Donnerstag, Juli 24

Der Öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht zu reformieren, das zeigt der immergleiche Umgang mit der AfD.

Sie lesen einen Auszug aus dem Newsletter «Der andere Blick am Abend», heute von Claudia Schwartz, Redaktorin im Ressort Meinung und Debatte. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.

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Irgendwann war es den TV-Sendern ARD und ZDF nicht mehr möglich, die AfD beim Fernseh-Sommerinterview zu ignorieren. Seit man die Partei also wohl oder übel auch einladen muss zum luftig-leichten Polit-Fernseh-Talk unter blauem Himmel, verfolgen die öffentlichrechtlichen Sender die Devise, die für die AfD nun seit Jahren gilt: Wir zeigen diese Partei als «Schmuddelkind» der Nation, wie es buchstäblich im ZDF-«Sommerinterview» 2024 mit Weidel hiess. Dabei scheint man in den Redaktionen solch «gutgemeinte» Einordnungen mittlerweile selber für Journalismus zu halten.

Inhalte dieser Partei werden nie so vermittelt, dass sich mündige Zuschauer ein Bild machen könnten. Man will die AfD-Politiker möglichst blöd dastehen lassen im Glauben (und in der Absicht), dass das der Partei schadet. Konkret heisst das: nicht ausreden lassen, nie nachhaken, wo es inhaltlich interessant wird, und wo sich tatsächlich ein tiefergehendes Gespräch entwickeln könnte, flugs mit einer dahingeschmierten, süffisanten oder persönlich diskreditierenden Bemerkung reingrätschen. Das geht jetzt so seit Jahren.

Keine vernünftige Auseinandersetzung

Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel ist also durch eine harte Schule gegangen. Das Ergebnis war am vergangenen Sonntagabend im ARD-Sommerinterview zu studieren. Hätte Weidel noch vor ein paar Jahren die Sendung verlassen, so stand sie nun bis zum Schluss Rede und Antwort in einer Gesprächssituation, die eine vernünftige Auseinandersetzung verhinderte. Die AfD-Politikerin weiss, dass es der Partei und ihr persönlich nutzt, wenn sie bei tendenziösen Fragen ruhig und sachlich bleibt. So auch am Sonntag, als von der anderen Flussseite herüber Sprech- und Gesangschöre das Freiluftinterview nahezu verunmöglichten. Über das Regierungsviertel legte sich eine Art Hymne, ihr einziger Inhalt: «Scheiss-AfD». Ein unwürdiges Spektakel für die Chefin der grössten Oppositionspartei ebenso wie für das Erste Deutsche Fernsehen.

Dort hat man offenbar keine technischen Massnahmen ergriffen, um das Gespräch akustisch hervorzuheben und den produzierten Lärm in den Hintergrund zu rücken. Was problemlos möglich gewesen wäre, zumal es sich um eine Aufzeichnung handelte.

Markus Preiss, seit einem Jahr Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, hat am Sonntag Weidel ausreden lassen, so ist es nicht. Und die AfD-Chefin und er hatten in einer Einspielerpause offenbar beschlossen, dass man das Interview durchzieht und nicht abbricht oder ins Studio wechselt. Letzteres hätte für Deutschlands politische Öffentlichkeit auch ein fatales Signal bedeutet, wenn AfD-Mitglieder Schutz brauchen, wo Politiker anderer Parteien frei und unbehelligt reden dürfen.

Alarm im Sperrbezirk

Preiss machte aber von Beginn an kein Hehl daraus, dass ihm diese ganze Störaktion sehr gelegen kam. Wiederholt sprach er von «Demonstranten», die hier ja nur von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machten, und suggerierte damit, dass es sich um einen normalen Strassenprotest gegen die Politik der rechten Oppositionspartei handle. Als TV-Zuschauer war dies nicht zu beurteilen. Mit Preiss’ Geraune von einer Demonstration vermittelte die ARD-Sendung aber das Bild, dass diese Partei, die derzeit bei 24 Prozent Wähleranteil liegt, von den Leuten auf der Strasse rundweg abgelehnt wird.

