Bei den Wahlen vom Sonntag haben die Sozialisten ihre absolute Mehrheit verloren. Am meisten Sitze erobert die Mitte-rechts-Koalition Aliança Democrática. Sie muss voraussichtlich eine Minderheitsregierung bilden.
Im Hotel Marriott von Lissabon herrschte in der Nacht zum Montag eine ausgelassene Stimmung. Denn dort feierten Portugals Rechtspopulisten von der jungen Partei Chega («Es reicht») ihren grossen Wahlerfolg. Sie konnten ihren Stimmenanteil von 7,2 Prozent (2022) auf 18 Prozent steigern und haben die Zahl ihrer Abgeordneten vervielfacht. Damit übertraf Chega alle Prognosen und ist nun die drittstärkste Kraft im Parlament. Die Partei verspricht, Portugal «von seinen Übeln zu reinigen».
Mehr als eine Million Portugiesen stimmten diesmal für die ultrarechte Partei, die erst 2018 gegründet wurde, unter ihnen auch viele junge Menschen. Sie haben noch miterlebt, wie ihre Eltern in den Boomjahren vor der Jahrtausendwende ihren Lebensstandard nach und nach verbessern konnten, während sie trotz Wirtschaftswachstum auf der Stelle treten. Für die junge Generation gibt es oftmals nur den Mindestlohn von 820 Euro im Monat, zu wenig, um etwa in Lissabon eine Wohnung mieten zu können.
Ein Arztbesuch erweist sich inzwischen als schwieriges Unterfangen, weil es keine Termine gibt. Das Gesundheitssystem wurde im Zuge der Sparpolitik nach der Finanzkrise vor acht Jahren derart ausgedünnt, dass jeder zehnte Portugiese keinen Hausarzt hat und die Notaufnahmen völlig überlastet sind. Daher haben sich viel Frustration und Wut angestaut. «Wir Bürger haben den Eindruck, dass sich die Politiker nur um ihre eigenen Belange kümmern und ihnen unsere Probleme egal sind», sagt eine junge Frau, die im Tourismus arbeitet.
Einwanderung wird als Belastung empfunden
Chega traf mit der Kampfansage an die allgegenwärtige Korruption in der Politikerklasse den Nerv vieler Menschen. Auch viele klassische Linkswähler liefen zu Chega über. Früher hatte man mit der Einwanderung aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien kaum Probleme, die gemeinsame Sprache sorgte für Integration. Schwerer fällt es mit der neuen Einwanderungswelle. In den letzten Jahren sind viele Migranten aus Asien gekommen. Dies empfinden viele Portugiesen mittlerweile als Belastung für das geschwächte Sozialsystem. An der Algarve im Süden des Landes ist Chega sogar die stärkste Partei geworden. Dort leben besonders viele Immigranten aus Pakistan und Bangladesh, die sich als Erntearbeiter betätigen.
Der 41-jährige Chega-Chef André Ventura versprach den Portugiesen im Wahlkampf eine bessere Kontrolle der Zuwanderung. Selbst wer legal ins Land komme, solle erst einmal fünf Jahre arbeiten, bevor er Ansprüche auf soziale Zuwendungen erheben könne, so Ventura. Auch die steuerlichen Vorteile, mit denen die Regierung in den letzten Jahren reiche Zuwanderer aus dem Norden ins Land holte, sollen wegfallen, da die zusätzliche Nachfrage den Immobilienmarkt unnötig anheize.
«Wenn die PSD jetzt mit einer Minderheitsregierung in Lissabon regieren will, muss sie sich mit uns arrangieren», erklärt Ventura selbstbewusst. Er war früher selber Mitglied dieser konservativen Partei, die in seinen Augen an Profil verloren hat. Die PSD ist die stärkste Kraft innerhalb der Mitte-rechts-Koalition.
In göttlicher Mission
Nuno Afonso, einer der einstigen Mitstreiter von Ventura, ist heute kritisch gegenüber der rechtspopulistischen Partei. «Beim ersten Treffen von Chega im Jahr 2018 kamen nur acht Personen», sagte er der spanischen Tageszeitung «El País». Er war damals der beste Freund von Ventura und wurde sein Vize. Doch 2022 trat er wegen eines Zerwürfnisses mit ihm aus der Partei aus. Heute beschreibt er Chega als Sekte. Keines ihrer Mitglieder wage es, Ventura zu kritisieren. Bevor dieser Jura studierte und dann in die Politik ging, hatte er ein Priesterseminar besucht. Von dort brachte er eine tiefe Überzeugung von seiner «Mission» mit. Er glaube, Gott habe ihn genau zu diesem Zeitpunkt an diese Stelle gebracht, sagte Ventura bereits mehrmals in der Öffentlichkeit.
Nuno Afonso sieht dies anders. Chega sei ein ganz persönliches Projekt von Ventura. Politische Überzeugungen seien eine geringere Triebfeder als sein stark ausgeprägter Machtwille. Mit dem Wahlergebnis ist Ventura zu einer Schlüsselfigur für die Regierbarkeit Portugals in den nächsten vier Jahren geworden.
Rechtsrutsch bei der Parlamentswahl
Portugal steht vor einer konservativen Minderheitsregierung
Die Mitte-rechts-Koalition Aliança Democrática (AD) hat die Wahlen vom Sonntag in Portugal mit 29,5 Prozent der Stimmen gewonnen. Sie erhält 79 Mandate. Die bisher mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialisten (PS) kamen auf 28,7 Prozent der Stimmen (77 Mandate). Die grosse Überraschung des Urnengangs ist die rechtspopulistische Chega-Partei. Sie erreichte 18,1 Prozent der Stimmen und erhält damit 48 Mandate. Luís Filipe Montenegro, der Spitzenkandidat der AD, hat bereits vor der Wahl eine Zusammenarbeit mit Chega ausgeschlossen. Es zeichnet sich eine Minderheitsregierung von Montenegro unter Duldung der Sozialisten ab.

