Die USA setzen grosse Hoffnungen darauf, dass Israel nun auch den Krieg gegen die Hamas beendet. Drei Gründe sprechen dagegen.
Kompromisse im Nahen Osten sind möglich. Das hat die Übereinkunft zwischen dem Hizbullah und Israel bewiesen, die am Mittwoch in Kraft getreten ist. Doch der Waffenstillstand ist fragil: Am Donnerstag bombardierten israelische Kampfjets ein angebliches Waffendepot des Hizbullah, wo sich Kämpfer der Miliz aufgehalten haben sollen. Trotzdem legen die westliche Welt und vor allem die USA grosse Hoffnungen auf das Abkommen.
Hält die Übereinkunft mit dem Hizbullah, könnte Israel auch die Kämpfe im Gazastreifen einstellen – dies hofft zumindest der amerikanische Präsident Joe Biden. Als er am Dienstag im Rosengarten des Weissen Hauses den Waffenstillstand verkündete, kam er auch auf den grösstenteils zerstörten Küstenstreifen zu sprechen. In den nächsten Tagen würden die USA, Ägypten, Katar und die Türkei einen neuen Vorstoss für Verhandlungen zwischen der Hamas und Israel lancieren, kündigte Biden an.
Die Zuversicht des amerikanischen Präsidenten teilen nur wenige Israeli. Das hat drei Gründe: die unterschiedlichen Kriegsziele Israels an der Nord- und Südfront, innenpolitische Erwägungen sowie die unveränderten Verhandlungspositionen der Hamas und Israels.
Verschiedene Kriegsziele
«In Libanon war das israelische Ziel nicht, den Hizbullah zu zerstören, sondern ihn so weit zu schwächen, dass er keine militärische Gefahr mehr darstellt», sagt Eitan Shamir, Leiter des Begin-Sadat-Zentrums für strategische Studien im Gespräch. «Im Gazastreifen ist es komplett anders: Israels Ziel ist es, die Hamas militärisch zu zerstören und sicherzustellen, dass sie keine Regierungsverantwortung mehr übernimmt.»
Dies sei der wichtigste Grund, weshalb sich Ministerpräsident Benjamin Netanyahu auf ein Abkommen an der Nordfront, aber nicht im Gazastreifen habe einlassen wollen. Sollte nun eine Feuerpause vereinbart werden, würde die Hamas die Kontrolle über Gaza wieder übernehmen – denn sie ist laut Shamir die einzige militärische und politische Kraft im Gazastreifen, die das Vakuum füllen könnte, sobald Israel sich zurückziehen würde. «Der Waffenstillstand mit dem Hizbullah hat nur einen geringen Einfluss auf den Krieg mit der Hamas», sagt Shamir.
Netanyahus Angst vor dem Koalitionsbruch
Israels Ministerpräsident konnte sich auch deshalb auf ein Abkommen mit dem Hizbullah einlassen, weil er damit keinen Machtverlust riskiert. Seine rechtsextremen Koalitionspartner haben zwar ihren Missmut ausgedrückt, allerdings nicht damit gedroht, die Regierung platzen zu lassen.
Beim Krieg gegen die Hamas hat sich ihre Haltung hingegen nicht verändert: Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich beharren darauf, dass mit ihnen ein Ende der Kämpfe im Gazastreifen nicht zu machen ist. So war der Waffenstillstand in Libanon kein politisches Risiko für Netanyahu – eine Feuerpause im Gazastreifen wäre es hingegen schon.
Zudem weisen israelische Beobachter darauf hin, dass der Krieg gegen die Islamisten in Gaza eine andere symbolische Bedeutung hat als der Kampf gegen die Schiitenmiliz in Libanon. «Beim Krieg in Libanon ging es darum, ein Sicherheitsproblem zu lösen», sagt Nimrod Goren, Leiter der israelischen Mitvim-Denkfabrik. Das erklärte Kriegsziel Israels war es, die Rückkehr der Bewohner der nördlichen Grenzregion zu ermöglichen. «Im Gazastreifen geht es um viel mehr als nur um Sicherheit. Es ist ein ideologischer Krieg.»
Netanyahus rechtsextreme Koalitionspartner haben sich offen für eine Wiederbesiedlung des Gazastreifens ausgesprochen – ein Ende des Kriegs würde diese Pläne sabotieren. «Es gab keine starken ideologischen Gründe für eine langfristige israelische Militärpräsenz in Libanon. Im Gazastreifen ist das anders», sagt Goren.
Die Positionen der Hamas und Israels sind unverändert
Kurz nach dem Waffenstillstand mit dem Hizbullah liessen hochrangige Hamas-Vertreter verbreiten, dass sie sich ebenfalls auf ein Ende der Kämpfe einlassen würden. Zudem machte sich am Donnerstag eine ägyptische Delegation auf den Weg nach Israel, um erneut Verhandlungen über eine Freilassung der Geiseln und ein Ende des Kriegs anzustossen.
Laut dem Militärexperten Michael Milshtein hatten hochrangige Hamas-Vertreter bereits in den Tagen vor dem Waffenstillstand in Libanon mehr Flexibilität gezeigt und signalisiert, dass sie einem Abkommen zustimmen könnten. «Doch gleichzeitig beharren sie auf ihren roten Linien: Sie fordern ein definitives Ende des Kriegs und einen kompletten Rückzug israelischer Soldaten aus dem Gazastreifen.» Benjamin Netanyahu schliesst das bisher kategorisch aus.
Im Gespräch betont der ehemalige Leiter der Palästina-Abteilung des israelischen Militärgeheimdiensts, dass die Hamas von diesen Bedingungen wohl nicht abrücken werde – auch nicht, wenn Israel den militärischen Druck noch weiter erhöhe. «Auch während der andauernden heftigen Militäroperation im Norden des Gazastreifens hat sich die Hamas nicht flexibler gezeigt», sagt Milshtein. Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass die israelische Regierung die vollständige Zerstörung der Hamas gegenüber der Rückkehr der Geiseln priorisiert.
Die Positionen beider Seiten bleiben unversöhnlich. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die zerbrechliche Ruhe an der Nordfront Israels zu einem Ende des Kriegs führt, der den Nahen Osten seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Bann hält. Bidens Worte im weit entfernten Rosengarten des Weissen Hauses dürften ein frommer Wunsch bleiben – wieder einmal.