Lokal statt global
Etwas Patriotismus darf sein: Zum Nationalfeiertag gehören Schweizer Weine, zumal das Land viel mehr zu bieten hat als Chasselas, Pinot noir und Merlot. Wir haben fünf Spezialitäten aus fünf Regionen ausgewählt.
Noch immer glauben es nicht alle, aber es lässt sich nicht wegdiskutieren: Die Schweizer Weine sind Weltklasse – zumindest ein Teil der produzierten Gewächse. Die Qualität ist in den letzten 20 bis 30 Jahren dramatisch gestiegen, was selbst im Ausland zunehmend stärker wahrgenommen wird. Die Pioniere treten langsam ab und machen der jungen Generation Platz, die schon in einigen Gütern das Zepter übernommen hat und mit Innovation, Idealismus und Begeisterung die Erfolgsgeschichte weiterschreiben will.
Einer der Trümpfe ist die grosse Rebsortenvielfalt auf der kleinen Anbaufläche von rund 15 000 Hektaren. Klar: Chasselas ist der König in der Westschweiz. Die Deutschschweiz ist ohne Pinot noir undenkbar. Und im Tessin dominiert der Merlot. Doch in allen sechs Anbaugebieten des Landes werden spannende Spezialitäten, rare Exoten und wenig bekannte Sorten kultiviert. Diese passen ebenso zum 1. August wie Chasselas und Co. Unsere fünf Vorschläge sind also eine Hommage an den einheimischen Weinbau.
1. Completer 2022, Weingut Hermann, Fläsch
Die rare weisse Sorte gehört zur Bündner Herrschaft. Sie ergibt eindrucksvolle, kräftige und lagerfähige Weine, wie dieses Beispiel beweist. Es ist im Mémoire des Vins Suisses vertreten, der Spitzen-Winzervereinigung des Landes. Der im gebrauchten Barrique und Doppelbarrique ausgebaute 2022er zeigt sich mit einem leicht nussigen Duft, ist frisch, geschmeidig, mineralisch geprägt und besitzt ein grosses Potenzial. Roman Hermann hat den Betrieb von seinen Eltern Peter und Rosi übernommen.
2. Himbertscha 2022, Chanton Weine, Visp
Eine weltweit einmalige Spezialität ist diese Sorte aus dem Wallis, eine Kreuzung aus Humagne blanc und wahrscheinlich einem Muscat. Das Weingut Chanton hegt und pflegt solche Kuriositäten, die den Reiz des Weinbaus ausmachen. Die Reben wachsen in Varen auf 700 Metern über Meer. Himbertscha duftet nach Kräutern, Haselnüssen und zeigt eine feine Mineralität. Der Wein ist mittelschwer und endet mit schöner, leicht salzig geprägter Länge. Er lässt sich etwa als Apéro mit Bergkäse oder Fischtatar kombinieren.
3. Altesse 2022, Weingut Henri Cruchon, Echichens
Der Waadtländer Spitzenbetrieb setzt damit auf eine weisse, rare Sorte, die ursprünglich aus dem französischen Savoyen stammt und dort als Roussette bekannt ist. Es handelt sich durchaus um eine aristokratische Traube, die im Konzert der grossen weissen Varietäten mitspielen kann. Ein langer Barrique-Ausbau auf der Hefe wie in diesem Fall sorgt für Komplexität und Geschmacksreichtum. Typisch sind zudem eine gute Säure und eine Aromatik von Pfirsichen und Äpfeln. Dies zeigt auch dieser 2022er.
4. Bondola del Nonu Mario 2022, Azienda Mondò, Sementina
Bondola ist eine alte einheimische Rotweinsorte aus dem Kanton Tessin. Sie wird nur noch selten angepflanzt, weil sie durch Graufäule gefährdet ist. Der beste Cru des Kantons kommt von der Azienda Mondò, die den Wein während eines Jahres im Barrique reifen lässt. Das Resultat ist ein Cru von rubinroter Farbe, mit einem Bouquet von roten Früchten und Veilchen-Noten. Er ist eher leicht, gut strukturiert und mit einer präsenten Säure sowie einer schönen Länge ausgestattet.
5. Diolinoir 2020, Petit Château, Môtier
Im Vully-Gebiet ist das Gut der Familie Simonet zu Hause. Sie hegt und pflegt eine Reihe unterschiedlicher Rebsorten, darunter den nicht zu bekannten Diolinoir. Die rote Sorte ist eine Schweizer Neuzüchtung aus Rouge de Diolly und Pinot noir. 1970 kam sie auf den Markt. Kennzeichnend sind eine intensive Farbe, eine markante Tannin-Struktur und eine eher fruchtbetonte Nase. Der Diolinoir von Petit Château erfüllt all diese Eigenschaften auf perfekte Art und Weise und ist erstaunlich langlebig.