Freitag, Januar 24

Der Zürcher Damien Brunner war einer der spektakulärsten Stürmer seiner Generation. Er wurde in der Schweiz Liga-Topskorer und schaffte es bis in die NHL. Einem Titel jagte er vergeblich hinterher – nun zwingt ihn sein Körper mit 38 Jahren zum Rücktritt.

Am 4. Oktober 2008 entsenden die Verantwortlichen des EV Zug den legendären, 2021 verstorbenen Talentsucher Leo Schumacher in den Schluefweg. Der EHC Kloten empfängt den HC Davos, Schumacher soll einen Stürmer beobachten: den 22-jährigen Damien Brunner. Nach einem Drittel zückt Schumacher sein Handy und rät dem EVZ-Sportchef Patrick Lengwiler: sofort verpflichten.

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Es ist ein entscheidender Akt im denkwürdigsten und einseitigsten Tauschgeschäft der Schweizer Eishockeygeschichte. Der Dutzendstürmer Thomas Walser wechselt nach Kloten, Brunner nach Zug. Walser beendet seine Karriere zwei Jahre später in der Nationalliga B. Und aus Brunner erwächst einer der spektakulärsten Angreifer seiner Generation.

Es sind die offensiven Flugjahre des EVZ, unter dem feurigen Trainer Doug Shedden spielt Zug das unterhaltsamste Eishockey der Liga. Brunner, dieser technisch beschlagene, tempofeste, spielfreudige Hockey-Artist passt perfekt zu diesem Team. Auf Anhieb skort er nach Lust und Laune; 2012 verewigt er sich als erster Schweizer Liga-Topskorer seit Guido Lindemann exakt drei Jahrzehnte zuvor. «Was er zeigte, war nicht von dieser Welt», sagt Josh Holden, damals in Zug Brunners Linienpartner und heute Trainer des HC Davos.

Die Eishockey-Lichtgestalt Steve Yzerman bemühte sich vergeblich um ihn

Brunner war mit dem Götterfunken der Genialität gesegnet, aber vor allem zeichnete ihn eine Leichtigkeit aus, die selten geworden ist im Sport. Er wirkte nie zerfressen von Ehrgeiz, sondern war einer jener Akteure, die diesen Sport stets als das begriffen, was er in seiner Essenz eigentlich ist: ein Spiel. Brunner äussert sich offenherzig, intern wie extern, und versprüht so viel Selbstvertrauen, dass ihm das in der öffentlichen Wahrnehmung teilweise fälschlicherweise als Arroganz ausgelegt wird.

Er dominiert die Liga nach Belieben, so dass er sich in der NHL den Arbeitgeber aussuchen kann. Steve Yzerman, damals General Manager der Tampa Bay Lightning, versucht ihn in einem persönlichen Gespräch zur Unterschrift zu bewegen. Doch Brunner entscheidet sich für Detroit, die düstere Autometropole in Michigan, wo einst die Fliessbandarbeit erfunden wurde. Der Star-Coach der Red Wings, Mike Babcock, hatte sich intensiv um ihn bemüht und sagte: «Ich habe viel von ihm gehört und nachdem ich ihn an der WM in Helsinki gesehen habe, sagte ich unserem General Manager: ‹Den will ich›.»

Der Captain der Red Wings heisst Henrik Zetterberg, ein schwedischer Weltstar. In der NHL verzögert sich in jenem Herbst 2012 der Saisonstart, Millionäre und Milliardäre feilschen um Geld – Lockout. Zetterberg landet in Zug, temporär, wie Brunner, die beiden verstehen sich auf Anhieb blind. Im Januar, nach dem Ende des Lockouts, verabschieden sie sich nach Detroit. Plötzlich sitzt Brunner neben Pawel Dazjuk in der Garderobe, seinem Jugendidol, und muss sich kneifen, weil er alles als so surreal empfindet. Es passt, dass Dazjuk Brunners ersten NHL-Treffer vorbereitet; in Detroit nennen sie den Zürcher in vorfreudiger Erwartung «Blade Brunner».

☆ Damien Brunner #24 Season Highlights 2013 ☆

Brunner setzt sich bei den Red Wings durch, 26 Punkte in 44 Spielen. Und trifft trotzdem einen folgenschweren Entscheid: Die Offerte, für zwei Jahre und fünf Millionen Dollar den Vertrag zu verlängern, schlägt er aus, weil ihm nur knapp 24 Stunden Bedenkzeit bleiben und er sich auf die Expertise seines Agenten verlässt. Der heisst Neil Sheehy und ist nicht nur Agent, sondern auch so etwas wie ein Heiler, der kurz auch im Umfeld des Schweizer Nationalteams herumschwirrte.

