Mittwoch, Februar 12

Monte dei Paschi di Siena, die älteste noch existierende Bank der Welt, musste von den Steuerzahlern gerettet werden. Jetzt hat sie wieder grosse Ambitionen und mischt den italienischen Finanzplatz auf – mit dem Segen von Giorgia Melonis Regierung.

Es gab Zeiten, da war das kleine Siena eine Grösse im Bankgeschäft. Die Monte dei Paschi di Siena (MPS) versorgte Stadt und Region mit Geld: Die Wirtschaft erhielt reichlich Kredite, Sportvereine und Kulturinstitutionen blühten dank finanzieller Unterstützung der Bank auf, und auch die Politik kam nicht zu kurz. Böse Zungen nannten den «Monte», wie die Sieneser dem 1472 gegründeten Finanzhaus sagen, den Bancomaten der Linken – die in der Toskana traditionell tonangebende politische Kraft.

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Siena, das war der Monte, und der Monte, das war Siena. Bis ins Jahr 2008 gab es innerhalb der Stadtmauern nur eine Bank: Monte dei Paschi. Die Filialen der Konkurrenz lagen weiter draussen, ausserhalb des historischen Zentrums.

«Die Klasse meines Vaters zählte 28 Schüler. 26 davon kamen nach der Schulzeit beim Monte unter», sagt Paolo Boschi. Er hat vor einigen Jahren das Traditionslokal «Da Guido» übernommen, das er heute unter dem Namen «Pier Pettinaio» weiterführt. Das rustikale Restaurant, an dessen Wänden Hunderte Fotos prominenter Gäste hängen, liegt nur einen Steinwurf vom MPS-Hauptsitz an der Piazza Salimbeni entfernt.

«Als es der Bank noch gut ging, reservierten die Chefs während des Palio gleich das ganze Lokal für sich und ihre Gäste und Geschäftspartner», sagt Boschi. Der Palio ist der Höhepunkt im Sieneser Kalender. In einem wilden Pferderennen um die Piazza del Campo messen sich in der Regel zweimal jährlich die Contrade, die 17 Stadtbezirke. Wer Siena verstehen will, sagen die Leute hier, muss den Palio besuchen. Er gehört zur Stadt wie das Sechseläuten zu Zürich – mit dem Unterschied, dass man sich in Siena das ganze Jahr über obsessiv mit dem Palio beschäftigt.

Osmotische Beziehungen

Während der Palio, diese wunderliche Tradition, in all den Jahren keine Baisse zeigte, stand es um den Monte zuletzt schlimm. Fast wäre das alte Bankhaus zusammengekracht unter der Last dessen, was sich am Palio in festlicher Form und Aufmachung manifestiert: die osmotische Beziehung zwischen Territorium, Stadt, Institutionen, Traditionen, Politik und Bank.

Sie führte «zu einer Verzerrung und Überschneidung der Rollen und Ziele» der verschiedenen Stakeholder, wie es in einem Untersuchungsbericht heisst, der im Jahr 2016 als Folge der Krise von MPS erarbeitet wurde. Besonders der in Siena und in der Toskana dominierende linke Partito Democratico (PD) bekam darin sein Fett ab. Das Genick gebrochen hatte der Sieneser Bank letztlich die teure und zwielichtig zustande gekommene Übernahme der Bank Antonveneta im Jahr 2007.

Statt satter Gewinne gab es nur noch rote Zahlen. Die Bank sass auf faulen Krediten. Zuletzt wurden die jährlichen Verluste auf rund vier Milliarden Euro veranschlagt. Der Monte war am Boden. «Es machte sich überall eine grosse Unsicherheit breit», sagt der Gastronom Paolo Boschi. Schliesslich musste die MPS vom Staat gerettet werden. Die damalige Regierung unter Paolo Gentiloni bewilligte 2017 im Einvernehmen mit der EU eine Kapitalspritze von 5,4 Milliarden Euro. Das Wirtschafts- und Finanzministerium in Rom wurde zum Mehrheitsaktionär in Siena.

