Donnerstag, Januar 30

Nun ist klar, wie der Bundesrat die SVP-Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» bekämpfen will. Am Mittwoch hat Beat Jans im zweiten Anlauf grünes Licht erhalten.

Es wird ein harter Kampf, so viel steht fest: Die «Nachhaltigkeitsinitiative» der SVP verlangt, dass die Schweizer Bevölkerung bis ins Jahr 2050 auf maximal 10 Millionen wachsen darf. Sie stellt ausdrücklich die Personenfreizügigkeit und somit das gesamte bilaterale Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union infrage.

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Die Initiative hat bereits in der ersten Phase des Prozesses – in den Gesprächen innerhalb des Bundesrats und der Verwaltung – erhebliche Unruhe ausgelöst. Zwar soll es keinen Gegenvorschlag geben. Untätig bleiben möchte der Bundesrat aber auch nicht, zumal die Initiative als chancenreich gilt. Man einigte sich im vergangenen Jahr darauf, «Begleitmassnahmen» auszuarbeiten, um dem Volk zu signalisieren, dass man die Bedenken gegen die Zuwanderung ernst nehme. Aber wie sollen diese aussehen?

Justizminister Beat Jans war im November mit einem ersten Vorschlag im Bundesrat gescheitert. Am Mittwoch nun, als die Zeit für die Ausarbeitung der Botschaft bereits knapp wurde, hat er im zweiten Anlauf grünes Licht erhalten. Was sich bereits im Vorfeld abgezeichnet hatte, wurde bestätigt: Jans musste die Akzente deutlich von der Sozial- zur Asylpolitik verschieben.

Im ersten Vorschlag hatte er unter anderem eine Erhöhung der Kinderzulagen sowie einen Ausbau des Mieterschutzes zur Debatte gestellt. Beides ist nicht mehr Teil des Pakets. Stattdessen erhält die Asylpolitik deutlich mehr Gewicht.

Von Asylpolitik bis Wohnungsbau

Mit diesen mehr oder weniger konkreten Massnahmen, Absichtserklärungen und Ideen will der Bundesrat verhindern, dass die SVP-Initiative eine Mehrheit findet:

  • Schnellere Asylverfahren: Als Teil der «Gesamtstrategie Asyl» kündigt der Bundesrat Massnahmen an, welche die Zahl der Gesuche reduzieren und die Asylverfahren beschleunigen sollen. Unter anderem sollen Gesuche rascher abgeschrieben werden, wenn jemand untertaucht oder nicht kooperiert. Vorläufige Aufnahmen will der Bund häufiger überprüfen. Zudem sucht er Wege, um zu verhindern, dass Straffällige das Asyl- und Ausländerrecht ausnutzen können.
  • Eingewanderte Frauen besser integrieren: Damit Schweizer Firmen möglichst viele Arbeitskräfte im Inland rekrutieren, will der Bund einmal mehr versuchen, das inländische Potenzial besser auszuschöpfen. Die Ideen zielen unter anderem darauf ab, mehr Personen, die via Familiennachzug zugewandert sind, in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das betreffe vor allem Frauen, so der Bundesrat. Er will aber auch ältere Arbeitslose beim Wiedereinstieg besser unterstützen.
  • Geld für Wohnungsbau: Der Fonds zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus, der bereits 2020 mit zusätzlichen 250 Millionen Franken ausgestattet worden ist, soll ab 2030 um weitere 150 Millionen aufgestockt und um fünf Jahre verlängert werden. Zudem plant der Bundesrat Verschärfungen der «Lex Koller», um das Kaufen und Halten von Immobilien durch Ausländer weiter zu erschweren.
  • Weniger Standortmarketing? Dies ist zumindest eine Option. Der Bundesrat lässt den Effekt der staatlichen Standort- und Tourismusförderung sowie von Steuererleichterungen auf die Zuwanderung neu untersuchen. Auf dieser Basis könnte eine Reduktion zum Thema werden, um das Bevölkerungswachstum nicht noch zusätzlich anzuheizen.

