Donnerstag, Mai 8

Plötzlich ist es Mode, über die Wechseljahre zu reden. Die Gynäkologin Susanne Spoerri sieht den Hype um Hormone kritisch, wozu neuerdings Testosteron gehört: Frauen setzten sich unter Druck, begehrenswert zu bleiben.

Frau Spoerri, die Frau mittleren Alters wird sichtbar, und dies auch dank Büchern wie Miranda Julys «Auf allen vieren» oder Filmen wie «Babygirl» mit Nicole Kidman. Dabei werden die Wechseljahre als Phase der Selbstermächtigung gefeiert, als beste Zeit im Leben einer Frau. Wie nehmen Sie dieses Durchstarten wahr?

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Tatsächlich können die Jahre, in denen Frauen ihre Fähigkeit verlieren, Kinder zu bekommen, sehr befreiend sein. Man hat beruflich einiges erreicht, steht vielleicht auf dem Höhepunkt der Karriere. Die Kinder sind aus dem Schlimmsten heraus, man hat mehr Zeit für sich und die Partnerschaft. Eine Frau weiss in diesem Alter in der Regel viel besser, was sie will. Das sehe ich an meinen Patientinnen.

Also alles wunderbar?

Nein. Diese Befreiung muss sich eine Frau zuerst erarbeiten, indem sie eine Phase der Verunsicherung durchläuft.

Die Menopause hatte lange etwas Bedrohliches. Frauen wurde vermittelt, ihr Leben sei mit fünfzig zu Ende. Nun die totale Enttabuisierung. Wie zeigt sich das in Ihrer Praxis?

Die Offenheit ist schon grösser, allerdings sehe ich weiterhin viele Frauen, die die Menopause nicht einfach bejahen. Sie bleibt ein Schreckgespenst. Zu lange wurde den Frauen suggeriert, sie würden mit der Menopause ein altes vertrocknetes Guetzli.

Das sagen die Frauen so?

Es ist spürbar. Seit zwei, drei Jahren fragen meine Patientinnen nach Hormonen, sobald sie ein gewisses Alter erreichen. Das beginnt schon bei Frauen um die vierzig, die erste Anzeichen spüren, dass etwas mit ihrem Körper geschieht. Sie sind alarmiert, sobald der Abstand zwischen den Monatsblutungen unregelmässiger wird. Die Nachfrage nach einer Hormonersatztherapie stieg sprunghaft an.

Was ist passiert?

Einen grossen Einfluss hat das Buch «Woman on Fire» der amerikanischen Frauenärztin Sheila de Liz. Praktisch jede zweite Frau liest das heute, Freundinnen schenken es sich gegenseitig. Es ist unglaublich. Ich wurde und werde ständig darauf angesprochen, so dass ich es schliesslich selber gelesen habe, um zu wissen, was daran die Frauen so inspiriert.

De Liz spricht von den «fabelhaften Wechseljahren», die man erleben kann, wenn man offen für Hormone ist. Sie preist deren verjüngende Wirkung geradezu an.

Vieles darin tönt Hollywood-like. De Liz schreibt der Hormoneinnahme eine Wunderwirkung zu, so dass sich jede Frau dumm vorkommen muss, die darauf verzichtet. «Du machst etwas falsch», wird ihr eingeredet. Ich will das Buch nicht verteufeln, vieles stimmt aus medizinischer Sicht. Mich ärgert nur, wie alternativlos die Hormoneinnahme dargestellt wird, als ob man nur so erfüllt alt werden kann.

Fanden sich Frauen früher eher damit ab, dass ihr Körper altert und sich verändert, oder war einfach die Hemmung grösser, Chemie zu schlucken?

Die Mehrheit der Frauen in den mittleren Jahren hat die Hormoneinnahme abgelehnt, auch Frauen, die davon profitiert hätten, weil ihre Wechseljahrbeschwerden so stark waren, sie unter Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen oder Gelenkschmerzen litten. Lange hiess es: Finger weg von Hormonen! Heute weiss man, dass sich das Brustkrebsrisiko durch die hormonelle Behandlung nur leicht erhöht.

Sagten die Frauen damals eher noch: Die Menopause ist ein natürlicher Prozess im Leben einer Frau, er gehört dazu?

So argumentierten viele. Sie wollten diese Phase durchleiden. Es gibt die Frauen immer noch. Doch das Pendel schlägt auf die andere Seite aus.