Doch die Probleme blieben, und die Sanierung zog sich hin. 2021 versuchte Ministerpräsident Mario Draghi die Unicredit von Andrea Orcel zu überzeugen, MPS zu übernehmen. Aus Angst vor Altlasten sagte Orcel ab. Die von der EU-Kommission für die Privatisierung gesetzte Frist lief Ende 2021 ohne Konsequenzen aus. Noch im Oktober 2022 sah sich die Bank zur siebten Kapitalerhöhung innerhalb von 14 Jahren gezwungen. Von den 2,5 Milliarden Euro, die vor allem für die Kosten des Personalabbaus gebraucht wurden, zeichnete die inzwischen an die Macht gelangte Regierung von Giorgia Meloni 1,6 Milliarden Euro.

Danach kam endlich Bewegung in die Sache. Der seit Februar 2022 als CEO amtierende Bankmanager Luigi Lovaglio ging energisch vor. Es kam zu einem weiteren Personalabbau, zu Filialschliessungen, zur Beseitigung von faulen Krediten und zu Investitionen im Digitalbereich. Das Jahr 2024 konnte MPS mit einem Gewinn von über 1,9 Milliarden Euro beenden, wie das Institut am Donnerstag bekanntgegeben hat.

Parallel dazu hat der Staat seine Beteiligung schrittweise wieder reduziert. Sie liegt unterdessen bei knapp 12 Prozent – womit die Vorgaben aus Brüssel mit Verspätung erfüllt sind. In der Stadtregierung von Siena hat das Mitte-rechts-Lager das Zepter übernommen, erst zum zweiten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Es ist, als wären die Sanierung der Bank und der Wandel der politischen Mehrheitsverhältnisse Hand in Hand gegangen.

«Der Monte ist zurück»

In Siena atmet man auf. «MPS hat wieder angefangen, eine Bank zu sein», sagt Paolo Boschi, der Wirt. Und Stefano Scaramelli, Vizepräsident des Regionalparlaments der Toskana und Mitte-links-Politiker, erklärt: «Der Monte ist endlich zurück.»

Scaramelli gehört zu einer jüngeren Generation von toskanischen Politikern und sagt von sich, dass er mit der Vergangenheit nichts zu tun habe. Unumwunden gibt er denn auch zu: «Die Politik hat Fehler gemacht.» Dass es der Bank nun wieder gut gehe, erfülle ihn mit Stolz. Der Phönix ist aus der Asche gestiegen.

Doch damit nicht genug. Zum Phönix gesellt sich nunmehr David. In der nächsten, noch ganz frischen Episode in der langen Geschichte von MPS geht es um den Kampf des kleinen Sieneser Finanzplatzes gegen den Goliath Mailand.

Die Geschichte geht so: Am 24. Januar 2025 schrecken Eilmeldungen die Märkte auf. «MPS will Mediobanca übernehmen», titeln die Nachrichtenportale, und Italien reibt sich die Augen. Wie bitte? Ein gerade noch moribundes Finanzhaus will sich eine fitte Mailänder Investmentbank einverleiben? Eine Bank mit einer Marktkapitalisierung von rund 8 Milliarden Euro wirft ein Auge auf ein Institut, das stolze 13 Milliarden Euro in die Waagschale wirft? Ob das gutgeht?

Dazu gibt es zwei Betrachtungsweisen, eine ökonomische und eine politische.

Die ökonomische besagt, dass auf dem Finanzplatz Italien in jüngster Zeit einiges in Bewegung geraten ist und eine weitere Konsolidierung ansteht. Mit Unicredit und Intesa Sanpaolo dominieren zwei Grossbanken das Geschäft. Sie sind nach Ansicht von Experten grundsolide, vital und beweglich. Andrea Orcels Unicredit hat sowohl ein Auge auf die deutsche Commerzbank geworfen als auch auf den italienischen Mitbewerber Banco BPM.

Hinter den beiden Grossen tut sich ein weites Feld auf. Monte dei Paschi möchte es anführen und zum dritten Pol in Italiens Bankenlandschaft werden. Lovaglio, der CEO von MPS, ist überzeugt, mit der Übernahme von Mediobanca einen «neuen nationalen Champion zu schaffen, der allen Beteiligten zugutekommt», wie er am Donnerstag bei der Präsentation der Zahlen verlauten liess.

Die Märkte haben aber wenig euphorisch auf die Pläne der Sienesen reagiert. Nach der Ankündigung Ende Januar hat der Kurs von MPS nachgegeben, derjenige von Mediobanca hingegen zugelegt. Damit hat sich das ursprüngliche Angebot der MPS an die Mediobanca-Aktionäre relativ verschlechtert. Die Mediobanca-Spitze hat es bereits abgelehnt und stellt sich auf einen Abwehrkampf ein.