Vieles auf der Liste ist bekannt, manches unverbindlich bis vage, weniges handfest und neu. Das ist nicht im Sinne von Bundesrat Jans. Vor allem zwei Massnahmen hätte er laut zuverlässigen Quellen gern in das Paket integriert: höhere Kinderzulagen für Familien sowie höhere AHV-Freibeträge für Personen, die über das Rentenalter hinaus arbeiten. Beide Ideen sind aber in den Vorgesprächen an Widerständen aus der Wirtschaft gescheitert.

Damit kann Beat Jans den Coup der früheren Justizministerin Karin Keller-Sutter, die heute die Finanzen verantwortet, nicht wiederholen: Sie hatte die jüngste Zuwanderungsinitiative der SVP im Jahr 2020 unter anderem mit der Einführung der Überbrückungsleistungen (ÜL) für ältere Arbeitslose bekämpft.

Ihr war es seinerzeit gelungen, die Wirtschaft für diesen Sozialausbau zu gewinnen – was wohl auch damit zu tun hatte, dass die Kosten zulasten des Bundes gehen und nicht der Wirtschaft. Bei den Kinderzulagen wäre dies anders. So muss es Beat Jans heute fast schon als Erfolg verbuchen, dass die ÜL angesichts der finanzpolitischen Engpässe beim Bund nicht gestrichen werden sollen.

Schutzklausel als Gegenvorschlag?

Wie lange das «10-Millionen-Paket» des Bundesrats hält, ist fraglich. Im April muss er die Botschaft verabschieden, danach fangen die Diskussionen im Parlament an. Dort wird auch die Frage, ob man die Initiative mit einem Gegenvorschlag kontern will, noch einmal aufs Tapet kommen. Vor allem der Mitte-Präsident Gerhard Pfister und der FDP-Nationalrat Simon Michel haben sich für dieses Vorgehen ausgesprochen.

Ein Gegenvorschlag müsste aber näher bei den Zielen der Initiative sein, als dies der Bundesrat mit seinen Massnahmen ist. Das Parlament müsste Wege finden, wie die Schweiz die Zuwanderung bei Bedarf beeinflussen kann, ohne den freien Personenverkehr mit der EU zu beenden. Ansätze dazu bietet die neue Schutzklausel, auf die sich die Unterhändler in den Verhandlungen der vergangenen Monate geeinigt haben. Sie sieht vor, dass die Schweiz die Zuwanderung aus der EU temporär beschränken kann, wenn sie ernsthafte Probleme wie eine Zunahme der Sozialhilfe, der Arbeitslosigkeit oder der Konkurse bewirkt.

Die Schweiz kann aber nicht einfach so unilateral eingreifen: Wenn die EU die Einschränkungen ablehnt, entscheidet neu ein Schiedsgericht. Die Schweiz ist allerdings nicht an dessen Entscheid gebunden. Schränkt sie die Zuwanderung ohne Segen des Gerichts ein, kann die EU ihrerseits Gegenmassnahmen ergreifen, die aber verhältnismässig sein müssen. Denkbar wären Massnahmen zulasten der Exportwirtschaft oder von Schweizer Bürgern in EU-Ländern. Heute gibt es kein solches Rechtsverfahren. Einschränkungen der Freizügigkeit sind bisher nur möglich, wenn die EU zustimmt – oder die Schweiz eine politische Eskalation in Kauf nimmt.

Klar ist, dass die Schweiz die Details der neuen Schutzklausel innenpolitisch in einem eigenen Gesetz regeln muss. Daraus könnte das Parlament einen Gegenvorschlag zur SVP-Initiative konstruieren. Allerdings ist das Timing knifflig. Wie die beiden Abstimmungen über die SVP-Initiative und das Verhandlungspaket zeitlich getaktet werden, ist noch offen. Und wenn die neuen Verträge scheitern, ist auch die Schutzklausel hinfällig.

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