Mittwoch, März 19

Kein Thema treibt die Zürcher Stadtbevölkerung so stark um wie das Wohnen. «Wir müssen einen Zacken zulegen», sagen die Stadtpräsidentin Corine Mauch und der Hochbauvorsteher André Odermatt im Interview.

In den letzten 25 Jahren ist die Zufriedenheit mit der Wohnsituation in Zürich regelrecht abgestürzt – von 72 Prozent auf 19 Prozent. In all der Zeit regierte Rot-Grün die Stadt. Warum bekommen Sie das Problem nicht in den Griff?

André Odermatt: Zürich ist attraktiv, entsprechend hoch ist die Nachfrage nach Wohnraum. Das war aber nicht immer so. In den 1980er Jahren war die Stimmung schlecht, die Menschen verliessen die Stadt. Erst in den 2000er Jahren begann Zürich wieder zu wachsen – seit 2010 geht es steil aufwärts. Die neuen Wohnungen, die der Markt produziert, sind wegen der hohen Nachfrage sehr teuer. Das spüren Leute, die eine Wohnung suchen – zum Beispiel Junge, die das Elternhaus verlassen . . .

Corine Mauch: . . . aber auch ältere Menschen. Manche ziehen beispielsweise nicht aus der grossen Wohnung oder dem Haus aus, weil sie auf dem Markt schlicht nichts Günstiges finden. Darum braucht es gerade für bestimmte Zielgruppen mehr günstige Wohnungen. Die Wohnungsknappheit ist ein verbreitetes Problem und notabene eines, das nun auch auf Bundesebene angekommen ist. In anderen Städten wie Genf und Zug, aber auch in ländlichen Regionen wie Obwalden und Graubünden ist die Leerwohnungsziffer mittlerweile sehr tief. Als Stadt Zürich verfolgen wir eine aktive Bodenpolitik. Aber wir müssen und wollen noch einen Zacken zulegen.

Eine «aktive Bodenpolitik» verfolgen Sie schon seit Jahren, dennoch gingen kürzlich Tausende in Zürich auf die Strasse, um für mehr Wohnraum zu demonstrieren. Man gewinnt den Eindruck: Je mehr der Staat tut, desto schlimmer wird es.

Mauch: Dieser Konnex stimmt ganz und gar nicht. Es ist, wie gesagt, ein generelles Problem, kein spezifisch Stadtzürcherisches. Wenn wir nichts tun würden, dann wäre das Problem noch wesentlich grösser. Seit 1995 haben wir in Zürich mehr als 8000 gemeinnützige Wohnungen dazugewonnen. Das ist Wohnraum für 12 000 bis 15 000 Menschen, der dem Preisdruck auf dem Markt entzogen ist.

Bürgerliche Wohnpolitiker argumentieren, die Stadt verknappe so den übrigen Markt. Dort steigen die Preise dann einfach noch stärker.

Odermatt: Im Vergleich zu den renditeorientierten Investoren ist der Anteil der Stadt und der Genossenschaften mit gut einem Viertel der Mietwohnungen relativ klein. Die Dynamik im privaten Wohnungsmarkt ist gewaltig, die Bautätigkeit immens. Pro Jahr sind etwa 7000 Wohnungen im Bau, die Zahl der Baubewilligungen hat in den letzten Jahren nochmals deutlich zugenommen. Wir als Stadt können unseren Anteil – zusammen mit verschiedenen Genossenschaften und Stiftungen – gerade noch halten.

Mauch: Man muss auch daran denken, was das Ziel unseres Engagements ist. Wir wollen nicht, dass Zürich zu einer Stadt wird, die sich nur noch Reiche leisten können. Beispielsweise in London, wo man voll auf den Privatmarkt setzt, ist es so gekommen – mit den entsprechenden Folgeproblemen. Auch unsere Partnerstadt San Francisco kämpft mit den Folgen. Dort finden Gastrobetriebe zum Teil keine Angestellten mehr, weil diese sich keine Wohnung in der Stadt leisten können. Zürich braucht unterschiedliche Wohnungssegmente – die einen entstehen von selbst, bei den anderen muss die Stadt dafür sorgen, dass sie entstehen.

