Bilder Explora Journeys

Serena Melani zählt zu den acht Frauen, die eines von weltweit 350 Kreuzfahrtschiffen steuern. Über die Schwierigkeit, in einem Männerberuf zu arbeiten, und was Knoblauch damit zu tun hat.

Grüne Socken auf einem Schiff tragen? Gehen gar nicht! Sie bringen Unglück. Mit ihnen verärgert man Neptun. Grün ist seine Farbe. Ein Liedchen pfeifen? Nur nicht! Das bringt Sturm und Unheil. Und Frauen an Bord? Eine lange Geschichte.

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Sie beginnt spätestens im Altertum. Damals wurden Schiffe als glückbringende weibliche Wesen gesehen und trugen oft Frauennamen. Obwohl es neutral das Schiff heisst, wird es mit Namen zur Sie. Trotzdem waren Frauen physisch lange nicht an Bord geduldet. Die Schiffe waren monatelang unterwegs, die Seeleute auf engstem Raum eingepfercht, weit weg von ihren Ehefrauen. Unter dem Vorwand, sie brächten Unglück, waren Frauen an Bord verboten. Die Last der Lust führte quasi zu einem Berufsverbot für Frauen als Seeleute. Frau an Bord bedeutet Totschlag und Mord, hiess es. Das galt wohlgemerkt für die Besatzung. Erst in den späten 1950er Jahren traten vermehrt Frauen als Matrosen oder Offiziere auf Handels- und Marineschiffen ihren Dienst an.

Rund 70 Jahre später liegt die «Explora I» im Hafen von Barcelona: ein Schiff, keine schwimmende Stadt. Sie hat Form, Stil und wirkt nicht monströs. Die Proportionen stimmen. Die Rumpffarbe leuchtet in elegantem Dunkelblau. Die Kapitänin: Serena Melani, 51 Jahre alt, Italienerin aus der Hafenstadt Livorno. Laura Della Valle, Erste Offizierin an Bord, führt zu ihr: Raum 10001, die Brücke. Serena Melani begrüsst in gischtweisser Uniform. «Ich sage es gleich: Ich habe nie davon geträumt, einmal Kapitänin zu werden. Die vier Streifen auf der Schulter sind nur die Folge einer Karriere. Letztlich spielt es keine Rolle, ob ein Mann oder eine Frau Befehle erteilt. Wichtig ist nur: Die Ansage muss stimmen und das Wie nachvollziehbar sein.»

Schon in jungen Jahren wollte Melani die Welt entdecken und träumte sich in ihrer Heimatstadt Livorno mit den Schiffen davon. Ein Job im Büro kam nie infrage. Den Studienabschluss an der Nautik-Fachschule hatte sie mit 16 Jahren in der Tasche, musste aber im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen fünf Jahre nach einem Ausbildungsplatz suchen. Erst ein EU-Förderprojekt ermöglichte ihr den Einstieg auf einem Öltanker. Auf einem Öltanker? «Da geht’s ganz schön rau zu, was den Ton und Anzüglichkeiten betrifft, so mit Pin-up-Girls an den Wänden und Witzen aller Art … Da ist die Seefahrt noch eine Machowelt», erinnert sich die Kapitänin. «Auf einem Schiff lebt man bis heute in einer sehr engen Gemeinschaft. Nach Feierabend kann man nicht einfach nach Hause gehen. Die Arbeit und das Leben finden auf dem Schiff statt.» Auf der «Explora» sind Ton und Verhalten wie auf einem Cargo-Schiff verpönt: «Wir haben eine ruhige Atmosphäre, ohne laute Stimmen, sogar die Walkie-Talkies sind auf niedrigste Lautstärke gestellt», sagt Melani.

Seit 2016 ist sie Kreuzfahrt-Kapitänin, aktuell auf den neuen Luxuslinern «Explora I» und «II». «Ein Gast begrüsste mich schon einmal mit ‹Na, hoffentlich lenken Sie das Schiff besser als meine Frau unser Auto›», sagt die Kapitänin. Der Gast ist König, Serena Melani verzichtete auf eine Antwort. «Mein Ego lasse ich zurück am Pier», sagt sie.

Vorurteile lassen sich oft nicht aus der Welt schaffen. Das weiss auch die Kapitänin. «Wer eine Karriere anstrebt, in der Frauen nach wie vor nicht überall gern gesehen sind, muss sich doppelt anstrengen, mehr Energie reinstecken und alles geben. In der Schifffahrt stossen Frauen auf einige Hürden – die grösste aber bleibt das Vorurteil.» Nach Melanis Erfahrungen sind «Frauen in Führungspositionen weder besser noch schlechter als Männer. An Bord zählen vor allem Sicherheit, Fachwissen und Teamgeist» – ohne starre Hierarchien, aber mit respektvollem Umgang.

