Samstag, Dezember 21

Berner Politologen zeichnen das Bild einer rabiaten Austeritätspolitik à la Griechenland. Die Denkfabrik Avenir Suisse zeigt, wie weit die Schweiz von einer wirklich harten Sparpolitik entfernt ist.

«Sparpaket» – das Wort geht so leicht über die Lippen, dass es sogar der Finanzministerin Karin Keller-Sutter gelegentlich herausrutscht. Aber im Gegensatz zu den meisten, die den Begriff noch viel öfter benutzen, korrigiert sie sich sofort. Tatsächlich ist das Finanzpaket, dessen Eckwerte der Bundesrat im September festgelegt hat, kein Spar-, sondern ein Entlastungspaket. Der Bund wird damit nicht sparen – zumindest nicht, solange man unter «sparen» versteht, dass er morgen weniger ausgibt als heute.

Andere Staaten haben solche Abbauprogramme durchgezogen, weitere dürften folgen. In der wohlhabenden Schweiz aber ist derlei nicht geplant. Selbst wenn sämtliche Kürzungsvorschläge des Bundesrats umgesetzt würden – womit nicht zu rechnen ist –, würden die jährlichen Ausgaben weiter wachsen: von 80 auf 91 Milliarden Franken innerhalb von nur vier Jahren, von 2023 bis 2027. Weitere drei Jahre später wären es 96 Milliarden.

Weder Sozialhilfe noch Renten werden gekürzt

Und doch sind in der Finanzdebatte zunehmend schrille Töne zu hören. Dass SP und Grüne von Anfang an das Ende der sozialen Schweiz heraufbeschwört haben, liegt in der parteipolitischen Natur der Sache. Erstaunlicher ist ein Beitrag von zwei Politologen der Universität Bern, Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus, der Anfang Oktober in den Tamedia-Zeitungen erschienen ist.

Sie beziehen sich auf die Entscheide des Bundesrats, scheinen aber vor allem an andere Länder zu denken. Ihr Text zeichnet das Bild einer rabiaten Austeritätspolitik à la Griechenland. Und wer meint, der süffige Titel – «Sparen wir uns zu Tode?» – sei im übertragenen Sinn zu verstehen, wird eines Schlechteren belehrt. Vatter und Freiburghaus schreiben, wenn Staaten «weniger Geld ausgeben» würden, führe dies zu Polarisierung, Instabilität, Stress – und ja: «Spart der Staat, wählen signifikant mehr Menschen den Freitod.»

Das hat in Bern, zumindest ausserhalb der Uni, für Stirnrunzeln gesorgt. Mit dem Paket des Bundesrats werden weder Arbeitslosengelder noch die Sozialhilfe oder die IV gekürzt – und die AHV schon gar nicht. Auch werden keine Hochschulen oder andere Bildungsinstitutionen geschlossen.

Stattdessen will der Bund das Wachstum der Ausgaben bremsen, indem er etwa auf den Ausbau der Krippenfinanzierung verzichtet, Subventionen für Hauseigentümer kürzt oder den Ausbau von Strasse und Bahn verlangsamt. Die These, dass dies zu mehr Suiziden führt, erscheint ähnlich steil wie der Anstieg der Ausgaben in den letzten Jahren.

Schulden mit früheren Überschüssen verrechnen?

Eine andere Sichtweise präsentiert die liberale Denkfabrik Avenir Suisse in einer neuen Analyse. Dass sie die Pläne des Bundesrats grundsätzlich unterstützt und sich ebenfalls dafür ausspricht, die Probleme über Ausgabenkürzungen zu lösen, erstaunt nicht. Interessanter sind andere Hinweise im Beitrag. Insbesondere sieht Avenir Suisse kein Problem darin, ausserordentliche Schulden, wie sie zum Beispiel in der Corona-Krise angehäuft wurden, mit Überschüssen aus der Vergangenheit zu «verrechnen». Genau diesen Trick wollte der Bundesrat nach der Pandemie anwenden, um den finanzpolitischen Druck zu mildern. Die bürgerliche Mehrheit des Parlaments hat dies aber abgelehnt. Avenir Suisse empfiehlt, mit Blick auf künftige Krisen auf diesen Entscheid zurückzukommen.

Aufschlussreich ist der Rückblick, den der Beitrag liefert: Seit Einführung der angeblich so rigiden Schuldenbremse 2003 sind die Bundesausgaben pro Einwohner teuerungsbereinigt um 1500 Franken oder 20 Prozent gestiegen. Am grössten war die Zunahme bei der sozialen Sicherheit (AHV), der Gesundheit und der Bildung.

Gleichzeitig konnte der Bund die Schulden abbauen, zumindest bis Corona kam. Möglich war dies laut der Analyse nur, weil die Steuereinnahmen schneller wuchsen als die Wirtschaft. Bei den Privathaushalten sei die Steuerlast doppelt so stark gestiegen wie die Reallöhne (16,1 zu 8,4 Prozent). Stark zugelegt haben die Gewinnsteuern der Firmen, was der erfolgreichen Steuer- und Ansiedlungspolitik einiger Kantone zu verdanken ist. Die Fiskalquote nahm gesamthaft seit 1990 von 9 auf 10 Prozent zu. Auch deshalb rät Avenir Suisse von weiteren Steuererhöhungen ab.

«Noch zu wenig bekannt»

Bleibt noch die Frage der Suizide. Der Politologe Adrian Vatter hat seine umstrittene Aussage auf Nachfrage in einem Interview mit der NZZ zumindest relativiert: Zwar gebe es in internationalen Vergleichen eine Korrelation zwischen Sparmassnahmen und der Selbstmordrate, aber der kausale Mechanismus sei «noch zu wenig bekannt». In Ländern wie Griechenland sei der Effekt zweifellos grösser. «Wir sollten uns deshalb vor der simplen Folgerung hüten, dass die im internationalen Vergleich eher moderaten Sparmassnahmen des Bundes die Menschen in den Freitod treiben.» Beruhigend.

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