann auch als Versuch der Justiz gewertet werden, in exemplarischer Weise den Magnaten der Digitalwirtschaft, die sich über die nationalen Gesetze erhaben fühlen könnten, eine Warnung zukommen zu lassen.

Zu reden gegeben haben in Frankreich auch die sehr speziellen Umstände, unter denen Durow 2021 die französische Staatsbürgerschaft erhalten hatte. Wie «Le Monde» 2023 herausfand, hatte Durow, der keines der Kriterien einer normalen Einbürgerung erfüllte, den französischen Pass im Eilverfahren dank einer speziellen Prozedur erhalten, die (ausschliesslich Französisch sprechenden) Persönlichkeiten für besondere Leistung zugunsten Frankreichs und seiner «Ausstrahlung» vorbehalten ist. In welcher Weise Durow sich um Frankreichs Interessen verdient gemacht hat, sagt das für Einbürgerung zuständige Aussenministerium nicht; man beruft sich auf das Amtsgeheimnis.

«Le Monde» kommt zum Schluss, dass dem Antrag nicht ohne Wissen des Staatschefs stattgegeben werden konnte. Durow wurde kurz danach auch erlaubt, auf seinem Pass den französischer klingenden Namen «Paul du Rove» eintragen zu lassen. So viele Gunstbezeugungen der Staatsspitze werfen Fragen auf – umso mehr wegen Durows strikter Weigerung, zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens, des Drogen- und Waffenhandels, des Terrorismus und der Verbreitung pädopornografischer Inhalte den Justizbehörden Informationen zu liefern. Das ist seit 2016 nicht nur Frankreich, sondern auch Deutschland und den USA ein Dorn im Auge.

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