Sie sagen es selbst: Der grosse Preistreiber ist das Bevölkerungswachstum, namentlich die Zuwanderung. Sollte man nicht dort ansetzen, anstatt Pflästerlipolitik zu betreiben?

Mauch: Wie soll das gehen? Momentan ist es so, dass Zürich genauso schnell wächst, wie Wohnungen zur Verfügung stehen. Unsere Bevölkerungsszenarien funktionieren wie ein Brunnenmodell: Der Brunnen ist das Reservoir, das wir haben. Und das wird gefüllt.

Es gibt schon Ideen, wie man das Wachstum bremsen könnte. Auf Bundesebene haben wir die SVP-Initiative gegen eine «10-Millionen-Schweiz». Auch von Ihrer SP und den Grünen hörte man in letzter Zeit zuwanderungskritische Voten. Expats mit ihren hohen Löhnen würden den Wohnungsmarkt zerstören . . .

Mauch: Ich gehöre nicht zu denjenigen, die solche Aussagen machen.

Warum nicht?

Mauch: Die Stadt Zürich, wie die ganze Schweiz, ist keine Insel. Der Austausch und die Offenheit sind enorm wichtig für uns – für Lebensqualität, Inspiration, Innovation und durchaus auch für unseren Wohlstand. Die Schotten hochzuziehen, ist darum keine Lösung. Aber wir müssen eine gute Durchmischung gewährleisten, auch innerhalb unserer städtischen Wohnsiedlungen.

Odermatt: Man muss auch an die Demografie denken. Die Problematik des Fachkräftemangels ist allgemein bekannt. Hinzu kommt, dass wir eine alternde Gesellschaft sind. Wenn wir das Niveau unserer Dienstleistungen für die ältere Bevölkerung halten wollen, dann braucht es weiterhin Zuwanderung – und bezahlbaren Wohnraum für alle Gesellschaftsschichten.

Die linken Parteien wollen die Standortförderung herunterfahren, damit keine internationalen Firmen mehr nach Zürich kommen. Was ist Ihre Meinung dazu?

Mauch: Zu sagen, es gäbe mehr günstige Wohnungen, wenn die Stadt sich nicht mehr beteilige, ist Augenwischerei. Standortförderung findet statt. Wenn nicht durch die Stadt, mit klaren Nachhaltigkeits- und Sozialzielen, dann durch andere Akteure. Ich finde, da muss man schon schauen, dass man den Leuten nicht irgendetwas populistisch verspricht, was man nicht einhalten kann.

Seit dreizehn Jahren verfolgt der Stadtrat das sogenannte Drittelsziel, wonach ein Drittel aller Mietwohnungen bis 2050 gemeinnützig sein soll. Die linken Parteien kritisieren, es gehe zu langsam voran. Trifft Sie die Kritik aus den eigenen Reihen?

Mauch: Wenn man den prozentualen Anteil anschaut, mag es langsam voran gehen. Doch wenn man bedenkt, wie gross die Dynamik auf dem Wohnungsmarkt ist, wird klar, dass wir immer deutlich überproportional mehr gemeinnützige Wohnungen schaffen müssten. Es ist uns gelungen, einigermassen stabil zu bleiben, sogar eine kleine Steigerung ist uns gelungen. Aber es ist schon so, wir müssen zulegen.

Odermatt: Ich finde den Druck durch die Parteien gut. 2011 hat man sich ein Ziel gesetzt und sich vorgenommen, es bis 2050 zu erreichen. Das geschah im Wissen, dass man den Wohnungsmarkt nicht innerhalb eines Jahres umkrempeln kann. Es ist eine Langzeitaufgabe. Die durch das Drittelsziel erreichte Dynamik von der relativen Passivität der 1990er und 2000er Jahre hin zu einer aktiven Wohnpolitik war extrem wichtig, und wir nutzen die Instrumente, die wir haben: Wir bauen selber, geben Baurechte an Genossenschaften ab und kaufen Liegenschaften.

