Der Nationalcoach ist in blendender Verfassung. Das hat damit zu tun, dass er zum ersten Mal in seiner Trainerkarriere gelernt hat, auf seine Spieler zu hören und Fehler zu korrigieren. Erfindet sich Yakin gerade neu?

Also doch: Er ist der Richtige. Mit dem beeindruckenden 2:0-Sieg im EM-Achtelfinal gegen Italien hat der Nationaltrainer Murat Yakin die im Vorfeld der Endrunde gehegten Zweifel vom Tisch geräumt, dass er nicht der geeignete Coach sein könnte für die Schweizer Auswahl. Vier EM-Spiele später steht Yakin bereits auf der gleichen Stufe wie Vladimir Petkovic, der den bisher grössten Erfolg erreicht hatte. Yakins Vorgänger legte vor drei Jahren mit dem Achtelfinal-Sieg gegen den damaligen Weltmeister Frankreich die Messlatte. Im Berliner Olympiastadion hat sie Yakin am Samstag übersprungen.

From zero to hero: So schnell geht es im Fussball, diesem Geschäft mit Hoffnungen und Emotionen. Bereits wird Yakin von Fans und Medien zum «besten Nationaltrainer aller Zeiten» ausgerufen. Die Welle der Begeisterung wogt durch die Öffentlichkeit. Aber gemach: Murat Yakin mag für die Schweizer Freunde und Freundinnen des Fussballspiels der Trainer der Stunde sein, die Spieler und die Mannschaft die Helden dieser Tage. Nüchtern betrachtet ist jedoch erst das Erreichen des Halbfinals der Moment für den Gebrauch von Superlativen wie «bester» oder gar «aller Zeiten».

Ein Tiefpunkt, der lange nachwirkte

Die Leistung der Schweizer war gegen Italien freilich so aufdringlich herausragend und dominant, dass sie Yakin und seine Mannschaft bei aller Zurückhaltung dem Verdacht aussetzt, in die Sphäre des Superlativs vordringen zu können. Sie erweckt den Eindruck von Reife, sie scheint zu einer Turniermannschaft geworden zu sein, die sich von nichts und niemandem beirren lässt. Als Nächstes geht es am Samstag im Viertelfinal in Düsseldorf gegen England.

Der Halbfinal? Möglich. Der Final? Nicht auszuschliessen. «Europameister» würde das heissen, was danach käme. «Wir wissen nicht, wie weit wir kommen können, wir wissen nur, dass wir am Samstag bereit sein werden», sagte Granit Xhaka am Sonntag.

Die Schweizer reiten in diesen Tagen auf einer Welle des Erfolgs und der Zuversicht. Und zuoberst steht der Trainer Yakin, mit Hipster-Brille – und nicht mehr mit grauen Strähnen wie im letzten Herbst, sondern mit den silbernen Haaren des Siegers. Es wirkt, als hätte die Erfolgswelle der Schweizer die finale Grösse noch nicht erreicht.

Nur: Woher kommt diese Welle?

Vielleicht liegt einer der Ursprünge für den Erfolg in einer schweren Niederlage, wie das so oft der Fall ist, gerade im Sport. Als vor zweieinhalb Jahren nach dem 1:6 gegen Portugal im Lusail-Stadion die Aufarbeitung des WM-Achtelfinals in Katar anfing, begannen sich zwischen Trainer und Spielern tiefe Gräben aufzutun. «Der Trainer bestimmt Aufstellung und Taktik», sagte damals der unzufriedene Haris Seferovic nach seinem letzten Auftritt als Nationalspieler. Er sei «nicht krank gewesen», teilte Nico Elvedi mit, nachdem der Verteidiger auf der Bank gesessen und hatte zuschauen müssen dabei, wie sich der ihm vorgezogene Edimilson Fernandes von den Portugiesen übertölpeln liess.

Kurz: Es war ein Achtelfinal, in dem Yakin mit der wirren Vorbereitung die Mannschaft enttäuscht hatte. Die Spieler verloren ein Stück Glauben an den Trainer. Das hatte Folgen, weit über ein paar Wochen und Monate hinaus.

