Cargo-Bags – Taschen mit angenähten Taschen – fluten derzeit die Geschäfte und die sozialen Netzwerke. Sind sie Ausdruck unseres Ordnungsfimmels? Oder ein Plädoyer gegen den Minimalismus?
Ich packe in meine Tasche: einen Notizblock, einen Kugelschreiber, eine Kreditkarte und einen Haarkamm in Form eines Seepferdchens. So würde das etwa klingen, wenn man die neue «Sofia Bag» des Londoner Labels Chopova Lowena besässe. Denn auf der Vorderseite des lackledernen Objekts sind fein säuberlich kleine Halterungen angenäht, die genau Platz für diese mehr oder weniger essenziellen Dinge bieten – inbegriffen im Preis von rund 1500 Franken. Dazu silberne Karabiner, die nur darauf warten, mit diversen Charms und Schlüsseln behängt zu werden.
Die Tasche von Chopova Lowena ist ein besonders kreativer, besonders signalroter Auswuchs der derzeit in der Modewelt grassierenden Cargo-Bag. Ihre Designerinnen Emma Chopova und Laura Lowena bezeichnen sie auf ihrer Website als «girlhood survival kit». Als Überlebenspaket für Mädchen also, womit natürlich, so will es die manchmal infantilisierende Sprache des Internets, Frauen gemeint sind.
Die Tasche stilisiert die banalen Begleiter des Lebens zu Accessoires hoch, stellt sie zur Schau. Alles hat seinen Platz. Denn, das weiss jede Person, die schon einmal eine Tasche besessen hat: Sonst verschwindet es im grossen Bauch des Ungetüms, wird verschluckt und, wenn es blöd kommt, nur mit grösster Mühe wieder gefunden.
Werkzeugkiste oder Handtasche?
Wie alle Handtaschen steht die Cargo-Bag in den aktuellen Kollektionen von Chloé bis Zara für ein Versprechen. Sie sagt: Mit mir hast du dein Leben im Griff. Und zwar so, dass es alle sehen. Die «Superbusy» von Balenciaga trägt diese Idee gar im bewusst überspitzten Namen. Mit ihren 14 Aussenfächern – darunter ein passgenaues für Apples Airpods Pro – soll sie Superbeschäftigte anziehen und solche, die so wirken möchten.
Übertroffen wird sie nur von der «Cargo Birkin» von Hermès. Das französische Traditionshaus lancierte die mit Taschen dekorierte Version ihrer klassischen Birkin Bag 2020 in limitierten Mengen. Heute ist sie zum begehrten Sammlerstück avanciert. Für unter 20 000 Franken geht sie auf Auktionen nicht weg. Oft übersteigt ihr Preis gar das Doppelte.
Ihr bestes und gleichzeitig abwegigstes Merkmal ist die an der Seite angebrachte, in Leder eingefasste Halterung für einen To-go-Kaffeebecher. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass eine «Birkin»-Besitzerin ihren Flat White tatsächlich dort lagern würde. Zu gross die Gefahr des milchigen Überschwappens. Wohl auch deswegen ist der Cupholder abnehmbar.
Fächer des Zeitgeists
Welche Taschen an Cargo-Bags angebracht sind, kann unsere Bedürfnisse entlarven. Die kleinen Handyfächer, die man in den nuller Jahren mit naiver Begeisterung in jede Handtasche einnähte, werden heute lediglich für Pflästerli oder lose Bonbons genutzt. Schon das erste iPhone war weit darüber hinausgewachsen; irgendwann gaben es Modemarken (mit Ausnahme von Balenciaga) auf, mit der ständigen Inflation von technischen Geräten Schritt halten zu wollen.
Andere Fächer und ihre Inhalte sind so gut wie zeitlos. Ein Artikel in der «New York Times» aus dem Jahr 1922 beschreibt eine damals neuartige «pocket bag», die komplett mit einem Spiegel, einem Notizblock, einem Bleistift und einer Kleingeldbörse kam. Es gibt davon kein Bild. Aber man kann sich vorstellen, dass sie ähnlich aussah wie das, was heute mit Stolz auf Tiktok präsentiert wird.
Dort gilt die Cargo-Bag – am liebsten von Acne Studios oder neuerdings von Coach – als Heilmittel gegen unsere von strukturlosen Stofftragetaschen geschundenen Seelen (und Schultern). Manche Userinnen und User stellen sie als ihre neue Bürotasche vor. Nach und nach wird jedes Fach geöffnet, um dessen Inhalt zu enthüllen: Praktisches wie Lippenpomade, Absurdes wie kleine Puppen. Die Möglichkeiten zur Personalisierung sind endlos.
Die Gefahr der Verzettelung
Das ist mit der Grund für die gegenwärtige Beliebtheit von Cargo-Bags. Taschen sollen für viele Menschen nicht mehr möglichst schlicht und zeitlos sein. Stattdessen überlädt man sie mit Schlüsselanhängern, stopft sie bis oben voll, trägt sie, bis ihr Leder ganz abgewetzt ist. Doch es ist auch der Trendzyklus, der auf ihrer Seite steht. Denn ihre letzte Blütezeit hatten die Cargo-Bags vor zwanzig Jahren, in den frühen nuller Jahren.
Je mehr, desto besser, lautete damals bei manchen die Maxime. Ein Denim-Modell von Jil Sander war mit nicht weniger als 28 Aussenfächern geschmückt. Es machte – ob wissentlich oder nicht – die Vorteile seiner Form sofort wieder zunichte. So unvermeidbar war die Verzettelung. Wer wollte schon einen Zug verpassen, weil man zuerst mit wachsender Panik 27 Fächer öffnen musste, bevor man auf sein Billett stiess?
Vielleicht haben die Modelabels etwas gelernt. Mehr als 15 Aussentaschen hat heute keine der beliebtesten Cargo-Bags; die meisten kommen mit zwischen zwei und vier aus. Damit sollte sich das Leben ausreichend in den Griff bekommen lassen. Und wenn nicht? Dann sieht man wenigstens superbeschäftigt aus.