Experten bezweifeln die industrielle Logik des Zusammenschlusses. «Meiner Meinung nach handelt es sich um eine riskante Operation, die wahrscheinlich wenig Nutzen bringt», sagt Pietro Reichlin, Professor am Institut für Wirtschaft und Finanzen an der Römer Luiss-Universität. MPS sei zwar mittlerweile wohl ausser Gefahr, aber noch immer eine fragile Bank, die sich in der Umstrukturierung befinde. Ausserdem sei es zweifelhaft, ob Mediobanca durch eine Fusion mit der MPS gestärkt würde. Die beiden Banken hätten sehr unterschiedliche Geschäftsmodelle.

Geht es um Generali?

Die politische Betrachtungsweise geht von anderen Prämissen aus. Die Regierung Meloni befürwortet den Aufbau eines dritten Bankenpols hinter den Marktführern Unicredit und Intesa Sanpaolo und unterstützt das Sieneser Bankhaus bei seinen Avancen in Mailand. Die einstmals rote Sieneser Bank hat plötzlich die Sympathie der Rechten gewonnen.

In Rom wird freilich darüber spekuliert, dass es der Regierung um einen anderen Schauplatz gehe: um die Generali, den Versicherungsriesen aus Triest, an dem Mediobanca mit 13 Prozent beteiligt ist. Generali plant derzeit ein Joint Venture mit dem französischen Vermögensverwalter Natixis – ein Vorhaben, das im Palazzo Chigi, dem Amtssitz der italienischen Regierung, mit grösster Skepsis beobachtet wird. Die Regierung befürchtet, dass italienische Vermögen damit unter die Kontrolle französischer Manager kommen. Ausserdem ist Generali ein wichtiger Zeichner italienischer Staatspapiere.

Der Regierung passt diese Operation ebenso wenig wie zwei schwerreichen italienischen Investoren, die schon seit langer Zeit die Kontrolle über Generali anstreben: dem Bau- und Medienunternehmer Francesco Gaetano Caltagirone, der Giorgia Meloni politisch nahesteht, und den Erben von Leonardo Del Vecchio, dem Gründer des Optikkonzerns Luxottica. Beide haben auch wichtige Anteile an MPS und unterstützen die Pläne des Managements, die Mailänder Mediobanca zu übernehmen. Gelingt diese Übernahme, könnte ein riesiger neuer italienischer Finanzkonzern aus Monte dei Paschi, Mediobanca und Generali entstehen.

«Italienische Financiers entscheiden sich selten für einen einfachen Plan, wenn es auch kompliziert geht», seufzte jüngst die «Financial Times» angesichts dieser schwer durchschaubaren Aktivitäten. Die italienischen Medien publizieren im Tagesrhythmus komplexe Infografiken, um ihren Leserinnen und Lesern die Zusammenhänge aufzuzeigen. Letztlich möchte die Regierung vermeiden, dass wichtige Player auf dem heimischen Finanzplatz ihrer Kontrolle entgleiten.

Wirtschaftsprofessor Pietro Reichlin kritisiert die Einflussnahme der Politik. «Meiner Meinung nach hat die Politik Interessen, die sich nicht mit dem eigentlichen Ziel decken, der Stärkung der Integration des europäischen Banken- und Finanzmarktes, von der die finanzielle Stabilität der Euro-Zone abhängt.»

In Siena selbst interessieren diese Weiterungen wenig. Hier dominiert erst einmal der Stolz darauf, dass der Monte nunmehr wieder die Rolle spielt, die ihm nach Ansicht der Einheimischen auf dem Bankenplatz Italien zusteht. Stefano Scaramelli, der Vizepräsident des Regionalparlaments, sagt: «Eine Geschichte, die 1472 angefangen hat, geht nun weiter. Und das ist gut so.» Er selbst hat als junger Mann seine berufliche Karriere beim Monte lanciert, wie viele andere auch in der Stadt und der Region.

«Ich bin ein Montepaschino», sagt er. Wenn er sich dereinst aus der Politik verabschiede, werde er wieder bei MPS arbeiten.

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