Am Sonntag findet der Zürich-Marathon statt, Lafranchi hat ihn populär gemacht. Er sagt, jede gesunde Person könne einen Marathon laufen. Und erklärt, weshalb Schweizer Hobbyläufer die schnellsten sind.
Das Zürcher Seebecken wird am Wochenende zum Zentrum der Laufszene. Am Sonntag findet der Zürich-Marathon statt, der grösste und schnellste Marathon der Schweiz. Mitten im Geschehen wird der 68-jährige Bruno Lafranchi sein, eine Ikone des Schweizer Marathons.
Lafranchi ist einer der besten Schweizer Läufer der Geschichte. 1982 lief er den Marathon in Fukuoka, Japan, in 2:11:12. Bis heute unterboten nur vier Schweizer Marathonläufer diese Zeit.
Nach seiner Karriere als Läufer hatte Lafranchi eine Vision: Er wollte den grössten Schweizer Marathon veranstalten, initiierte 2003 die Neuauflage des Zürich-Marathons. 15 Jahre lang organisierte er den Marathon, machte ihn populär. Lafranchi kennt den Zürich-Marathon wie kein Zweiter, er hat für ihn gelebt und gekämpft.
Bruno Lafranchi, wie geht es dem Zürich-Marathon?
Die Veranstaltung ist auch dieses Jahr ausverkauft. Die kürzeren Distanzen – Halbmarathon und 10 Kilometer – sind beliebt. Doch die Zahl jener, die in Zürich den Marathon rennen wollen, sinkt. Sie hat sich in den letzten 20 Jahren halbiert. 2004 waren es 5700 Läuferinnen und Läufer, vergangenes Jahr waren es noch 2800. Dieses Jahr sind es immerhin wieder 4000 Personen. Der Zürich-Marathon hat ein Problem: Die Läufer sind ihm untreu.
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Viele wollen den Zürich-Marathon einmal in ihrem Leben laufen und sind zufrieden, wenn sie es geschafft haben. Andere rennen zwar regelmässig Marathons, suchen aber die Abwechslung. Sie reisen für Marathons um die Welt: nach London, Berlin, New York. Es gibt immer mehr Konkurrenzveranstaltungen, sowohl im Ausland als auch in der Schweiz.
Auch Bergläufe sind populär: 2023 liefen mehr Personen den Jungfrau-Marathon als den Zürich-Marathon.
Meiner Meinung nach ist Trailrunning ein Hype. Veranstaltungen wie der Jungfrau-Marathon nehmen den Strassenmarathons Läufer weg, denn mehr als zwei Marathons pro Jahr können und wollen die wenigsten laufen.
Einige sagen, der grösste Konkurrent des Marathons sei der Halbmarathon.
Den Trend, dass viele lieber kürzere Distanzen laufen, gibt es. In Zürich starten dieses Jahr am Halbmarathon 7000 Läuferinnen und Läufer – fast doppelt so viele wie am Marathon. Frauen entscheiden sich eher für die kürzere Distanz. Während sie beim Marathon nur einen Fünftel ausmachen, sind sie beim Halbmarathon in der Mehrheit.
Die Kategorie Halbmarathon gibt es beim Zürich-Marathon erst seit drei Jahren. Sie hatten sich geweigert, diese einzuführen.
Mit einem Halbmarathon hätte ich Läuferinnen und Läufer für den Marathon verloren. Das schadet dem Lauferlebnis. Sinkt die Teilnehmerzahl unter 3000, wird es kritisch: Die Abstände zwischen den Laufgruppen werden zu gross. Nach dreieinhalb Stunden läuft man plötzlich allein.
Der Halbmarathon ist die leichtere Alternative zum Marathon. Nicht alle schaffen die 42,2 Kilometer.
Da muss ich widersprechen. Das Laufen liegt in unseren Genen. Vor der Industrialisierung hatten wir uns zu Fuss fortbewegt, tagelange Märsche waren normal. Die Evolution ist langsam, so schnell verlernen wir das Laufen nicht. Wer trainiert und gesund ist, schafft einen Marathon.
