Montag, November 25

Im Film «The Last Showgirl» spielt das frühere Playmate eine erotische Tänzerin, die vor dem Ruin steht. Als Sexsymbol mit tragischer Vergangenheit weiss Pamela Anderson, wie sich das anfühlt. Am Zurich Film Festival fasziniert sie.

Natürlich war immer klar, dass Pamela Anderson nicht so banal ist, wie sich das viele Männer vorstellten. Gummi im Busen beeinträchtigt nicht den Geist. Anderson, die sich nachgerade notorisch für den «Playboy» ausgezogen hat, die Rettungsschwimmerin/Badenixe aus 77 Episoden «Baywatch», beweist sich nun als Charakterdarstellerin.

Kulturpessimisten stöhnen auf: Anderson, Inbegriff des Sexsymbols, soll eine ernstzunehmende Schauspielerin sein? Ja, mit 57 Jahren ist die zweite Karriere lanciert. Die Frau mit den Kurven zeigt Tiefe. Im Film «The Last Showgirl» spielt sie stupend eine abgehalfterte Variété-Tänzerin in Las Vegas. Pamela Anderson ist eine Oscar-Anwärterin.

Tom Kummers erstes Opfer

Der Schweizer Autor Tom Kummer wurde in den 1990er Jahren mit Star-Interviews bekannt, die sich später als Fälschungen herausstellten. Dass ihm Zeitungen und Leser auf den Leim gingen, lag daran, dass bei Kummer die Stars staunenswert reflektiert rüberkamen. Etwa Mike Tyson als Hemingway-Experte: Das war neu.

Bezeichnenderweise begann Kummer seine Fälscherkarriere mit Pamela Anderson. Eine auch intellektuell stimulierende Sexbombe garantierte Aufmerksamkeit, und das fleischgewordene rote Badekleid bekam in Kummers Phantasie verblüffende Texturen: Er dichtete über Anderson als eine Stranddiva, die sich wortgewandt mit Isabella Rossellini vergleicht und en passant erwähnt, den avantgardistischen Cyberpunk-Zyklus «Neuromancer» von William Gibson gelesen zu haben.

Ganz so abwegig war das gar nicht. Beim Publikumsgespräch am derzeit stattfindenden Zurich Film Festival zeigt sich Pamela Anderson auch gelegentlich von der bildungsbürgerlichen Seite. «Ich mag viele Regisseure», sagt sie einmal. «Fellini und Godard und Herzog und Cassavetes.» (Bezaubernd übrigens, wie sie Werner «Örtsog» ausspricht.)

Anderson hat Niveau. Indem Tom Kummer aber eigenmächtig intellektuell an ihr herumdokterte, bediente er eine kümmerliche Männerphantasie: Sexyer als das hörige Dummerchen ist die hörige Denkerin.

Die längste Zeit wurde sie unterschätzt. Dann gehörte es wegen Kummers Quatsch plötzlich zum Phänomen Pamela Anderson, dass sich Legenden um ihren Intellekt rankten. Pamela Anderson wurde zur feministischen Geistesgrösse hochstilisiert. So eine Art Simone de Beauvoir mit Körbchengrösse Doppel-D.

Sie ist ein offenes Buch

Pamela Anderson ist weder dumm noch verkopft. Faszinierend an ihr ist etwas anderes, und das veranschaulichte nun auch ihr Besuch in Zürich: Sie ist geradezu überwältigend natürlich. Nun ist es ordentlich abgedroschen, eine Berühmtheit als natürlich zu bezeichnen. Zeitungsartikel über Stars, die ach so bodenständig und authentisch seien, gehören zum Ödesten, was der Film- und Gesellschaftsjournalismus zu bieten hat.

Bei Anderson verhält sich die Sache jedoch komplizierter. Denn sie ist ja gerade durch ihre Künstlichkeit zur Ikone geworden. Schönheits-OP hat sie nie verheimlicht. Sie, die so entschieden «gemacht» ist, machte nie jemandem etwas vor. Als Pin-up-Girl war Pamela Anderson eine Projektionsfläche und gleichzeitig ein offenes Buch. Von diesem Widerspruch ging ihre Wirkung aus. Merke: Sind die Brüste nicht echt, heisst das nicht, dass die Frau fake ist.

