Die Sozialdemokraten kritisieren die Idee Johann Wadephuls, den Wehretat deutlich zu erhöhen. Dabei könnte das Geld auch der maroden deutschen Infrastruktur zugutekommen.
Die Reise des deutschen Aussenministers Johann Wadephul in die Türkei war als aussenpolitischer Routinetermin gedacht. In Antalya traf er sich mit seinen Amtskollegen aus den anderen Nato-Staaten, um den Gipfel in Den Haag im Juni vorzubereiten – ein Arbeitstreffen, wie es sie zuhauf gibt im Kalender des deutschen Chefdiplomaten.
Doch was der neue Minister am Donnerstag in der Ferne sagte, hallte bis nach Deutschland. Am Rande des Treffens überbrachte er eine Botschaft aus Berlin: Deutschland unterstütze die Forderung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, dass die Nato-Staaten künftig fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben sollen.
In der Heimat wusste man davon jedoch offenbar nichts. Laut Medienberichten soll der Vorstoss weder mit dem sozialdemokratischen Vizekanzler Lars Klingbeil noch mit Kanzler Friedrich Merz abgestimmt gewesen sein.
Merz spielt Aussage Wadephuls herunter
Die Chefs der Koalition waren öffentlich bemüht, die Aussage wieder einzufangen. Klingbeil versicherte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), beim Nato-Gipfel werde es «eine gemeinsame Linie mit unseren Partnern» geben, daran werde man sich orientieren. Merz spielte die Bedeutung der Worte seines Aussenministers am Abend im ZDF herunter: «Das ist eine Hilfskonstruktion, um mal Richtwerte zu haben, in welche Richtung wir denn mit der Aufrüstung der Streitkräfte gehen.»
Doch die Debatte war da schon längst in vollem Gange. Insbesondere beim Koalitionspartner SPD stört man sich am Vorpreschen Wadephuls. Der Verteidigungsminister Boris Pistorius, der zu diesem Zeitpunkt gerade seinen britischen Amtskollegen empfing, stellte klar: Die Aufstellung des Wehretats sei seine Sache. Seine Parteikollegin Bettina Hagedorn warnte gegenüber dem Portal «Politico» vor «Schnellschüssen», die den Konsens von SPD, Union und Grünen zur Steigerung der Verteidigungsausgaben gefährdeten. Mit den Stimmen der Grünen hatte die Koalition im alten Bundestag die nötige Mehrheit erreicht, um diese von der Schuldenbremse auszunehmen.
Damit haben Sozialdemokraten und Konservative zwar theoretisch die Voraussetzung für unbegrenzte Investitionen geschaffen. Bislang haben die Koalitionäre jedoch tunlichst vermieden, eine konkrete Zahl zu nennen. Im Koalitionsvertrag heisst es lediglich, die Höhe des Wehretats richte sich nach den in der Nato vereinbarten Fähigkeitszielen.
Opposition kritisiert «Prozent-Fetischismus»
Auch in der Opposition sieht man die von Wadephul vorgeschlagene Steigerung kritisch. Die aussenpolitische Sprecherin der Grünen, Deborah Düring, warf Wadephul im «Spiegel» etwa «Prozent-Fetischismus» vor. Der Parteichef der Linken, Jan van Aken, sagte dem RND, das Fünf-Prozent-Ziel sei «totaler Wahnsinn». Selbst wenn die Schuldenbremse ausgesetzt werde, irgendwann müsse jemand dafür bezahlen.
Die Kosten für einen Aufwuchs des Wehretats in dieser Höhe wären enorm. Legt man das prognostizierte nominale Bruttoinlandprodukt für 2025 zugrunde, würden sie sich auf 218 Milliarden Euro belaufen. Das wäre fast die Hälfte des gegenwärtigen Haushaltsvolumens.
Merz will die Bundeswehr allerdings auch zur konventionell stärksten Armee Europas machen, wie er in dieser Woche in seiner ersten Regierungserklärung sagte. Ohne deutlich mehr Investitionen wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein. Selbst das Zwei-Prozent-Ziel der Nato hat Deutschland erst im vergangenen Jahr mit sehr viel Mühe erreicht. Unter anderem auch, indem Ausgaben dazugerechnet wurden, die strenggenommen nicht der Bundeswehr zugutekommen: die Waffenhilfe an die Ukraine etwa oder die Kosten für die Flugbereitschaft.
Militärisch nutzbare Infrastruktur im Fokus
Geht es nach dem Nato-Generalsekretär Mark Rutte, dürfen die Nato-Staaten ausserdem künftig auch Investitionen in die Infrastruktur hinzurechnen. Er schlägt vor, dass 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung der Staaten tatsächlich ins Militär fliessen sollen. Weitere 1,5 Prozent könnten auch für militärisch nutzbare Infrastruktur ausgegeben werden. Dazu gehören etwa das Schienennetz, Tunnel und Häfen.
Den Deutschen dürfte dieser Vorschlag gelegen kommen. Schliesslich hat die neue Koalition neben der Lockerung der Schuldenbremse auch ein 500-Milliarden-Paket für die Infrastruktur beschlossen. Deutschland hätte die Investitionen dringend nötig. Die bröckelnden Brücken und das veraltete Schienennetz sind nicht bloss ein Ärgernis für die Bevölkerung.
Im Falle eines Krieges mit Russland würde Deutschland aufgrund seiner geografischen Lage zu einem wichtigen Drehkreuz für das Bündnis. Soldaten und Gerät würden durch das Land gen Osten verlegt. Wenn also etwa wie an vielen Orten in Deutschland keine Schwertransporte mehr über Brücken fahren können, hat auch die Nato ein Problem.
Zumindest bei Rutte kam Wadephuls Vorstoss daher gut an. Er lobte die deutsche Regierung dafür, dass sie eine führende Rolle einnehmen wolle. Auf deutscher Seite dürfte zudem die Hoffnung bestehen, dass man die Aussagen Wadephuls auch in den USA vernommen hat. Merz will sich bald in Washington mit Trump treffen. Ein Signal, dass Deutschland künftig mehr in die Verteidigung investieren will, kann da nicht schaden.