Sonntag, Februar 23

Der Fachkräftemangel lässt nach, nun schlagen die Führungskräfte zurück. Müssen die Arbeitnehmer ihre neuen Freiheiten wieder aufgeben?

«Nicht eine verdammte Person ist zu erreichen», beschwert sich Jamie Dimon, Chef von JP Morgan, bei seinen Mitarbeitern. «Ihr wart auf Zoom, und ihr habt Folgendes gemacht: Ihr habt in eure E-Mails geschaut, habt einander Texte geschickt, was für ein Arschloch die andere Person ist. Habt nicht aufgepasst, euch nicht vorbereitet.»

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Der CEO der weltgrössten Bank ist wütend. Das hört man deutlich heraus aus dem Mitschnitt eines Townhall-Meetings bei JP Morgan, der derzeit in den sozialen Netzwerken kursiert. Wütend auf faule Mitarbeiter, auf ineffiziente Strukturen, aber vor allem auf eines: aufs Home-Office.

Mitarbeiter der Bank sollen fortan wieder fünf Tage in der Woche ins Büro kommen, so wie vor der Pandemie. Nur so könne JP Morgan weiterhin die führende Bank bleiben, so Dimon – und nicht, indem man denselben «Scheiss» mache wie alle anderen.

Endlich wieder harte Hand?

Die deutlichen Worte des Bankchefs sorgen für Aufsehen. Er ist mit seiner Vorgehensweise aber nicht allein: Beim Konkurrenten Goldman Sachs müssen die Mitarbeiter ebenfalls Vollzeit ins Büro kommen, auch Amazon führte jüngst eine entsprechende Regelung ein. Der Meta-Chef Mark Zuckerberg beschwerte sich in einem Podcast, die Firmenkulturen seien heutzutage zu «verweichlicht», es brauche wieder mehr «männliche Energie».

«Es gibt Führungskräfte, die haben offenbar nur auf den Moment gewartet, in dem sie endlich wieder mit harter Hand durchgreifen können», sagt Patrick Mollet, Mitinhaber der Beratungsfirma Great Place To Work, die sich einer «vertrauensbasierten» Arbeitsplatzkultur verschrieben hat. Dieser Moment scheint nun gekommen zu sein. In Branchen wie der IT lässt der Druck des Fachkräftemangels nach, gleichzeitig hat US-Präsident Donald Trump mit seinem Amtsantritt das Ende des «woken» Zeitalters eingeleitet. Das Credo: Jetzt darf man endlich wieder durchgreifen.

Diese Beobachtung macht auch Dieter Wagner, emeritierter Wirtschaftsprofessor der Uni Potsdam. «Wir sehen eine Art Renaissance traditioneller Führungsstile. Besonders in Branchen, in denen die Leute mehr um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen, können sich die Unternehmer wieder mehr Härte erlauben.»

Nicht jeder kann sich das erlauben

Jamie Dimon scheint sich zumindest keine Sorgen zu machen, dass ihm die Mitarbeiter davonlaufen, wenn sie zurück ins Büro müssen. Niemand, der die Dinge anders sehe, müsse bei JP Morgan arbeiten, so der Bankenchef. «Es ist ein freies Land, jeder kann gehen, wohin er will.»

Das stimmt – doch nicht jedes Unternehmen kann sich eine solche Herangehensweise erlauben. Vor allem kleinere Firmen und KMU hätten es im Wettbewerb um Talente schwer, wenn sie kein Home-Office erlaubten, glaubt der New-Work-Berater Patrick Mollet. Laut einer europaweiten Studie, die sein Unternehmen durchgeführt hat, wünschen sich 57 Prozent der Arbeitnehmer die Möglichkeit, zumindest hybrid zu arbeiten. Ganz zu Hause bleiben wollen nur 11 Prozent.