Der Tiefpunkt im gestörten Verhältnis folgte erst ein Jahr später, am Ende der EM-Qualifikation im November 2023. Nach dem letzten Spiel in Bukarest wiederholte sich, was schon in Katar passiert war: Die Spieler liessen ihrem Unmut über Taktik, Aufstellung und anderes unverblümt freien Lauf. Xherdan Shaqiri beschwerte sich über die defensive Ausrichtung, Manuel Akanji bemängelte fehlende Qualität, in Granit Xhaka brodelte es dermassen, dass der Captain wortlos davonstapfte. Yakin beschwor die Vorfreude auf die EM, müde und fahl. Es war ein Tiefpunkt, der aussah wie das Ende.

Nun hat er in Contini einen wichtigen Vertrauensmann

Es war nicht das erste Mal, dass Yakin an einem Punkt angelangt war, an dem es zwischen ihm und der Mannschaft nicht mehr weiterging. Das war so im FC Luzern, es wiederholte sich im FC Basel, als er noch den Meistertitel abholen durfte und dann gehen musste wegen interner Unverträglichkeiten und anderem. Bei den Grasshoppers war es nach einer halben Saison mit guten Resultaten wieder so: Yakin wurde entlassen, weil er sich verzettelt hatte. Im Schweizer Nationalteam schien ein weiteres Mal dieser Punkt erreicht. Medien und Publikum forderten die Entlassung.

Im Nachhinein fällt das Urteil leicht, dass es vom Schweizerischen Fussballverband (SFV) und Yakins direktem Vorgesetzten Pierluigi Tami richtig gewesen sei, an Yakin festzuhalten. Aber dieses Vorgehen stellt sich erst jetzt, ein halbes Jahr später, als richtig heraus. Tami und Yakin nutzten die Zeit, um an Stellschrauben zu drehen, mit dem Ergebnis, dass die Schweizer nun den EM-Viertelfinal erreicht haben. «Es sind viele Elemente, die wir verändert haben», sagte Tami am Sonntag.

Eines der wichtigsten Elemente sitzt auf der Trainerbank und heisst Giorgio Contini. Yakin arbeitete bereits im FC Luzern mit dem erfahrenen, vielsprachigen und eloquenten Assistenten, der mit Yakin einen Umgang auf Augenhöhe pflegt. Yakin hat so ein Gegenüber, mit dem er seine Taktik-Tüfteleien diskutieren kann. «Wir verstehen uns blind», sagte Yakin mehrfach. Das ist auch wichtig für rasch zu treffende Entscheide im Spiel. Man sieht die beiden manchmal bei Beratungen in der Coaching-Zone beieinanderstehen – ein Bild, das es mit Continis Vorgänger Vincent Cavin nicht gab. Contini ist auch ein Trainer, der die Sprache der Spieler spricht und schnell von ihnen akzeptiert worden ist.

Vielleicht am wichtigsten für den Erfolg der Schweizer dürfte gewesen sein, was eher hinter den Kulissen ablief: Yakin holte sich das Vertrauen der Spieler zurück. Allen voran das Vertrauen von Captain Granit Xhaka, der auf und neben dem Platz Leitwolf und Anführer ist. «Er hat mich besucht, wir haben gar nicht viel über Fussball gesprochen, sondern viel über andere Dinge», sagte Xhaka am Sonntag, «ich brauche das Vertrauen des Trainers, es geht um positive Energie.» Noch im Herbst hatten die beiden Gockelkämpfe ausgetragen, heute ist da eine grosse Harmonie. Jetzt ist die positive Energie zurück zwischen Chef-Spieler und Chef-Trainer. Und beide profitieren.

Yakins Vertrag endet mit der EM. Noch im März hatte er eine Verlängerung ausgeschlagen, unterdessen ist er in der starken Position, Bedingungen stellen zu können. Und natürlich wächst das Interesse am Schweizer Trainer, aus Saudiarabien soll es Offerten geben, die viel Geld versprechen. «Mit solchen Summen können wir nicht mithalten», sagte Tami stellvertretend für den SFV, «ich erlebe einen Trainer, der sich nur auf das Turnier konzentriert. Yakin wird selber sagen, was er danach machen will.»

Yakin ist am besten, wenn er den Moment geniesst. Das macht er zurzeit in Bestform. Und diese Phase soll noch andauern, so lange wie möglich. Und wenn sie vorbei ist, will Yakin als der beste Trainer der Schweizer Nationalmannschaft in die Geschichte eingehen.

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