Teamfähigkeit ist auch in der privaten Beziehung wichtig, besonders bei Fernbeziehungen. «An Weihnachten oder zu wichtigen Familienereignissen kann man oft nicht zu Hause sein, da der Arbeitsrhythmus meist drei Monate an Bord und dann drei Monate frei vorsieht. Als mein Vater starb, konnte ich nicht zur Beerdigung gehen. Das war hart», sagt Melani, die bereit ist, für ihr modernes Nomadenleben auf den Weltmeeren Entbehrungen hinzunehmen. Die bewusste Entscheidung gegen eigene Kinder war eine davon: «Frauen in Führungspositionen zahlen oft einen hohen Preis.» Ihr Ehemann, mit dem sie in Kroatien lebt, arbeitet ebenfalls auf hoher See und bewegt sich in der Welt der noblen Privatjachten, «wo übrigens auch heute noch eine Frau nicht gern gesehen ist», sagt Melani. Über Video-Calls bleiben sie in Kontakt. Sie lacht: «Ich bin direkt nach meiner Hochzeit zurück auf mein damaliges Schiff und habe die Flitterwochen allein auf See verbracht.»

Inzwischen lief sie mit verschiedenen Schiffen über hundert Länder an. «Jetzt darf ich die Kapitänin der ‹Explora› sein, die sehr viele andere auch gerne führen würden», sagt die Italienerin. «Ich weiss, dass manche Kollegen neidisch sind, wenn ich mit der ‹Explora› neben ihnen im Hafen liege. Und sie wissen auch, dass die Besitzerfamilie Aponte mir die Aufsicht des Neubaus der ‹I› in der Werft anvertraut hat. Ein unglaubliches Projekt: Es war das Opening eines neuen Luxus-Brands, mit dem man Spuren hinterlassen kann.» Da jährlich nur wenige Schiff gebaut werden, sind die Kapitänssessel rar. Doch Melani gehört zu den derzeit nur acht Kapitäninnen weltweit, die ein Kreuzfahrtschiff steuern. Die Schwedin Karin Stahre-Janson war 2007 die erste Frau, die auf der «Monarch of the Seas» das Kommando über ein grosses Kreuzfahrtschiff übernahm.

Die Reise führt von Barcelona nach Athen. Fahrtechnisch nicht anspruchsvoll, aber in den Gewässern südlich von Malta und Sizilien können Schiffe auf Flüchtlingsboote stossen. «Die Gesetze sind eindeutig», sagt die Kapitänin: «Flüchtlinge müssen aufgenommen und versorgt werden. In Notfällen ändern wir auch einmal die Route. «Ich informiere unsere Gäste immer, denn Information ist der Schlüssel zum Verständnis.» Das klingt klar, souverän, durchdacht.

Auf der Brücke des Schiffes hängt ein Körbchen mit Salz, Peperoni und Knoblauch. Symbole für den Aberglauben der Crew, die sich Schutz und Glück erhofft.

Auf der Brücke hängt ein Körbchen mit Salz, Peperoni und Knoblauch. Eine Brücke darf man sich wie einen verglasten Operationssaal ohne Besteck vorstellen: steril anmutende Hightech-Instrumente mit Bildschirmen, Reglern, Radar- und Kommunikationsgeräten, tausend Knöpfen, Schaltern und Hebeln. «Ja, ich bin schon abergläubig, aber nicht ganz so wie meine Kollegen im Maschinenraum. Dort geht ohne Knoblauch gar nichts!» Die Chefin erklärt: «Salz streuen bringt Glück. Peperoni und Knoblauch schützen.» Und nur derjenige, der das Körbchen gebracht hat, darf es entfernen oder neu bestücken.

Auf See ist Aberglaube allgegenwärtig, denn in den Anfängen der Seefahrt galt das Meer als lebensgefährlich. Um die Angst zu zähmen, suchten die Menschen nach Mitteln, die ihnen Halt gaben. Aberglaube dient dabei als kleiner Trick, um böse Geister fernzuhalten. Viele Seefahrer glauben daran, besonders Italiener, Griechen und Filipinos.

«Die Gäste dürfen alle Farben tragen, aber für uns Crew-Mitglieder sind Grün und Violett tabu», sagt die Kapitänin. «Diese Farben bringen Unglück.» Geschichten aus alter Zeit erzählen von Kapitän Ahab, der besessen «Moby Dick» jagte, und von Captain Bligh, der als tyrannischer Sadist die «Bounty» kommandierte. Aber auch heute fehlt auf der «Explora» ein Deck 13, und beim Bau der «I» und «II» liess man je eine Goldmünze als Glücksbringer in den Schiffsrumpf einbauen. Melani selbst trägt stets Aquamarinsteine bei sich: ein Schutz gegen Poseidon und Stürme.

Für ihr noch ausstehendes Traumziel Antarktis mit rauer See, hohen Wellen und starken Stürmen könnten die Steine nützlich sein. Für ihr bisher liebstes Ziel waren sie dagegen nicht nötig. «Die Amazonas-Kreuzfahrt war am faszinierendsten, weil man vom Meer ins Herz von Südamerika gelangt», schwärmt sie. Man versteht: Serena Melani hat sich für einen Lebensstil entschieden, nicht für einen Job.

Diese Reportage wurde möglich dank der Unterstützung von Explora Journeys.

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