Mollet geht daher nicht davon aus, dass hybrides Arbeiten im grossen Stil verschwinden wird. «Auf jede Firma, die ihre Mitarbeiter zurück ins Büro beordert, kommen drei andere, die betonen, bei ihnen könne man weiterhin hybrid arbeiten.» Auch der Ökonom Dieter Wagner sagt: «Es gibt einen gewissen Backlash, aber von einer Abschaffung würde ich nicht sprechen.»

Die Schweiz findet den Mittelweg

In der Schweiz gaben in einer Befragung der Fachhochschule Nordwestschweiz nur 5 Prozent der Arbeitnehmer an, dass sie zwar ihre Tätigkeit zu Hause durchführen könnten, ihnen dies aber nicht erlaubt sei. Hierzulande machte etwa der Industriekonzern Sulzer Schlagzeilen mit der Aussage, dass die Mitarbeiter fortan ins Büro kommen müssten. Bei Schindler wurde die Home-Office-Möglichkeit auf einen Tag die Woche begrenzt.

In der Politik weht der Wind in die entgegengesetzte Richtung. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats hat diese Woche einer Motion zugestimmt, die flexiblere Arbeitszeiten im Home-Office ermöglichen soll. Und gleichzeitig eine Anpassung vorgenommen: Der Kreis derjenigen, die ein Recht auf Heimarbeit haben sollen, soll ausgeweitet werden – auf Personen ohne grosse Autonomie, also gewöhnliche Büroangestellte.

In der Schweiz habe man zu dem Thema von Anfang an eine überlegtere Herangehensweise gehabt, findet Patrick Mollet. «In den USA gibt es Firmen, da waren die Mitarbeiter seit der Pandemie nicht mehr vor Ort.» Dass man das als Unternehmen nicht tolerieren könne, sei klar. «In der Schweiz war es von Anfang an so, dass die meisten höchstens an zwei bis drei Tagen die Woche zu Hause geblieben sind.»

Der Schweiz kommen dabei einige Faktoren zugute: Die Unternehmen sind oft kleiner, was eine stärkere Vertrauensbasis zwischen Führungskräften und Mitarbeitern schafft. Kürzere Anfahrtswege machen das Pendeln weniger schlimm. Und auch die typisch schweizerische Kompromissbereitschaft dürfte ihren Teil dazu beitragen, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich leichter einig werden.

Andere Trends verschwinden schleichend

Der Ökonom Dieter Wagner geht aber auch global betrachtet davon aus, dass die Aufteilung «zwei Tage daheim, drei im Büro» sich durchsetzen wird. «Das ergibt ja auch ökonomisch Sinn, vor allem in Dienstleistungsberufen. Für manche Tätigkeiten ist es besser, im Büro zu sein, an manchen Tagen ist man zu Hause produktiver.» Patrick Mollet plädiert dafür, das Büro als Tool zu nutzen, das an bestimmten Arbeitstagen gezielt zum Einsatz kommt, als Ort für Austausch und Ideenfindung.

Während ums Home-Office regelrechte Kämpfe ausgefochten werden, verschwinden andere New-Work-Trends schleichender. Die Vier-Tage-Woche, noch vor einem Jahr ein regelrechtes Hype-Thema, beschäftige die meisten Firmen kaum mehr, beobachtet Patrick Mollet. Auch sogenannte Workations, bei denen Mitarbeiter wochenlang aus der Ferne arbeiteten, würden weniger angeboten – auch, weil sich Firmen der rechtlichen Risiken inzwischen mehr bewusst seien.

Die Zeiten, in denen Firmenchefs ihren Mitarbeitern das Blaue vom Himmel versprachen, scheinen vorerst vorbei zu sein. Dieter Wagner findet aber, da sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. «Es hängt immer davon ab, was überwiegt: ökonomische Zwänge oder Fachkräftemangel.» Dass bald alle wieder jeden Tag ins Büro kommen müssen, glaubt er zumindest nicht: «Der Zug ist abgefahren.»

Ein Artikel aus der «»

Exit mobile version