Wie das so ist, taugt Pamela Anderson mit fortgeschrittenem Alter weniger zum Sexsymbol. Sie verbringt jetzt viel Zeit im Garten, in Zürich erzählt sie von ihren eingelegten Gurken. Laut eigener Aussage hat sie auch aufgehört, sich zu schminken. In ihrem Gesicht spiegelt sich das Erlebte. Unweigerlich drückt die Persönlichkeit durch. Dass ihr jetzt das Comeback im Charakterfach gelingt, hat seine Logik.

Das Showgirl ist passé

Im berührenden Indie-Drama von Gia Coppola, Nichte von Sofia Coppola, das Anderson beim Filmfestival vorgestellt hat (Kinostart ist voraussichtlich Anfang 2025), spielt Anderson ein in die Jahre gekommenes Showgirl, Shelley. Shelleys Ära in Las Vegas ist vorbei. Die Show, in der sie tanzt, wird nach 37 Jahren abgesetzt. Zuschauer verirren sich kaum noch in das Variété namens «Le Razzle Dazzle». An das legendäre «Lido cabaret» in Paris soll es erinnern. Mittlerweile ist die auf altbackene Art freizügige Show schlicht passé.

Pamela Anderson ist umwerfend in der Rolle des Revuegirls vor dem Ruin. Darbietungen wie ihre gibt es nicht allzu oft. Es ist einer dieser seltenen Fälle, in denen eine Schauspielerin, ein Schauspieler sich plötzlich in einem Stoff wiederfindet, der faszinierend mit der eigenen Biografie in einen Dialog tritt. Bei Mickey Rourke und dem Film «The Wrestler» war das ähnlich. Die Story um den abgewirtschafteten Schaukämpfer spiegelte den Star und dessen Ringen mit der Unterhaltungsindustrie, die ihn gross gemacht hatte, aber auch hart auf die Matte warf.

Es geht in solchen Performances nicht darum, dass der Performer sich selbst spielt. Aber er versteht besser als jeder andere, was er spielt. Als sie das Drehbuch gelesen habe, so sagt es Pamela Anderson in Zürich, habe sie gewusst, dass sie diesen Film um alles in der Welt machen müsse. Es sei für sie «eine Frage von Leben und Tod» gewesen. Das klingt dramatisch, aber es war auch dramatisch.

Denn Pamela Anderson war am Boden. Seit vielen Jahren schon. Sie hatte Schicksalsschläge erlebt, eine Fehlgeburt, später häusliche Gewalt. Sie war auch beruflich ein tragischer Fall. Von einer Karriere konnte keine Rede mehr sein. Denn der Skandal um das Sexvideo hatte alles zerstört: 1995 drehten ihr Gatte Tommy Lee und sie in den Ferien ein privates pornografisches Video. Die Kassette wurde ihnen vermutlich von einem Handwerker gestohlen, zusammen mit dem gut 200 Kilogramm schweren Tresor, in dem sie sich befand.

Kampf gegen das Sexvideo

Es waren die frühen Jahre des Internets. Das Video verbreitete sich auf eine Weise, wie es zuvor nicht denkbar gewesen war. Während die Geschichte für Pamela Anderson unerträglich war und eine halbwegs vernünftige Filmkarriere verunmöglichte, tangierte sie Tommy Lee weniger. Einem Skandalrocker wie ihm ist jede Aufregung recht.

Anderson kämpfte zwar, aber die Demütigung wurde nur immer grösser. Pamela Anderson und Tommy Lee seien Persönlichkeiten von öffentlichem Interesse, urteilte ein Richter. Mit der Verbreitung des Videos müssten sie leben.

Was vermutlich auch viele dachten: Wer dank Nacktbildern im «Playboy» Karriere gemacht habe, brauche sich wegen eines Sexvideos nicht aufzuregen. Aber das eine war mit dem andern nicht vergleichbar. Die Veröffentlichung des Videos gegen Andersons Willen war ein sexueller Übergriff. Für ihre Karriere in der Erotikindustrie hingegen hatte sie sich aus eigenem Antrieb entschieden. Ein Playmate zu sein, sei für sie ein Akt der Selbstermächtigung gewesen, sagt sie in Interviews.