Was ist ein häufiges Anzeichen, das Frauen beunruhigt?

Das absolute Schlagwort ist der «brain fog», der Gehirnnebel. Man ist vergesslich, zerstreut. Das höre ich ständig. Aber nicht jeder «brain fog» ist hormonell bedingt. Typisch ist die mehrfach belastete Frau, die merkt, dass ihre geistige Leistungsfähigkeit nachlässt. Es ist dann wichtig, nach den Lebensumständen zu fragen.

Sie wollen herausfinden, ob eine Frau bloss mit dem Älterwerden hadert oder mehrfach belastet ist durch Beruf und Familie?

Ich sehe viele Frauen, die in diesem Multitasking-Modus sind, die Kinder haben und arbeiten. Ihr Leben ist durchgetaktet. Es ist verständlich, dass man da erschöpft ist. Oder eben diesen «brain fog» spürt. Das Hirn ist nicht so angelegt, dass man die ganze Zeit an mehrere Dinge gleichzeitig denken kann. Das geht wunderbar mit 25. Mit ungefähr 40 verändert es sich. Es ist ein Kurzschluss, zu meinen, man müsse dann nur Hormone nehmen und könne weiter fuhrwerken wie bisher.

Beklagen sich die Frauen auch über eine verminderte Lust auf Sex?

Das gehört dazu. Die Libido ist ein zartes Pflänzchen. Viele Frauen mit Libidoverlust haben weder Zeit für sich noch für die Partnerschaft. Die Sexualität lässt sich nach einem pumpenvollen Tag abends im Bett nicht auch noch abhaken. Und auch da taugt der Hinweis auf früher wenig, als man noch mehr Energie hatte.

Zu einem begehrten Hormon neben Östrogen und Progesteron ist Testosteron geworden für Frauen in der Menopause, das Männlichkeitshormon. Es soll die Libido steigern. Was ist da dran?

Zwar reden im Moment alle von Testosteron, aber auch darum ranken sich viele Mythen. Für Sheila de Liz ist die Libido gleich Testosteron. Wenn das Testosteron am Feuern sei, schreibt sie, habe eine Frau so viel Lust, dass sie am liebsten einen Seitensprung machen würde. Doch bei den Frauen, die auch sonst mit ihrem Leben unzufrieden sind, wird sich Testosteron kaum auf die Libido auswirken.

Verschreiben Sie es?

Selten. Das Testosteron von Frauen ist tief, es fällt ab dem zwanzigsten Lebensjahr kontinuierlich. Eine Verschreibung muss gut begründet sein, da die Wirkung eines über der Norm gehaltenen Testosteronspiegels noch nicht erforscht ist. Aber sobald wieder ein Medienbeitrag dazu erscheint, klingelt bei mir anderntags das Telefon, dann stürmen mir die Frauen wirklich fast die Praxis.

Frauen, die Testosteron nehmen, berichten, dass sie sich weniger abgeschlagen fühlten, sie schliefen besser, seien fokussierter und durchsetzungsfreudiger, auch wollten sie nicht mehr allen gefallen. Ist dies bloss Einbildung?

Man weiss, dass 30 Prozent davon mit dem Placeboeffekt zu erklären ist. Aber tatsächlich hat das Testosteron die von Ihnen beschriebene Wirkung, es sind ja auch die sogenannt männlichen Attribute, die damit verstärkt werden. Deshalb ist Testosteron immer wieder als bewährtes Doping bei Frauen eingesetzt worden.

Riskiert man eine Vermännlichung?

Bei Frauen wird viel niedriger dosiert als bei einem Mann. Dabei muss der Testosteronspiegel überwacht und regelmässig kontrolliert werden. Ist er zu hoch, kann es zu Nebenwirkungen kommen, die irreversibel sind. Dazu gehören eine tiefere Stimme und der männlich betonte Haarausfall, bei dem sich Geheimratsecken bilden.

Kann man es verurteilen, wenn eine Frau sich wieder lebendig fühlen möchte? Wenn sie begehren und begehrt werden und die Kraft einer gesunden Sexualität spüren will?

Natürlich nicht. Menschen mit einer lebendigen und befriedigenden Sexualität, seien sie 40, 50, 60, 70 oder 80, sind gesünder. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Die Frage ist, ob es nur eine Hormoneinnahme braucht, um sich wieder lebendig zu fühlen. Ich würde mir wünschen, dass die Frauen selbstbewusster werden. Frauen entschuldigen sich manchmal, wenn sie seit 20 oder 30 Jahren mit demselben Mann zusammen sind, den sie gerne haben.

