In Deutschland haben sich Union und SPD auf eine radikale Abkehr von der bisherigen, vorsichtigen Finanzpolitik geeinigt. Infrastruktur und Verteidigung sollen über eine massive Verschuldung (mit-)finanziert werden. Die Zeche zahlen künftige Generationen.
Ein derart umfangreiches deutsches Schuldenprogramm haben die wenigsten Beobachter erwartet: Sichtlich beunruhigt, wenn nicht geschockt von den weltpolitischen Entwicklungen der vergangenen Tage haben sich die konservativen Unionsparteien CDU und CSU und die Sozialdemokraten (SPD) auf ein schuldenfinanziertes Verteidigungs- und Infrastrukturpaket geeinigt. Die Verständigung erfolgte im Rahmen der noch laufenden Sondierungen über die Bildung einer künftigen Regierung. Unabhängig von deren Fortgang soll das Finanzpaket schon nächste Woche vom alten Bundestag beschlossen werden soll.
Alter Bundestag soll beschliessen
Union und SPD setzen darauf, im alten Bundestag dank einer Unterstützung durch die Grünen die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die nötigen Änderungen am Grundgesetz zu finden. Nach der Konstituierung des vor zehn Tagen gewählten neuen Bundestags könnte dies schwieriger werden, weil AfD und Linkspartei gemeinsam eine Sperrminorität haben.
Im Einzelnen hat das Paket, das der CDU-Chef und voraussichtliche künftige Bundeskanzler Friedrich Merz am Dienstagabend zusammen mit den Spitzen von SPD und CSU vorgestellt hat, vier Elemente: Erstens sollen künftig sämtliche Verteidigungsausgaben, die 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts oder derzeit rund 44 Milliarden Euro pro Jahr überschreiten, von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Alles darüber hinaus könnte also künftig über Schulden finanziert werden.
Zweitens wollen Union und SPD ein «Sondervermögen» von 500 Milliarden Euro schaffen, mit dem sie für zehn Jahre die Infrastrukturausgaben finanzieren wollen. Gemeint ist die Aufnahme von Schulden in diesem enormen Umfang, die nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Das dritte Element besteht darin, künftig auch den Bundesländern eine leichte Neuverschuldung zu ermöglichen. Viertens soll eine Expertenkommission Vorschläge für weitere, langfristige Reformen der Schuldenbremse im Verlaufe der Legislaturperiode ausarbeiten.
Insgesamt kommt das Paket einer radikalen Kehrtwende in der deutschen Finanzpolitik gleich. Die Schuldenbremse, die bisher enge Grenzen für die Neuverschuldung vorgibt und den Deutschen eine moderate Verschuldung gesichert hat, wird de facto weitgehend bedeutungslos.
Verteidigung: Ja, aber
Richtig ist, dass sich Europa und damit Deutschland angesichts des Gebarens von US-Präsident Donald Trump dringend darauf einstellen müssen, sich notfalls auch ohne die USA verteidigen und die Ukraine unterstützen zu können. Das bedingt deutlich höhere Verteidigungsausgaben. Zwar muss im Normalfall auch das Militär als dauerhafte staatliche Kernaufgabe aus laufenden Einnahmen finanziert werden, will ein Staat nicht in eine stetig steigende Verschuldung schlittern. Doch für eine Übergangsfrist liesse sich hier angesichts der fast täglich steigenden Dringlichkeit ein Sondervermögen rechtfertigen, um Zeit zu gewinnen für die nötigen Umschichtungen im regulären Haushalt.
Unverständlicherweise bleibt die Einigung von SPD und Union ausgerechnet in diesem Bereich unverbindlich: Wie hoch die Verteidigungsausgaben künftig sein werden, ist vorerst offen. Klar ist nur, dass auf Dauer ein erheblicher Teil über Schulden finanziert werden soll. Das Umgekehrte wäre richtig.
Inflation droht
Der zweite ordnungspolitische Sündenfall ist der Infrastrukturfonds. Gewiss, Schienen, Brücken und Schulen sind nach Jahren wenn nicht Jahrzehnten der Vernachlässigung verlottert. Doch das hat nichts mit Trump zu tun, ist heute nicht dringender als vor zwei Wochen oder zwei Jahren, und muss über eine längere Zeit korrigiert werden. Es kann und muss aus dem regulären Haushalt finanziert werden.
Kurzfristig wird diese Schuldenorgie, wenn sie denn kommt, dem Staatshaushalt und damit den Steuerzahlern deutlich höhere Zinskosten bescheren. Wer so viel zusätzliches Geld in die Wirtschaft pumpt, riskiert zudem Inflation, weil die nötigen Kapazitäten zum Beispiel in der Bauwirtschaft vorerst gar nicht vorhanden sind und deshalb zunächst vor allem auch die Preise steigen werden.
Arme Junge
Vor allem aber nehmen Union und SPD mit dieser Vorab-Einigung jeden Druck weg, in der nächsten Legislaturperiode im Staatshaushalt endlich Prioritäten zu setzen und Einsparungen zum Beispiel beim überbordenden Sozial- und Subventionswesen vorzunehmen. Stattdessen kann gewurstelt werden wie bisher, jeder kann seine Klientel versorgen – und die Zeche dafür hinterlässt man über höhere Schulden künftigen Generationen. Gerecht ist das nicht. Und es ist das Gegenteil dessen, was Merz im Wahlkampf versprochen hat.
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