Mauch: Dieses dritte Standbein forcieren wir zurzeit stark. Dazu haben wir mit dem Wohnraumfonds zusätzliche Mittel erhalten. Nicht zu vergessen ist zudem, dass momentan sieben wohnpolitische Volksinitiativen im Kanton und der Stadt im Tun sind. Von ein paar dieser Initiativen versprechen wir uns einiges. Auch das zeigt, wie virulent das Thema ist.

Der Fokus der meisten Initiativen, die Sie nennen, liegt auf staatlichen Massnahmen – etwa ein Vorkaufsrecht oder der Wohnschutz. Dabei sollten doch einfach mehr Wohnungen entstehen, damit die Preise sinken. Gegenüber privaten Bauvorhaben ist in Zürich aber immer weniger Goodwill spürbar. Vergraulen Sie die privaten Bauherren?

Mauch: Eine unserer Stossrichtungen ist die Zusammenarbeit mit allen Akteuren auf dem Wohnungsmarkt. Zu diesem Zweck haben wir etwa den Echoraum Wohnen ins Leben gerufen, wo sich alle Akteure zweimal im Jahr treffen und wirklich sehr spannende Themen diskutiert werden.

Von privaten Immobilienfirmen hört man, das seien reine Alibiveranstaltungen . . .

Mauch: Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass wir das Wohnproblem als Stadt nicht allein lösen können. Wir brauchen auch die Privaten. Ein Echoraum-Thema war etwa, wie man günstige Wohnungen als Businessmodell realisieren kann. Da hat es durchaus spannende Inputs gegeben. Aber auch Erfahrungen aus dem Bereich nachhaltige Sanierungen sind von mir aus gesehen wertvoll.

Odermatt: Ein weiteres Thema ist die Etappierung von Ersatzneubauten, wenn grössere Areale verdichtet werden. Die Diskussionen dazu im Echoraum bringen nicht in allen Fällen den gewünschten Erfolg, aber es gelingt immer wieder, die eine oder andere Bauherrschaft dazu zu bewegen, ihre Verantwortung gegenüber ihrer Mieterschaft ernst zu nehmen. Ich denke daher nicht, dass der Echoraum eine Alibiübung ist.

Sind dank dem Echoraum je konkrete Projekte entstanden?

Mauch: Es ist eine Vernetzungsveranstaltung und hat als solche den Zweck, dass man von anderen etwas lernt. Und voneinander lernen ist zentral.

Frau Mauch sagte vorhin wohlwollend, es brauche alle Akteure auf dem Wohnungsmarkt, auch Private. Für manche linke Wohnpolitiker im Stadtparlament sind diese jedoch alle böse Immobilienhaie. Hilft es, wenn der Stadtrat alle in einem Boot sieht und der Gemeinderat das Boot dann torpediert?

Odermatt: Ich verstehe die Empörung aus dem Parlament durchaus. Es gibt private Investoren, die völlig überrissene Mietpreise veranschlagen. Andere Private arbeiten jedoch sorgfältig und mit einem langfristigen Horizont. Das gilt vor allem auch für viele kleinere private Hausbesitzer. Aber diese nehmen anteilsmässig ab – zugunsten der grossen, profitorientierten Gesellschaften. Und manche dieser Gesellschaften überschreiten dann bei der Rendite die Grenze. Gerade bei Neubauten wird einfach ausgereizt, was möglich ist. Dem könnte man mit Mietzinskontrollen entgegenwirken.

Im Kanton Zürich wurde die Wohnschutzinitiative eingereicht, die genau das verlangt. Sie, Herr Odermatt, unterstützen das Anliegen – obwohl wir in Genf und Basel sehen, dass die Auswirkungen verheerend sind. In Genf ist es in Sachen Wohnungssuche schlimmer als in Zürich, nachhaltiges Bauen ist ein Fremdwort, das neue Gesetz in Basel führte dazu, dass praktisch nichts mehr gebaut wird.

