Dienstag, Januar 21

Das Ende der französischen Linksallianz scheint nahe. Die Sozialisten wollen mit der Regierung über die Renten und den Haushalt verhandeln, die radikale Linke setzt auf Fundamentalopposition.

Zwei Jahre hielt der Front populaire von Ministerpräsident Léon Blum in Frankreich. Das historische Bündnis aus Sozialisten, Kommunisten und Radikalsozialisten war 1936 als Reaktion auf die faschistische Bedrohung in Europa gegründet worden und setzte soziale Reformen wie die 40-Stunden-Woche oder das Recht auf bezahlte Ferien um, bevor es an seinen internen Spannungen zerbrach. Ein Mythos im kollektiven Gedächtnis vieler Franzosen.

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Kein Wunder, elektrisierte der sogenannte Nouveau Front populaire (NFP) im vergangenen Sommer viele Linke im Land. Nach dem Triumph des rechten Rassemblement national bei den Europawahlen im Juni 2024 hatten sich die vier Parteien links der Mitte unter dem symbolträchtigen Namen zusammengetan, um erstens eine absolute Mehrheit der Nationalisten bei den Parlamentswahlen zu verhindern. Die Sozialisten, Kommunisten, Grünen und radikalen Linken planten zweitens, die als «neoliberal» verschrienen Reformen von Präsident Emmanuel Macron – wie die Erhöhung des Renteneintrittsalters – rückgängig zu machen.

Mélenchon zürnt

Rund sieben Monate später ist das Bündnis nur noch ein Schatten seiner selbst. Hatten die linken Abgeordneten im Dezember noch gemeinsam für die Absetzung der Regierung von Michel Barnier gestimmt, so scherten die Sozialisten bei einem Misstrauensantrag gegen den neuen Premierminister François Bayrou am Donnerstag aus. Bayrou war ihnen bei der zentralen Forderung, die seit 2023 geltende Rentenreform auszusetzen, ein Stück entgegengekommen. Nur 6 von 88 der sozialistischen Abgeordneten stimmten deswegen für den Antrag, den die radikale Partei La France insoumise (Unbeugsames Frankreich) eingebracht hatte und der von den Kommunisten und Grünen unterstützt worden war.

Zwar hätte Bayrou, der einer Minderheitsregierung aus Zentristen und Konservativen vorsteht, ohne die Stimmen des Rassemblement national sowieso nicht gestürzt werden können. Die Partei von Marine Le Pen machte beim Sturz von Michel Barnier noch gemeinsame Sache mit den Linken, während sie dieses Mal eine abwartende Position bevorzugte.

Aber darum allein sei es bei der neuerlichen Vertrauensfrage sowieso nicht gegangen, hiess es vonseiten der «Unbeugsamen». Man habe gegenüber der Regierung und dem Präsidenten auch ein Zeichen des Widerstandes setzen wollen. «Wer nicht für die Missbilligung des Haushalts stimmt, hört auf, in der Opposition zu sein», wetterte der La-France-insoumise-Gründer Jean-Luc Mélenchon. Die Sozialisten hätten «Verrat» an den Zielen der Allianz geübt und mit ihrem Verhalten gezeigt, dass sie keine Partner mehr seien. Bei den nächsten Wahlen will Mélenchon nun sogar eigene Kandidaten gegen sozialistische Abgeordnete ins Rennen schicken.

Der Generalsekretär des Parti socialiste (PS), Olivier Faure, rechtfertigte sich für seine Linie. Seine Partei stehe für eine verantwortungsvolle, kompromissbereite Linke: «Wir haben eine andere Entscheidung getroffen, nämlich mit der Regierung zu verhandeln, um das Schlimmste für unsere Mitbürger zu verhindern», sagte er. Die Neue Volksfront sei ausserdem keine Einzelpartei, sondern eine Koalition, und Mélenchon sei nicht ihr Anführer.

Es ist völlig ungewiss, ob die ungeliebte Rentenreform, gegen die bis 2023 Hunderttausende von Franzosen auf die Strasse gingen, wirklich kassiert wird. Bayrous Angebot an die Opposition lautet lediglich, die Sozialpartner in einer «Konklave» über einen Zeitraum von drei Monaten neu über die Rente mit 64 (statt mit 62 Jahren) verhandeln zu lassen. Gelinge keine Einigung auf eine Alternative, werde am derzeit geltenden Gesetz festgehalten, sagte der Premierminister in seiner Regierungserklärung. Der PS und die Gewerkschaften wollen sich trotzdem auf dieses Angebot einlassen.

Toxischer Verbündeter

Für Mélenchon und seine Partei ist diese Haltung dagegen grundsätzlich inakzeptabel. Der Alt-Trotzkist holte in einem Fernsehinterview am Sonntag zu einem Rundumschlag gegen seine Gegner aus. Demnach verkörpere nur seine Bewegung eine integre Linke: «Wir sind keine Lügner. Wir sagen nicht, dass wir gegen den Kapitalismus kämpfen werden, um ihm anschliessend ein Bankettmahl zu servieren.»

Mélenchon, der dreimalige Präsidentschaftskandidat, kann für sich in Anspruch nehmen, neue, vor allem junge, urbane und muslimische Wähler für Frankreichs lange dahinsiechende Linke mobilisiert zu haben. Der frühere Sozialist, der 2008 mit seiner Partei brach, eckte oft mit antiliberalen, antikapitalistischen und antiwestlichen Positionen an und macht unterdessen auch aus seinem Hass auf Israel kein Hehl. Vielen gemässigten Linken war die Allianz mit ihm deswegen von Anfang an nicht geheuer.

Einer, der sich inzwischen offen für die Auflösung der Neuen Volksfront ausspricht, ist Mélenchons Intimfeind François Hollande. Der ehemalige Präsident will den PS wieder stärker in der Mitte verorten, weg aus dem Klammergriff eines «wütenden Tretboot-Kapitäns», wie er sagte. Mélenchon schoss einen Giftpfeil zurück und bezeichnete Hollande als «Täuschungsmaschine». Das fand immerhin eine lustig. Die frühere sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal, die sich wegen Untreue von Hollande getrennt hatte, schrieb auf X: «Das ist nicht falsch. Das ist der Witz des Tages!»

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