Freitag, November 14

Wann ist ein Mann ein Mann? Und wie männlich muss ein Präsident sein? Darüber streitet Amerika derzeit. Die Antworten darauf könnten die Wahl im November entscheiden.

Seit Bill Clinton gilt in den USA: «It’s the economy, stupid!» Die harten Themen entscheiden umkämpfte Präsidentschaftswahlen, so lautet die herkömmliche Meinung. Die Wähler hören demgemäss auf ihr Portemonnaie. Und dessen Füllstand wird von nackten Zahlen bestimmt: Zahlen zur Inflation, Arbeitslosigkeit oder zu den Börsenkursen. Doch derzeit diskutiert Amerika vor allem über Männlichkeit. «It’s the gender, stupid!», scheint die Devise zu lauten.

Bereits bevor Kamala Harris zur Kandidatin der Demokraten aufstieg und sich mit Tim Walz eine fürsorgliche Vaterfigur als Vize zur Seite nahm, zelebrierte Donald Trump sich als unbesiegbarer Krieger. Noch vor dem Parteitag der Republikaner legten sich Trumps Berater auf eine Kernbotschaft fest: «schwach gegen stark». In einem Interview im Dezember sagte Trump über Joe Biden: «Wenn ich puste, würde er glatt umfallen.»

Donald Trump, der Superheld

Auf T-Shirts und anderen Fanartikeln wird Trump seit Jahren gerne als übermännlicher Muskelprotz und Superheld dargestellt. Dann kam das gescheiterte Attentat auf Trump am 13. Juli in Pennsylvania. Nachdem ein Schuss ihn am Ohr gestreift hatte, ging der ehemalige Präsident nur kurz zu Boden. Unerschrocken erhob er sich wieder. Mit Blut im Gesicht und erhobener Faust skandierte er: «Kämpft, kämpft, kämpft!» Der vom Marketing kreierte Heldenmythos erschien plötzlich ganz real.

In der folgenden Woche ging der Testosteron-Hype am Parteitag der Republikaner in Milwaukee weiter. Vor Trumps grosser Rede sorgte eine bestimmte Sorte von Männern für die grosse Show auf der Bühne. Dana White, der CEO eines Kampfsport-Veranstalters, trat auf und sagte über Trump: «In meinem Geschäft geht es um starke Kerle. Und dieser Mann ist der stärkste, widerstandsfähigste Mensch, den ich je in meinem Leben getroffen habe.» Der gealterte Wrestling-Star Hulk Hogan zerriss sein T-Shirt und schrie: «Lass Trumpmania freien Lauf, Bruder.» Zu dröhnenden Gitarren rappte der Sänger Kid Rock eine Version seines Songs «American Bad Ass» – eine Hymne auf knallharte Typen.

Obendrein machte Trump mit dem Senator J. D. Vance einen Mann mit Bart zu seinem Vizepräsidenten. Er ist der erste «running mate» mit behaartem Gesicht seit Charles Curtis vor fast hundert Jahren. In Interviews äusserte sich Vance wiederholt abschätzig gegenüber kinderlosen Frauen. Unter anderem hegte er die Idee, dass diese weniger Mitbestimmungsrechte haben sollten, weil sie nicht in die Zukunft des Landes investierten.

Verunsicherte junge Männer im Visier

Trump dürfte nicht alles gefallen haben, was Vance über Frauen sagte. Trotzdem scheinen er und sein Wahlkampfteam eine bewusste Strategie zu verfolgen: Sie wollen vor allem junge Männer für sich gewinnen. Gemäss Gallup-Umfragen bezeichnen sich lediglich 25 Prozent der amerikanischen Männer unter dreissig Jahren als politisch links und 29 Prozent als konservativ. Bei den Frauen in derselben Altersgruppe stehen hingegen 40 Prozent links, und nur 21 Prozent beschreiben sich als konservativ. Trump und seine Berater sehen insbesondere ein Potenzial bei enttäuschten Männern, welche sich als Verlierer der zunehmenden Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern sehen. «Unter jungen Männern herrscht eine Verwirrung darüber, wohin sie gehören und was es bedeutet, ein Mann zu sein», erklärte der Meinungsforscher Daniel Cox kürzlich in einem Interview.

Das von Cox geführte Survey Center on American Life veröffentlichte 2023 eine Studie. Gemäss dieser fühlen sich junge Männer in den USA aufgrund ihres Geschlechts zunehmend diskriminiert. Richard Reeves, der Gründer des Institute for Boys and Men, führt die maskuline Sinnkrise auf eine Veränderung des Arbeitsmarktes zurück, der heute mehr «Hirn statt Muskeln» verlange. In diesem veränderten Wettbewerb schneiden die Frauen besser ab. Ganze 61 Prozent der Master-Absolventen an den amerikanischen Universitäten sind Frauen. Eine Erhebung des Pew Center fragte dieses Jahr nach der Meinung zu folgender Feststellung: «Die Fortschritte der Frauen in der Gesellschaft gingen auf Kosten der Männer.» Insgesamt 40 Prozent der Trump-Anhänger unter fünfzig Jahren teilten diese Meinung.