Wie sieht das richtige Training vor dem Marathon aus?
Wer bereits joggt, braucht vier Monate Vorbereitungszeit. Dieser Richtwert gilt auch für Profis. Laufanfänger müssen mehr Zeit einberechnen. Eine Person, die selten läuft und dazu noch leichtes Übergewicht hat, braucht etwa ein Jahr Training. Ich habe viele Laufanfänger betreut – die meisten machten rasant Fortschritte. Eine Teilnehmerin der Trainingsgruppe sagte nach drei Monaten Training zu mir, sie sei 20 gelaufen. Ich dachte, Minuten, aber sie sprach von Kilometern. Ich staunte.
Die Vorbereitung auf einen Marathon scheint also ziemlich einfach zu sein.
Der Marathon wird einem nicht geschenkt, es gibt keine Abkürzung. Man muss am Training dranbleiben, mindestens dreimal pro Woche joggen gehen. Insgesamt müssen es wöchentlich zwischen vier und fünf Stunden Lauftraining sein. Wer auf eine bestimmte Zeit hin trainiert, muss noch viel mehr investieren.
Was sind die häufigsten Fehler von Läuferinnen und Läufern in der Vorbereitung?
Der Trainingsplan ist individuell. Doch in den letzten zwei Wochen vor dem Marathon gilt für alle das Gleiche: Weniger ist mehr. Zu intensive und zu lange Trainings schaden. Man soll das durchziehen, was man geplant hat, und nicht kurz vor dem Rennen Trainingspläne anschauen, sich darüber ärgern, dass man ein vermeintliches Schlüsseltraining ausgelassen hat. Man muss bei sich bleiben, die innere Ruhe finden.
Und welche Fehler beobachten sie während des Marathons?
Hobbyläufer überschätzen sich häufig. Sie sind trainiert, fühlen sich am Start gut – zu gut. Auf einmal wollen sie den Marathon anstatt der angepeilten 3:59 in 3:50 Stunden laufen. Dann bricht ihre Leistung ein, sie kommen mit einer schlechten Zeit ins Ziel. Für Spitzenläufer, aber auch Hobbysportler gilt: Es ist wichtig, das Tempo konstant zu halten.
Wie weiss ich denn, welches Tempo ich laufen soll?
Es gibt eine einfache wie geniale Methode: Man läuft auf einer 400er-Bahn zwölfeinhalb Runden, das entspricht 5 Kilometern. Dabei misst man die Zeit. Im Internet gibt es Rechner, mit denen man anhand der gemessenen Zeit seine ungefähre Marathonzeit ermitteln kann. Diese Schätzungen sind überraschend genau.
Was hat es mit dem Kilometer 30 auf sich – der legendären und gefürchteten «Mauer» beim Marathon?
Das ist ein Mythos, den jene bemühen, die zu schnell starten. Wenn man gut vorbereitet ist, bleibt die Leistung konstant.
Laut einer Auswertung sind Schweizer Hobbyläuferinnen und Hobbyläufer die schnellsten der Welt. Sind wir besonders verbissen?
Ich denke, der Grund ist ein anderer: Es geht uns wirtschaftlich gut, Hobbysport ist ein Luxusgut. In armen Ländern setzen die Menschen andere Prioritäten als die Joggingrunde am Morgen. Sie müssen sich überlegen, was sie essen, wie sie die nächsten Tage überleben.
Das leuchtet ein. Aber wieso sind etwa amerikanische oder deutsche Läuferinnen und Läufer im Durchschnitt langsamer als die Schweizer?
Wir haben ein gutes Netzwerk an Laufgruppen, viele Volksläufe. Hobbyläuferinnen und Hobbyläufer können regelmässig an Wettkämpfen teilnehmen, einige der Läufe liegen sogar vor ihrer Haustüre. Und wir sind strenger mit den Schlusszeiten: Beim Zürich-Marathon haben die Läuferinnen und Läufer fünfeinhalb Stunden Zeit, in New York achteinhalb. Das ist kein Joggen mehr, sondern Wandern.
