Die neusten Entwicklungen

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat vor drei Wochen überraschend das Parlament aufgelöst. Die erste Wahlrunde findet am Sonntag statt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die neusten Entwicklungen

  • Die Wählerinnen und Wähler sind am Sonntag (30. 6.) in Scharen zu den Urnen geströmt. Um 17 Uhr lag die Wahlbeteiligung bei fast 60 Prozent. Vor zwei Jahren lag der Wert noch bei 39,42 Prozent. Laut dem Forschungsdirektor von Ipsos France ist es die höchste Wahlbeteiligung seit der Parlamentswahl 1986. Um 18 Uhr schliessen die Urnen in den Gemeinden und kleineren Städten, um 20 Uhr folgen jene in den Grossstädten.

Die Hintergründe

Die Stimmung in Frankreich ist nervös. Präsident Emmanuel Macron hat vor drei Wochen überraschend das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angeordnet. Macron reagierte damit auf die krachende Niederlage seiner Partei bei der Europawahl Anfang Juni. Der erste Wahlgang ist am Sonntag, der zweite in einer Woche.

Der Entscheid von Macron hat viele Franzosen wachgerüttelt. Im Vorfeld haben sich mehr als zwei Millionen Wählerinnen und Wähler eine Prokura besorgt, damit jemand sie bei der Stimmabgabe vertreten darf, weil sie selbst verhindert sind. Das sind fünfmal so viel wie bei der letzten Wahl 2022 – und deutet auf eine hohe Wahlbeteiligung hin.

Wie laufen die Wahlen ab?

Die Assemblée nationale wird im Mehrheitswahlrecht bestimmt. Das bedeutet, dass die Kandidaten mit den meisten Stimmen in den jeweiligen Wahlkreisen im zweiten Wahlgang zur Stichwahl antreten, derjenige mit den meisten Stimmen erhält den Sitz.

Für die Wahlen haben sich drei grosse politische Blöcke gebildet. Die konservativen Républicains hat die Frage nach einer Koalition mit dem RN gespalten. Rund 60 Kandidaten der Partei, unter ihnen der Präsident, sind ein Bündnis mit dem RN eingegangen. Der Rest tendiert zur Mitte.

Doch die Konservativen werden den Ausgang der Wahl nicht entscheiden: Die Parteien treten in drei grossen Blöcken an. Links steht der Nouveau Front populaire, welcher die vier massgeblichen linken Parteien vereint. In der Mitte haben sich Emmanuel Macrons Renaissance, Sympathisanten und die heimatlosen Konservativen positioniert. Rechts aussen steht das Rassemblement national, unterstützt von den abtrünnigen Konservativen.

In den Umfragen liegt das Rassemblement national deutlich vor dem Nouveau Front populaire, die Mitteparteien liegen abgeschlagen auf dem dritten Platz.

Erst nach dem zweiten Wahlgang am 7. Juli wird klar sein, ob im Parlament eine klare Mehrheit zustande kommt. Vermutlich wird in vielen Wahlkreisen die Stichwahl zwischen einem RN-Kandidaten, einem Mitte und/oder einem linken Kandidaten ausgemacht. Die Frage wird sein, wie stark die Bereitschaft und der Wille ist, sich gegen das RN zu verbünden und Kompromisse zu machen – sowohl bei den Kandidaten wie auch bei den Wählern.

Was hat zu den Neuwahlen geführt?

Das rechtsnationale Rassemblement national (RN) hat die Europawahl am 9. Juni in Frankreich deutlich gewonnen. Die Partei erhielt fast 32 Prozent der abgegebenen Stimmen und damit mehr als doppelt so viele wie Macrons Partei Renaissance. Für Macron, der sich als grosser Europapolitiker positioniert, war die Niederlage ein herber Schlag.