Trump versucht diese Wählergruppe zu erreichen, indem er Interviews mit Influencern gibt, die bei jungen Männern beliebt sind. Kürzlich etwa sprach er mit Adin Ross. Dieser wurde bekannt dadurch, dass er sich selbst beim Spielen von Videospielen filmte. Auch der selbsterklärte Sexist und Frauenfeind Andrew Tate war zu Gast in seinen früheren Sendungen. Die Internetplattform Twitch verbannte Ross wegen schwulenfeindlicher Aussagen sowie anderer problematischer Inhalte in seinen Streams. Auf dem Kurznachrichtendienst X hat Ross indes ein Publikum von 2,5 Millionen Followern. Zum Interview brachte Ross dem ehemaligen Präsidenten als Geschenk zwei Männerträume mit: eine Rolex und einen Tesla Cybertruck im Trump-Design.

Den Nelk Boys gewährte Trump zwei Interviews, spielte Golf mit ihnen und nahm sie 2020 mit in der Air Force One. Die Youtube-Stars sind bekannt für ihre Videos von derben, bisweilen infantilen Streichen und wilden Partys. Während des Parteitags der Demokraten im August filmten sich die Boys, wie sie sich die Rede von Kamala Harris anschauten. Einer von ihnen nahm einen grossen Vorschlaghammer und zertrümmerte den grossen Flachbildschirm. Auf X schrieben sie dazu: «Kamala Harris wird niemals meine Präsidentin sein.»

Eine fürsorgliche Vaterfigur bei den Demokraten

Auch die Demokraten zelebrierten die Männlichkeit auf ihrem Parteitag. Allerdings eine ganz andere Form davon. Kamala Harris wählte mit Tim Walz keinen knallharten Superhelden als «running mate», der allein die Welt retten will. Walz ist zwar auch ein Jäger, ein Waffenbesitzer und ein ehemaliger Offizier der Nationalgarde. Aber sie wählte mit dem ehemaligen Football-Coach vor allem einen fürsorglichen Teamplayer, der am Parteitag offen über die Schwierigkeiten sprach, mit seiner Frau Kinder zu zeugen. Die Medien nennen Walz derweil «everyone’s dad» – eine Vaterfigur, die sich jedes Kind wünschen würde. Im Wahlkampf wiederholt Walz nun immer wieder diesen Satz über Trump: «Er traut den Frauen nicht, und sie trauen ihm ganz bestimmt nicht.» Walz gibt sich als Frauenversteher, nicht als Frauenheld wie Trump.

Harris’ Ehemann, Doug Emhoff, betonte seinerseits, wie viel ihm seine Frau geholfen habe: «Kamala Harris war genau die richtige Person in einem wichtigen Moment meines Lebens. Und in diesem Moment in der Geschichte unseres Landes ist sie genau die richtige Präsidentin.» Er versicherte aber auch, dass Harris im Weissen Haus durchaus ihren Mann stehen könne: «Sie ist eine frohe Kriegerin. Und auch frohe Kriegerinnen sind immer noch Kriegerinnen.» Harris sei so «stark» wie es nur gehe, und laufe niemals vor einem Kampf davon.

Trump hingegen redet Harris schwach. Ausländische Staatsführer würden sie wie ein «Spielzeug» behandeln, sagte er in einem Interview. «Sie werden sie völlig übergehen.» Warum er so denkt, wollte Trump nicht erklären. Aber die «Wall Street Journal»-Journalistin Molly Ball meinte: «Spielt er darauf an, dass sie eine Frau ist? Er sagt das nicht. Aber viele Leute werden das bei solchen Kommentaren hören.»

Die Partei der Frauen gegen die Partei der Männer

Die parteipolitische Polarisierung in der Geschlechterdebatte ist nicht neu in den USA. Aber sie spitzt sich in dieser Wahl offensichtlich zu. «Die Demokraten versuchen als Partei der Frauen zu gewinnen, die Republikaner versuchen als Partei der Männer zu gewinnen», erklärte Richard Reeves gegenüber dem Nachrichtenportal «Axios». Entsprechend gross ist der Gender-Gap. Gemäss einer aktuellen Umfrage der Suffolk University wollen 57 Prozent der Frauen für Harris stimmen, für Trump nur 36 Prozent. Bei den Männern führt Trump mit 51 Prozent, Harris kommt auf 38 Prozent.

Das Rennen um das Weisse Haus wird in den USA deshalb als «Boys-gegen-Girls-Wahl» bezeichnet. Mit seiner Wette auf die Boys scheint Trump dabei aber ein grosses Risiko einzugehen: In den amerikanischen Wahlregistern sind die Frauen gewöhnlich in der Mehrheit, vor vier Jahren waren es 10 Millionen mehr. Zudem ist die weibliche Wahlbeteiligung höher. Bei den Wahlen 2020 lag sie bei 68,4 Prozent, jene der Männer betrug 65 Prozent.

Mit dem Kampf für das Recht auf Abtreibung gibt es zudem ein Thema, das Frauen besonders stark mobilisiert. Ausserdem scheint Kamala Harris die Lücke bei den jungen Wählern zu schliessen. Traditionell stimmten Amerikaner unter dreissig Jahren mit grosser Mehrheit für die Demokraten. Doch als Biden im Frühling noch der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat war, betrug sein Vorsprung auf Trump bei jungen Männern nur noch 5 Prozentpunkte. Gemäss einer neuen Umfrage der Harvard University konnte Harris diesen Vorsprung nun auf 17 Prozentpunkte ausbauen. Bei jungen Frauen beträgt ihr Vorteil allerdings 47 Prozentpunkte.

Am Ende könnte Joe Biden womöglich recht behalten. In seiner Rede am Parteitag der Demokraten meinte der Präsident mit Blick auf die bevorstehende Wahl: «Donald Trump wird die Macht der Frauen kennenlernen.»

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