Denn als Kind hat sie Furchtbares erlebt. Erst wurde das Mädchen von einer Babysitterin sexuell belästigt. Mit 12 Jahren dann die Vergewaltigung durch einen 25-Jährigen. Später soll sie noch einmal und gleich von mehreren jungen Männern vergewaltigt worden sein. Das Mädchen kapselte sich ab, wurde zunehmend schüchtern. Die Arbeit für den «Playboy» gab ihr Selbstvertrauen zurück.

Pamela Anderson bereut nichts

In «The Last Showgirl» verkörpert Pamela Anderson eine Frau, die stolz ist auf das, was sie tut. Ganz egal, was die andern sagen. Shelley liebt das «Razzle Dazzle», diese bessere Peepshow, sie sieht nichts Schmuddeliges darin. Und so ist es auch für Pamela Anderson, die gerne betont, nicht verschämt auf ihre Tage als Sexsymbol zurückzublicken. Sie bereut nichts.

Als damals der «Playboy» anrief, überlegte sie nicht lange. Wie sie in Zürich verrät, fragte sie nur kurz die Mutter, was sie davon halte. «Ich würde es machen», antwortete die Frau, die als Kellnerin in einem Lokal namens Smitty’s Pancake House arbeitete. Die Mutter gab der Tochter zu verstehen: «Geh hinaus in die Welt, Kind. Lebe dein Leben.»

Pamela Anderson stammt aus Ladysmith, einer Siedlung mit 8500 Einwohnern auf Vancouver Island. Die Mutter ist 17 Jahre alt, der Vater 19, als die Tochter auf die Welt kommt. Er, Barry, ist ein Hitzkopf und Haudegen. Barry spielt Poker, liebt schnelle Autos. Als «notorischen ‹bad boy of Ladysmith›» bezeichnet Pamela Anderson ihn in der Netflix-Dokumentation «Pamela, a Love Story».

In der leidenschaftlichen Ehe flogen auch die Fetzen. Mehrmals flieht die Mutter mit den Kindern vor dem jähzornigen Mann. Sie leben im Auto und von der Sozialhilfe. «Ich erinnere mich noch heute an den Geschmack von Milchpulver», sagt Pamela Anderson.

Entdeckt wird sie bei einem American-Football-Spiel. Die Kamera fährt die Zuschauerränge ab und bleibt auf dem blonden All-American-Girl kleben. Der Anruf von «Playboy» lässt nicht lange auf sich warten.

Hochzeit im Bikini

In Pamela Andersons Leben überstürzen sich oft die Ereignisse. Tommy Lee lernt sie in einem Nachtklub kennen, er ist schon nach der kurzen Begegnung völlig vernarrt in sie. Ungebeten folgt er ihr an ein Fotoshooting nach Cancún. Vier Tage später die Hochzeit. Am Strand. Sie im weissen Bikini, er trägt Bermuda-Shorts. Nicht einmal seinen Nachnamen weiss sie. Anfangs denkt sie, dass er Tommy Lee Jones heisse (sie verwechselt den Namen mit dem des Hollywood-Schauspielers).

So rast Pamela Anderson durch ihr Leben. Auf die Scheidung folgt gleich eine nächste Hochzeit, dann wieder Scheidung, dann wieder Hochzeit usw. Nichts ist von Dauer, sie findet keinen Halt. Sie will auch keinen. Sagt sie selber. Sie will im Moment leben.

In ihrer Unerschrockenheit inspiriert Pamela Anderson. Als sie beim ZFF den Film vorstellt, erklärt sie, dass «The Last Showgirl» «ein Schlachtruf» sei: Man habe auch im fortgeschrittenen Alter seinen Wert. «Wir werden bald eine 60-jährige amerikanische Präsidentin haben», fügt sie hinzu. An Kamala Harris solle man sich ein Vorbild nehmen, soll das heissen. Oder an Pamela Anderson.

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