Kurz nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen wandte sich der französische Präsident mit einer Ansprache an sein Volk. Er habe die Botschaft der Wähler gehört und werde sie nicht unbeantwortet lassen. Das Parlament werde aufgelöst, Ende des Monats sollten Neuwahlen stattfinden. Er habe Vertrauen in die Fähigkeit des französischen Volkes, die richtige Entscheidung für sich selbst und künftige Generationen zu treffen.

Mit einem solchen Schritt hatte in Frankreich niemand gerechnet, vermutlich nicht einmal diejenigen, die in den vergangenen zwei Jahren wiederholt die Auflösung der Nationalversammlung gefordert hatten. Nach dem ersten Schock kam Bewegung in die Parteienlandschaft. Es dauerte keine vier Tage, bis sich die drei Blöcke herausgebildet hatten.

Warum hat sich Macron zu diesem Schritt entschieden?

Der Präsident hatte bis zum Tag der Europawahl darauf bestanden, dass europäische Wahlen auch nur europäische Konsequenzen hatte. Als er sich drei Tage später vor der Presse erklärte, brachte er die Lage im Parlament als Argument für seinen radikalen Schritt vor. Seit der letzten Parlamentswahl ist das Regieren für Macron mühsam geworden, weil seiner Partei eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung fehlte.

Immer wieder war die Regierung mit Misstrauensvoten konfrontiert, die aber nie erfolgreich gewesen waren. Macron sagte, dass er mit den Neuwahlen einem drohenden Misstrauensvotum in der Budgetdebatte im Herbst zuvorkommen wollte. Frankreich brauche politische Klarheit, sagte der Präsident.

Warum ist die Rechte in Frankreich so erfolgreich?

Macron hatte bei seiner Wahl zum Präsidenten versprochen, mit ihm an der Spitze werde es keine Gründe für die Wahl rechtsnationaler Parteien mehr geben. Doch die Gruppe um die ehemalige Parteichefin des RN, Marine Le Pen, wird immer stärker. Die Unzufriedenheit mit dem Präsidenten ist bei vielen französischen Wählern gross. Laut einer Umfrage der Universität Sciences Po vom Februar vertraut nur jede dritte Person in Frankreich der Politik. Knapp 70 Prozent bezweifeln, dass die Demokratie in Frankreich grundsätzlich funktioniert.

Le Pen spricht das Misstrauen der Bevölkerung an, indem sie sich als Stimme des Anti-Establishments positioniert. Zudem hat sie in den vergangenen Jahren ihre Partei thematisch geöffnet: Sie versuchte sich als Fürsprecherin der Gelbwesten zu positionieren (was ihr nicht gelang) und kämpfte an vorderster Front gegen die von Macron durchgedrückte Rentenreform.

Le Pen ist es gelungen, ihre Partei bis weit in die bürgerliche Mitte hinein wählbar zu machen. RN-Politiker sind bemüht, ihre Ansichten als weniger radikal erscheinen zu lassen.

Was passiert mit Macron, wenn seine Partei bei den Wahlen verliert?

Da der Präsident in Frankreich direkt gewählt wird, ist Macrons Position vom Wahlergebnis nicht betroffen. Er ist noch bis 2027 im Amt und schloss bisher einen frühzeitigen Rücktritt aus. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings hoch, dass er künftig mit einer Regierungschefin oder einem Regierungschef aus einer anderen Partei zusammenarbeiten muss.

In Frankreich war es bisher oft so, dass die Partei des Präsidenten auch die stärkste Kraft im Parlament ist und somit den Premierminister stellt. Eine sogenannte Cohabitation, also einen Premierminister und einen Präsidenten aus verschiedenen Parteien, gab es in der Fünften Republik erst drei Mal.

Der Premierminister bestimmt das politische Tagesgeschäft. Gewinnt eine andere Partei als Renaissance eine Mehrheit im Parlament, könnte Macron nur noch in der Aussenpolitik und bei der Verteidigung den Takt vorgeben.

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