Bisher sah der Westen von einer ständigen militärischen Präsenz in der Ukraine ab. Emmanuel Macron will nun Instruktoren entsenden. Das würde Kiew viel bringen – doch manche fürchten eine Eskalation.
Frankreichs Pläne, Ausbilder in die Ukraine zu entsenden, nehmen Form an. Wie die Zeitung «Le Monde» am Donnerstag unter Berufung auf anonyme Quellen berichtete, versucht die Regierung derzeit, eine Koalition aus freiwilligen Ländern zu bilden, um die ukrainischen Streitkräfte vor Ort auszubilden. Die Pläne sollen bereits nächste Woche kommuniziert werden, wenn Präsident Selenski anlässlich des 80. Jahrestags des D-Days nach Frankreich kommt.
Über das Ausmass der geplanten Operation ist bis jetzt wenig bekannt. Auch darüber, ob die Pläne tatsächlich existieren, gab es zu Beginn der Woche einige Verwirrung. Am Montag hatte der ukrainische Oberbefehlshaber Olexander Sirski auf Facebook geschrieben, er begrüsse die Initiative Frankreichs, Ausbilder in die Ukraine zu schicken, und habe bereits entsprechende Dokumente unterzeichnet.
Von französischer Seite gab es zunächst weder eine Bestätigung noch ein Dementi. Doch am Montagabend veröffentlichte das ukrainische Verteidigungsministerium auf der Plattform X eine Klarstellung. Es sei noch nichts entschieden, aber: «Im Moment befinden wir uns in Gesprächen mit Frankreich und anderen Ländern.» Bei seinem Besuch beim deutschen Bundeskanzler Scholz sprach der französische Präsident Macron von einer «unkoordinierten und unglücklichen Kommunikation».
Europa will Präsenz markieren
Wie «Le Monde» schreibt, sollen zunächst einige Dutzend Spezialisten entsendet werden, um den Ausbildungsbedarf zu ermitteln. In einer zweiten Phase soll eine Mission mit einigen hundert Soldaten folgen. «Es geht vor allem darum, einen solchen Schritt einmal auszuprobieren, um zu sehen, was möglich ist», glaubt der französische Politologe und Sicherheitsforscher Pierre Haroche. «Viel wichtiger als die Frage, was die Ausbilder genau machen, ist das Signal, das sie aussenden: dass Europa in der Ukraine präsent ist.»
Die Entsendung von westlichen Militärinstruktoren wäre kein Präzedenzfall. Seit die Briten im März 2015 als Antwort auf Russlands Aggression erste Ausbilder in die Ukraine schickten, unterhielten verschiedene Staaten ähnliche Missionen. Ein zentraler Ort dafür war der im Westen des Landes gelegene Truppenstützpunkt Jaworiw. Als Putins Truppen am 24. Februar 2022 im Nachbarland einfielen, zogen die Nato-Mitglieder ihre Soldaten ab.
Dennoch blieben kleinere ausländische Militärkontingente in der Ukraine. Letztes Jahr enthüllten die sogenannten Pentagon-Leaks, dass gesamthaft 97 Mitglieder von Spezialeinheiten aus Nato-Ländern vor Ort seien. Diese schützen primär Botschaften, beraten aber auch die ukrainischen Streitkräfte.
Auch die britische Mission läuft laut offiziellen Angaben aus London weiter, dabei würden etwa Sanitätstruppen geschult. Deutsche Offiziere sagten in einem von Russland geleakten Gespräch aber auch, London helfe den Ukrainern mit eigenen Soldaten zumindest punktuell bei der Bedienung von Marschflugkörpern des Typs Storm Shadow.
Geheimdienstler und Spezialisten, aber keine feste Präsenz
Allerdings verschwimmen oft die Grenzen zwischen Geheimdienst, Militär und Rüstungsfirmen. So hat die CIA in den letzten acht Jahren mit dem ukrainischen Militärgeheimdienst 14 Basen aufgebaut, über die ein regelmässiger Datenaustausch stattfindet. Die Amerikaner liefern laut «New York Times» beispielsweise Satellitenbilder oder Koordinaten für Raketenangriffe. Vereinzelt sind auch private Spezialisten vor Ort, etwa bei der Wartung der Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot.