Sheehy behandelte Brunner nach einem Syndemosebandriss als Mediziner – und weil Brunners damaliger Schweizer Berater Erich Wüthrich keinen NHL-Partner hat, gelingt es Sheehy, den Stürmer in mehreren Angelegenheiten als Klient zu angeln. Es ist so obskur, wie es klingt.

Sheehy verspekuliert sich. Brunner bleiben im Spätsommer 2013 nur zwei Optionen: sich in Russland für einen Nettolohn von total zehn Millionen Franken während drei Jahren vergolden zu lassen. Oder nach New Jersey zu wechseln. Brunner entscheidet sich für Letzteres, es ist der grosse Karriereknick.

Die Devils stehen unter der Regentschaft von Lou Lamoriello und haben einen Regelkatalog so dick wie das Epos von «Herr der Ringe»: Anzugpflicht bei Auswärtsreisen auch an spielfreien Tagen, keine Gesichtsbehaarung, und so weiter. Die Devils spielen streng strukturiertes, weitgehend freudloses Defensivhockey. Es ist ein Biotop, in dem der Freigeist Brunner nicht zur Entfaltung findet; nach weniger als anderthalb Jahren löst er seinen Vertrag desillusioniert auf und flieht in die Schweiz.

Er lässt sich vom HC Lugano vergolden und unterschreibt dort den lukrativsten Vertrag in der Historie der Nationalliga; die Rede ist von einem Jahressalär von knapp einer Million Franken. Die entsprechend turmhohen Erwartungen vermag er kaum je zu erfüllen. Es ist nicht sein Fehler, dass diesem miserabel gemanagten Klub wenig gelingt. Aber bald wird er zum Sündenbock – der überforderte Coach Patrick Fischer etwa desavouiert ihn öffentlich, um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen; Lugano lag mit Fischer im Oktober 2015 auf dem letzten Platz.

Fischer konnte sich mit diesem Taschenspielertrick nicht retten, aber Brunner findet das Glück ebenfalls nicht. Er wirkt wie ein Fremdkörper und verliert seine Markenzeichen: das Lachen und die Unbeschwertheit. Immer wieder streikt der Körper. Brunner leidet an Kolitis, einer chronischen Darmerkrankung. Manchmal muss er sich zehn Tage lang übergeben und speit dabei Blut. Erwartet werden trotzdem Hattricks. Letztlich hilft erneut nur eine vorzeitige Vertragsauflösung: 2018 verabschiedet sich Brunner nach Biel.

2023 stürmt Brunner mit Biel in den Play-off-Final – die entscheidende Partie aber verpasst er verletzt

Biel ist in gewisser Weise die Antwort des Seelands auf den EVZ der frühen 2010er Jahre: ein Team, das gepflegtes Offensivhockey zelebriert. Angeleitet von Antti Törmänen, einem Coach, der seinen Spielern reichlich Freiheiten gewährt. Törmänen sagt: «Brunner ist ein Künstler, den man nicht zu sehr einengen darf. Es ist kontraproduktiv, wenn Du ihm befiehlst, heute die Mona Lisa zu malen. Früher oder später wird er es schon tun.»

Es ist der ideale Nährboden für Brunners Renaissance: In Biel findet er die Freude am Sport wieder, an vielen Abenden ist er der mitreissendste Spieler der Liga. Was fehlt, ist die Krönung. 2023 erreicht der ewige Aussenseiter Biel erstmals in der Geschichte den Play-off-Final. Ein einziger Sieg fehlt zum sensationellen Triumph. Brunner verpasst das entscheidende siebente Spiel in Genf verletzt. Besser kann man die Tragik seiner Karriere kaum zusammenfassen.

In der gegenwärtigen Saison hat Brunner nach einer spektakulären Vorbereitung nur sechs Partien bestreiten können, zuletzt erlitt er in kurzer Abfolge mehrere Muskelfaserrisse. Deutlicher könne der Körper nicht mehr signalisieren, dass die Zeit für den Abschied gekommen sei, sagte Brunner im kleinen Kreis.

Am Freitagvormittag beendete er seine Karriere offiziell. Es ist betrüblich, endet diese famose Laufbahn auf diese Art und Weise, in Jeans und mit einem lädierten Körper.

Anderseits: Immerhin konnte Brunner bis 38 spielen und fast zwei Jahrzehnte im Profigeschäft verbringen. Und es ist nun einmal den allerwenigsten Athleten vergönnt, mit der Siegerzigarre im Mundwinkel dem Sonnenuntergang entgegen zu reiten.

Es ist anzunehmen, dass Brunner dem Eishockey erhalten bleibt – wo und in welcher Form auch immer. Vorerst aber beginnt ein neuer Lebensabschnitt: Mit seiner Partnerin Nina Brunner, 2024 Olympiabronzemedaillengewinnerin im Beachvolleyball, erwartet Brunner im Mai erstmals Nachwuchs.

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