Donnerstag, Mai 22

Kühne Erklärungen zu den Ergebnissen der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2022.

Gäbe es einen Preis für einseitige Medieninformation seitens der Bundesverwaltung, wäre das Bundesamt für Statistik (BfS) in einer Topposition. Sei es die Lohngleichheit, sei es die Rentenhöhe: Das BfS aus dem SP-geführten Innendepartement liefert zuverlässig schlagzeilenträchtige Pressemitteilungen, die nicht zuletzt dank Auslassung wesentlicher Aspekte praktisch immer auf dieselbe Botschaft hinauslaufen: Es gibt grosse Geschlechterunterschiede. Und die Benachteiligten sind immer die Frauen.

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Dieses Muster hat sich diese Woche erneut gezeigt, als das Amt die Ergebnisse der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2022 veröffentlichte. Die Erhebung wird alle fünf Jahre durchgeführt, rund 19 000 Personen haben telefonisch teilgenommen und anschliessend einen schriftlichen Fragebogen ausgefüllt. Die Liste, die abgefragt wurde, ist lang: Es geht um Sport, Essen und Alkohol, um Zähne, Verdauungsprobleme und Darmspiegelungen bis hin zu Verhütungsmethoden, Schlafproblemen und Einsamkeit. Die Ergebnisse sind interessant, aber nicht völlig überraschend.

Das Geschlecht als wandelbares System

Das Positive vorweg: Rund 91 Prozent der Schweizer Bevölkerung finden, sie hätten eine gute bis sehr gute Lebensqualität. Das gilt für beide Geschlechter (0,3 Prozent der befragten Personen bezeichneten sich als nonbinär). Die Lebenserwartung der Frauen ist nach wie vor höher (3,8 Jahre mehr), doch die Männer holen auf.

Daneben gibt es zum Teil deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Männer rauchen häufiger als Frauen (27 gegenüber 21 Prozent), sie treiben in der Freizeit mehr Sport und sind Fleischesser. Sie sind öfter übergewichtig oder adipös, stören sich daran aber weniger, als dies dicke Frauen tun. Generell sind Frauen mit ihrem Gewicht weniger zufrieden als Männer (28 gegenüber 23 Prozent). Sie haben mehr Rückenschmerzen, sie ernähren sich gesünder, und sie leben häufiger mit einer chronischen Krankheit (55 gegenüber 44 Prozent); welche Leiden das sind, erfährt man nicht. 2022 berichteten 12 Prozent der befragten Frauen, dass sie an Depressionen litten, bei den Männern waren es 8 Prozent. Unterschiede bei der psychischen Gesundheit gibt es vor allem bei jungen Personen. Wer einen Beruf ausübt, ist psychisch stabiler.

Das BfS lässt es in seiner Publikation aber nicht bei den blossen Daten bewenden. Es zielt höher und betrachtet die Ergebnisse der Gesundheitsbefragung aus der Genderperspektive. So erfährt der Leser, dass die Trennung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht «künstlich» sei. Zwar wiesen Frauen und Männer bei der Geburt unterschiedliche biologische Merkmale auf, doch das Geschlecht sei ein wandelbares System.

Das soziale Geschlecht präge den Körper, es gehe um Macht, Hierarchien und Identitäten. Geschlechterrollen beeinflussten die Gesundheit und verstärkten soziale Ungleichheiten. «Auch wenn sich die Geschlechternormen in der Schweiz allmählich ändern und sich junge Männer vermehrt an der Haus- und Familienarbeit beteiligen, sind Frauen in vielen Bereichen noch immer schlechter gestellt als Männer», schreibt das Statistikamt.

Kühne Erklärungen

Das BfS schreckt auch nicht vor kühnen Erklärungen zurück. Dass Frauen ein etwas höheres Risiko haben, im Lauf ihres Lebens an einer Depression zu erkranken, stellt das Amt kurzerhand in Zusammenhang mit der Hausarbeit. Frauen seien häufiger «von Belastung durch unbezahlte Haus- und Familienarbeit betroffen, die oft unsichtbar ist», heisst es in der Pressemitteilung prominent. In den Medien wurde dann auch prompt getitelt: «Unbezahlte Hausarbeit führt zu Depression».

Das allerdings ist eine steile Behauptung. In der Gesundheitserhebung wurde dieser Punkt nämlich gar nicht abgefragt. Es liegen folglich auch keine Ergebnisse vor. Ob gewisse Frauen depressive Symptome entwickeln oder niedergeschlagen sind, weil sie sich öfter um die Kinder kümmern oder tendenziell häufiger staubsaugen als die Männer, darüber gibt die Schweizerische Gesundheitsbefragung keine Auskunft. Wer die Medienmitteilung liest, bekommt allerdings einen anderen Eindruck.

Das BfS räumt auf Nachfrage ein, dass sich seine Aussagen nicht auf die Erhebung selber stützen lassen. Man verfüge über keine entsprechenden Daten und Indikatoren, sagt das Statistikamt. Vielmehr sei man literaturbasiert vorgegangen und habe internationale Studien zum «Health Gender Gap» beigezogen. Anders gesagt: Wenn es keine Daten gibt, nimmt man eben Literatur – Hauptsache, die Botschaft stimmt.

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