Odermatt: Mit der Wohnschutzinitiative sollen Sanierungen bewilligungspflichtig sein und klar geregelt werden, welche Kosten auf die Mieter abgewälzt werden dürfen. In Genf und Basel kann man schon bauen. Man muss nur die Gesetze kennen . . .

. . . also man muss die Schlupflöcher in den Gesetzen kennen?

Odermatt: Nein, man muss wissen, wie man mit den Regeln umgeht. Die Mietzinse sollen ja nur für eine bestimmte Zeit fixiert werden.

Das bedeutet, sobald der Mietdeckel weg ist, steigen die Mieten umso mehr?

Odermatt: Dann gibt es einen Sprung, das ist so. In der Zürcher Initiative gibt es aber eine «Kann-Formulierung», das heisst, die Gemeinden können Massnahmen ergreifen, wenn die Leerstände ein gewisses Minimum unterschritten haben. Sie müssen es nicht tun.

Ein Thema, das beim Bauen in der Stadt ein grosses Ärgernis ist, sind die langen Wartezeiten bis zum Erhalt von Baubewilligungen. Gemäss der ZKB dauert es ein ganzes Jahr . . .

Odermatt: Die Zahl der ZKB ist nicht aussagekräftig, weil die Bearbeitung allfälliger Rekurse inbegriffen ist. Wir halten die gesetzlichen Fristen des Kantons heute grösstenteils ein. Nicht zuletzt wegen der sehr hohen Zahl an Baugesuchen hat es in den letzten Jahren aber tatsächlich einen Rückstau gegeben. Wir haben das Problem aber angepackt, organisatorisch viel gemacht, auch im Kontext mit E-Baugesuchen, und wir sind jetzt auf Kurs.

In Zahlen: Wie lange wartet man heute in Zürich auf eine Baubewilligung?

Odermatt: Für einen Neubau sind es im Schnitt 170 Tage. Allenfalls können dann aber Rekurse den Baustart verzögern. Aus Sicht eines Bauherren kann ich den Ärger über diese immer häufigeren Rekursverfahren nachvollziehen. Aber darauf hat die Stadt schlicht keinen Einfluss.

Wäre es denn nicht angebracht, sich auf höherer Ebene für eine Beschränkung der Rekursmöglichkeiten einzusetzen, anstatt öffentlich für fragwürdige Wohnschutzinitiativen zu weibeln?

Mauch: Wir leben in einem Rechtsstaat. Es ist richtig, dass Anwohner Bauprojekte juristisch überprüfen lassen dürfen, wenn sie in ihren Rechten betroffen sind. Doch auch mich stört es, wenn die Rechtsmittel nur verwendet werden, um Projekte zu verzögern – ohne realistische Chancen auf Erfolg.

Odermatt: Wir setzen uns aktiv für eine Verbesserung der übergeordneten Regulierungen ein. In Bern haben wir uns zum Beispiel für neue Lärmvorschriften starkgemacht, weil die gegenwärtige Praxis das Bauen in der Stadt an vielen Orten einschränkt. Leider hat das Bundesparlament mit seiner neuen Regelung nun das Fuder überladen und den Lärmschutz wiederum unnötig geschwächt. Darum können wir als Stadtrat nicht mehr hinter dieser Lösung stehen.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Sie beide sind schon sehr lange im Stadtrat. Frau Mauch seit 15 Jahren, Herr Odermatt seit 14 Jahren. Man munkelt über Rücktrittsgelüste. Wann ist es so weit?

Mauch: Das ist für mich kein Thema. Und ich trete nicht während einer Legislatur zurück. Das habe ich immer gesagt, und dabei bleibe ich.

Odermatt: Das sehe ich genauso. Eine Legislatur macht man fertig.

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