Um Russlands Propaganda kein Futter zu liefern und die Risiken einer direkten militärischen Konfrontation einzuhegen, sahen Amerikaner wie Europäer bisher aber von einer ständigen militärischen Präsenz ab. Durch regelmässige Besuche eines Dreisternegenerals zur besseren Koordination in Kiew hat das Pentagon diese Haltung bereits Ende letzten Jahres relativiert.
Seither häufen sich nicht nur in Frankreich, sondern auch in Kanada, dem Baltikum, Polen und Skandinavien die Stimmen, die laut über die Entsendung von Instruktoren nachdenken. Deutschland lehnt dies zwar ab, zumindest im Rahmen der Nato. Doch «Le Monde» zitiert Quellen, laut denen auch Grossbritannien daran interessiert sein könnte.
Der Druck auf den Westen, sich direkter zu engagieren, ist da. Russland hat den Druck an der Front im letzten Halbjahr erhöht, während die Ukrainer ihre prekäre Personalsituation erst langsam durch eine besser organisierte Mobilisierung angehen. Sie haben die Nato deshalb gebeten, bis zu 150 000 Soldaten näher an der Front auszubilden, damit Verstärkungen rascher und flexibler eingesetzt werden können.
Bisher haben sich Mitglieder der Nato zwar an der Ausbildung beteiligt, allerdings nur im Ausland. Dafür wurden vor allem im Vorfeld der letztjährigen Gegenoffensive Zehntausende von ukrainischen Soldaten auf europäische und amerikanische Übungsplätze transportiert. Die komplizierte Logistik, die zeitliche Begrenzung der Ausbildung und der Graben zwischen Theorie und der Praxis auf dem Schlachtfeld gehörten zu den Gründen, dass Kiews Offensive scheiterte.
Eine Anwesenheit auf ukrainischen Truppenübungsplätzen, so die Hoffnung, würde den Austausch von Know-how zwischen westlichen und ukrainischen Militärangehörigen verbessern und die Ausbildung realitätsnäher gestalten. Zudem könnten Kosten gespart werden.
Eine Chance für Frankreich
Der amerikanische Generalstabschef Charles Q. Brown junior fürchtet aber, die USA könnten durch eine Entsendung in den Konflikt hineingezogen werden. Wenn westliche Truppen in Kampfhandlungen verwickelt oder im Hinterland durch Raketenangriffe getötet würden, stiege das Risiko eines Krieges mit Russland. Eine Attacke auf Nato-Soldaten könne den kollektiven Verteidigungsfall nach Artikel 5 auslösen. Die estnische Regierungschefin stellte einen solchen Automatismus aber in Abrede.
Dass allerdings auch Brown die Entsendung von Instruktoren als eine Frage der Zeit bezeichnete, deutet darauf hin, dass sich die Diskussionen im westlichen Verteidigungsbündnis primär darum drehen, wie diese möglichst risikoarm gestaltet wird. Eine «Koalition der Willigen» unter Frankreichs Führung könnte ein Weg dazu sein.
Für Macron wäre dies ein gesichtswahrender Kompromiss. Als er Ende Februar nach einem Treffen mit mehr als zwanzig Staats- und Regierungschefs die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nicht ausschloss, provozierte er einen Aufschrei und handelte sich eine Abfuhr aus Berlin und Washington ein. Derlei Reaktionen bleiben nach der jüngsten Ankündigung aus.
Für den Sicherheitsexperten Haroche könnte eine gemeinsame Ausbildungsinitiative auch ein Schritt der Annäherung Frankreichs an Osteuropa sein. «Für die Länder im Osten der EU war Frankreich über lange Zeit hinweg zu nachgiebig gegenüber Russland. Das will Macron ändern.» Im vergangenen Sommer hatte der Präsident erstmals eingeräumt, dass Frankreich den osteuropäischen Staaten, die vor dem Einmarsch Moskaus in die Ukraine gewarnt hatten, mehr Aufmerksamkeit hätte schenken sollen.
Macron steht bei seiner Ukraine-Politik unter Zugzwang: Laut Angaben der Regierung hat Frankreich der Ukraine in den Jahren 2022 und 2023 Militärhilfe im Wert von 3,8 Milliarden Euro geleistet. Damit hinkt das Land Deutschland (17 Milliarden Euro) und den USA weit hinterher. «Frankreich wird immer wieder dafür kritisiert, nicht genügend Waffen zu liefern», sagt Pierre Haroche. «Darum ist Macron jetzt froh, ein solches Signal senden zu können.»