Für den Lärm sorgte die Aktivistengruppe Zentrum für Politische Schönheit (ZPS), die sich den Kampf gegen die AfD auf die Fahne geschrieben hat. Dabei macht man sich seit Jahren zu nützlichen Idioten der Partei, etwa mit der Errichtung eines Holocaust-Mahnmals auf dem Nachbargrundstück von Björn Höcke. Man überschreitet dabei auch notorisch Grenzen, Zynismus und Obszönitäten gehören dazu: beispielsweise, als man 2019 im Regierungsviertel eine angeblich mit Asche von Holocaust-Opfern gefüllte Säule präsentierte.

Im Nachgang zur Aktion am Sonntag sprach das ZPS bereits grössenwahnsinnig vom «Fernsehmoment des Jahres». Man warf sich geschmacklos in die Brust und rückte sich selbst in die Nähe von Stauffenbergs mit dem Hinweis auf das Datum des 20. Juli, an dem Deutschland schliesslich an den Widerstand gegen Hitler erinnere. Mit solcher Verharmlosung des Nationalsozialismus wird das vorgegebene Bemühen um eine politische Diskussion vollends zur Farce.

Erst nach der Sendung wurde via soziale Plattformen allmählich klar, dass hinter der angeblichen Demonstration die Aufmerksamkeitsmaschinerie des ZPS steckte. Es stellt sich die Frage, wie es eigentlich möglich ist, dass Aktivisten einen mit Lautsprechern und Scheinwerfern ausgerüsteten Bus im Berliner Regierungsviertel, dem hoffentlich bestgesicherten Bezirk Deutschlands, in Stellung bringen konnten. Laut Angaben des ZPS hatte man die polizeiliche Erlaubnis dazu. Lügengeschichten sind allerdings oft Teil der Performance der ZPS-Aktivisten, die bewusste Desinformation betreiben.

Hauptausgabe der «Tagesschau» legt noch eins drauf

Dass sich die ARD zum Handlanger für eine Politsekte machen lässt, das ist das eine. Das andere ist die Reaktion von Markus Preiss auf Alice Weidels wiederholte Bemerkung, dass ein vernünftiges Gespräch nicht möglich sei, weil sie seine Fragen teilweise nicht verstehe. Preiss drehte sich weg, richtete sich ans Publikum und sagte süffisant-grinsend: «Frau Weidel sagt gerne mal, dass sie was nicht verstanden hat.» Die Zuschauer zahlen für so eine üble Vorstellung wohlbemerkt Zwangsgebühren.

Auch zwei Stunden nach der Ausstrahlung zeigte man bei der ARD keine Einsicht. Den eigenen Suggestivjournalismus präsentierte die Hauptausgabe der «Tagesschau» ohne kritische Distanz. Man berichtete zum Auftakt prominent über das Weidel-Interview, das «von lautstarken Protesten gestört» worden sei durch «eine Gruppe von Demonstrierenden». Gross eingespielt wurde dazu nicht etwa zuerst Weidel mit einem Zitat, sondern der ZPS-Bus unterlegt mit der Tonspur «Scheiss-AfD». Preiss kam zu Wort, wägte ab und nannte Weidels Einsatz «sportlich». Das hatte das Niveau von Schülerfernsehen.

Alle reden von der Reform des öffentlichrechtlichen Rundfunks. Das mag bei finanziellen und organisatorischen Details möglich sein, wenngleich selbst dort Skepsis angebracht ist. Klar wurde aber am Sonntag wieder einmal, wie unbelehrbar die Redaktionen in ihrer politischen Haltung sind, weil sie sich grundsätzlich auf der moralisch richtigen Seite wähnen.

Wenn in den kommenden Jahren ein Generationenwechsel stattfindet, bei dem die weniger ideologisch motivierten Journalisten der Boomer-Generation abtreten, dürfte es eher noch schlimmer werden mit dem woken journalistischen Selbstverständnis.

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