Sie entschuldigen sich?

Im Sinn: Es ist immer noch der Gleiche, aber wir haben es gut. Das ist doch wunderbar! Man steht nicht still, sondern entwickelt sich miteinander. Es stört mich, wenn ich sehe, dass die Frauen sich den männlichen Idealen angleichen. Was macht ein 50-Jähriger? Er kauft sich einen Porsche und hat eine 20 Jahre jüngere Freundin.

Ist das nicht ein Klischee?

Es ist überzeichnet, zugegeben. Auch sei das jeder Frau um die 50 gegönnt. Aber es wäre schade, wenn die Frauen dieses Verhalten zum neuen Normalen ernennen.

Die Kehrseite der Enttabuisierung ist also, dass Frauen unter Druck stehen: Die Wechseljahre müssen fabelhaft werden, und Hormone scheinen die Lösung dafür. Ist das für Sie aus feministischer Sicht ein Rückschritt?

Als ich in den 1990er Jahren mit der Sprechstunde begann, hatte ich nur männliche Chefs. Sie rieten ausnahmslos zu Hormonen, weil eine Frau dadurch angeblich besser altere. Sie kritisierten mich, wenn ich einer Frau keine Hormone verschrieben habe, weil sie keine Symptome hatte oder das nicht wollte. Heute gibt es wieder einen Zwang, dass man meint, man müsse alles tun, um die Schönheit zu bewahren, die Glätte der Haut, den sportlichen Körper. Die Frau bleibt ein Objekt. Im Moment scheint dies aber weniger von den Männern auszugehen, sondern die Frauen setzen sich selber unter Druck. Das finde ich bedenklich.

Bei jungen Frauen ist es gerade umgekehrt. Sie sind heute viel skeptischer gegenüber Hormonen und verzichten immer häufiger auf die Anti-Baby-Pille. Beobachten Sie das auch?

Das zeigen auch die Zahlen. Meine Patientinnen begründen es mit der Angst, dass sie unter Stimmungsschwankungen leiden und depressiv werden könnten. Einen grossen Einfluss haben die sozialen Netzwerke. Wenn eine junge Frau auf Instagram oder Tiktok postet, dass sie depressiv geworden sei unter der Pille, verbreitet sich das Misstrauen gegen diese Form der Verhütung explosionsartig.

Zu Recht?

Es ist eine der seltenen Nebenwirkungen. Die Ablehnung scheint eher damit zu tun haben, dass die jungen Frauen heute deprimierter sind. Manchmal sagen sie auch, sie wollten möglichst keinen Eingriff in das Natürliche, und die Hormoneinnahme sei überhaupt schlecht für die Gesundheit. Doch die Pille ist seit über 50 Jahren auf dem Markt. Sie wurde aufgrund der Erfahrungen und Risiken ständig weiterentwickelt.

Junge Frauen lassen die Finger von Hormonen, ältere Frauen verlieren jede Scheu davor. Hat das nicht eine Ironie?

Es bildet den gesellschaftlichen Wandel ab, und das macht meine Arbeit über das Medizinische hinaus so interessant. Es fällt auf, wie feministisch und selbstbewusst die jungen Frauen unterwegs sind im Vergleich zu Frauen zwischen 50 und 60. Sie sagen, was sie wollen, auch in Bezug auf ihre Sexualität, und formulieren ihre Wünsche offen.

Was wünschen Sie sich für die Frau in der Mitte des Lebens?

Die mittleren Jahre können eine Bereicherung sein. Ich empfehle den Frauen jeweils, etwas anarchisch zu werden. Endlich kann man wieder machen, was man will. Viele Frauen können erst mit 50 die Mäntel, die sie ein Leben lang getragen haben, abstreifen. Sich lösen von den Erwartungen, die ihre Eltern oder ihr Umfeld an sie richteten. Sie haben ihre Karriere, stehen im Leben, verdienen sich dieses selber. Sie müssen nicht mehr allen gefallen. Viele Frauen haben eine so selbstbewusste, tolle Ausstrahlung, ohne dass sie den gängigen Schönheitsnormen entsprechen mit gemachtem Busen und Kleidergrösse 38. Das ist für mich echte Emanzipation.

Susanne Spoerri ist Gynäkologin mit eigener Praxis in Zürich.

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