Laufen Frauen einen Marathon eigentlich anders als Männer?
Ja. Sie überlegen sich die Teilnahme besser, machen sich einen genaueren Plan. Ein Beispiel: Frauen sind beim Marathon in der Minderheit, bei Laufkursen machen sie aber über die Hälfte der Teilnehmenden aus. Männer glauben, sie schafften den Marathon schon irgendwie, vergleichen ihn mit dem 50-Kilometer-Marsch im Militär. Und erleben beim Marathon dann das böse Erwachen. Im Ziel kommen einige völlig entkräftet und mit Schürfwunden an. Die langsamsten Marathonläufer sind Männer.
Tatsächlich?
Ja. Das Zürcher Gleichstellungsbüro rügte mich einmal, dass beim Zürich-Marathon eine Zeitbeschränkung von fünf Stunden gelte. Das diskriminiere Frauen, hiess es. Ich musste dann beweisen, dass es vor allem Männer sind, die zu den langsamsten zehn Prozent gehören.
Es gibt das Vorurteil, dass viele Männer wegen einer Midlife-Crisis mit dem Laufen beginnen.
Bei einigen trifft das zu. Anstatt am Abend mit ihrer Partnerin zu diskutieren, schlüpfen sie in ihre Laufschuhe. Sie wollen von ihren Problemen in der Ehe oder bei der Arbeit wegrennen. Ich hatte schon Männer im Training, denen ich sagte: Wenn du so weitermachst, setzt dich deine Frau bald vor die Tür. Einem passierte das dann auch tatsächlich.
Wie gesund ist der Marathon eigentlich?
Die Vorbereitung auf den Marathon ist gesund, der Marathon wahrscheinlich nicht. Danach schmerzt alles. Vielleicht verkürzt sich das Leben deswegen um einen Tag. Aber ohne Marathon würde man nicht so viel trainieren. Und wenn wir ehrlich sind, sind die letzten Jahre sowieso nicht die besten.
Wagen wir einen Blick nach vorn – wie sieht die Zukunft des Marathons aus?
Den Wandel hin zum Halbmarathon gibt es im Freizeitsport. Wenn die Menschen lieber die halbe Distanz laufen, dann ist das halt so. Hauptsache, die Menschen treiben Sport. Das ist gut für die Gesundheit. Viele inspiriert der Marathon zum Joggen. Wenn ich die Menschen mittags jeweils beim Laufen beobachtet habe, hat mich das immer sehr stolz gemacht.
Und wie sehen Sie die Zukunft des Zürich-Marathons? Immerhin geht es der Veranstaltung prächtig – alle Läufe sind ausverkauft, über 16 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden erwartet.
Ich hoffe, dass er weiterhin viele Läuferinnen und Läufer anzieht. Er ist ein Kind von mir, es freut mich, wenn er wächst.
Eine Legende des Schweizer Marathons
hin. Bruno Lafranchi (68) ist ein ehemaliger Schweizer Marathonläufer. Er nahm an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen teil, wurde mal Dreiundzwanzigster, mal Fünfzigster. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er 1984, als er in Fukuoka – für alle überraschend – aufs Podest lief. Mit 2:11:12 stellte er einen Schweizer Rekord auf, der 19 Jahre lang Bestand hatte.
Lafranchi blieb dem Laufsport nach seiner Marathonkarriere treu. Von 1995 an war er OK-Präsident des Zürcher Silvesterlaufs, ab 2003 organisierte er den Zürich-Marathon. 2017 verkaufte er die Rechte des Zürich-Marathons an den früheren Radprofi Armin Meier. Ein Jahr später gab er seinen Rücktritt aus dem Präsidium des Silvesterlaufs bekannt. Lafranchi lebt in Zürich.