Seit 1974 hat Frankreich keinen ausgeglichenen Haushalt mehr. Inzwischen haben sich rekordhohe 3100 Milliarden Euro Schulden angehäuft. Das ist nicht nur innenpolitisch ein Problem.

Es ist nicht so, als hätte man es nicht kommen sehen. Aber in Frankreich schliesst man vor Finanzproblemen lieber die Augen. Auch der neue Rekord erregt nicht gerade die Gemüter in der Gesellschaft. Dabei wäre eine Alarmstimmung dringend nötig.

Ende März wurde bekannt, dass der französische Haushalt 2023 erneut im Minus abgeschlossen hat, und zwar noch schlechter als erwartet: Das Land verbucht eine Neuverschuldung von 5,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bis 2026, so gab das Finanzministerium vor einer Woche bekannt, wird sich das Minus weiterhin um 5 Prozent des BIP bewegen. Der Schuldenberg wird somit auch in den nächsten Jahren wachsen: 3100 Milliarden Euro ist der neue Rekord im Moment. Das macht 45 500 Euro pro Einwohner.

Der Präsident, der sich seit 2017 sichtlich bemüht, Frankreich zu reformieren, darf noch ein weiteres, denkwürdiges Jubiläum feiern: Seit fünfzig Jahren hat Frankreich keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorweisen können – also länger, als Emmanuel Macron alt ist.

Politiker ignorieren Marktmechanismen

Verheerend ist, dass sich inzwischen Generationen von Bürgern daran gewöhnt haben, dass immer Geld da war, wenn welches benötigt wurde oder wenn Anspruchsgruppen mit Streik und wochenlangen Demonstrationen ihre Anliegen dem Staat abrangen. Bis weit in die politische Mitte hinein ignorieren französische Politiker spätestens seit François Mitterrands Präsidentschaft die Marktmechanismen. Dem Kapitalismus sagte Frankreich, damals in den Achtzigerjahren, regelrecht den Kampf an.

Die Folge davon: Frankreich ist inzwischen nach Griechenland und Italien das EU-Land mit den dritthöchsten Schulden gemessen an der Wirtschaftskraft. Das Leben auf Pump ging in den letzten Jahren einigermassen gut, weil die Zinsen tief waren. Doch im vergangenen Jahr brauchte der Staat über 50 Milliarden Euro, nur um die Schulden zu bedienen. Das ist um einiges mehr als das Arbeitslosengeld, das Frankreich 2023 verteilte.

Frankreich häuft einen immer grösseren Schuldenberg an

Staatsverschuldung seit 1978, in Prozent des BIP

Die Franzosen nehmen es hin und bezahlen für ihren grosszügig ausgebauten Sozialstaat so viele Abgaben wie fast niemand in der EU. Und nun noch einmal die Steuern erhöhen?

Die überbordende Verschuldung ist für Frankreich nicht nur innenpolitisch eine Hypothek, weil sich der Spielraum für die Politik damit immer weiter verkleinert und drastische Massnahmen schnell den inneren Frieden gefährden können. Auch für eine glaubwürdige Aussenpolitik ist es problematisch, wenn die zweitgrösste Wirtschaft der Europäischen Union finanziell so angeschlagen ist.

Einerseits wird von Frankreich erwartet, dass das Land Verantwortung übernimmt. Das will Frankreich auch. Zumindest rhetorisch meldet Präsident Macron Anspruch auf Meinungsführerschaft an und beglückt Europa und die Welt mit seinen Ideen. Doch wer nimmt ein Land ernst, das seinen Haushalt nicht im Griff hat und nur schwer reformierbar ist?

Frankreich soll endlich Verantwortung übernehmen

Andererseits: Wegen der prekären Finanzlage fällt die Finanz- und Militärhilfe an die Ukraine in eher symbolischen Dimensionen aus. Ausgerechnet Frankreich, das in der Geschichte Europas so sehr für Freiheit steht, kann die Ukraine im Kampf gegen den illiberalen russischen Autokraten nicht unterstützen.

Die kleinen europäischen Länder helfen überproportional viel

Kurzfristige bilaterale Militärhilfe seit Kriegsbeginn 2022, gemessen an der Wirtschaftskraft der Geberländer, in Prozent

Mit dem Krieg in der Ukraine sind die Länder Europas schon stark gefordert. Was aber passiert mit Frankreich, wenn sich der finanzielle Krisenmodus noch weiter verschärft? Wird die zweitgrösste Volkswirtschaft der EU bald zahlungsunfähig? Daran mag im Moment niemand denken, und die Gefahr besteht auch nicht unmittelbar. Doch Reserven hat Frankreich nicht mehr.

Es ist so gut wie sicher, dass die EU, die schon alles für die Rettung des kleinen Griechenland getan hat, das grosse Frankreich nicht fallenlassen würde. Natürlich kalkuliert Frankreich die implizite Unterstützung der nördlichen EU-Länder zynisch in seiner Schuldenpolitik ein. Doch auch das hat Grenzen und ist riskant.

Es zeigt letztlich auch, wie verantwortungslos die Franzosen handeln. Ein halbes Jahrhundert Staatsdefizit – das sollte Anlass genug sein, endlich breit darüber zu diskutieren, wie es weitergehen soll in Frankreich. Und mit einem Sparkurs und rigorosem Schuldenabbau Verantwortung für sich selber, aber auch für Europa zu übernehmen.

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