Mehr als 500 000 Migranten haben 2023 den gefährlichen Dschungel durchquert. Nun plant Panamas neuer Präsident, die Grenze zu Kolumbien zu schliessen und die Migranten zu deportieren.

132 Wasserläufe habe sie in drei Tagen durchquert, darunter wild rauschende Flüsse voll rutschiger Felsen, erzählt Ibis Simanca. Vor Erschöpfung sei sie auf dem Weg durch den Darién-Wald einmal ohnmächtig geworden, sie leide an Asthma. Aber Schwangere und Ältere hätten unter den Strapazen mehr gelitten, wie eine 78-jährige Frau, die einen Herzinfarkt erlitten habe, erzählt die 28-jährige Kolumbianerin. Vor drei Wochen hatte sie ihre drei Kinder bei ihrer Familie in Barranquilla zurückgelassen und sich auf den Weg Richtung USA gemacht.

Sie vermisse sie sehr, erzählt sie bei einem Gespräch in der Migrantenherberge Casa Peregrina del Migrante Santo Hermano Pedro im Süden von Guatemala-Stadt. Doch in ihrer Heimat könne man mit ehrlicher Arbeit kein Geld verdienen, sagt die gelernte Kauffrau. In Mexiko werde sie eine Cousine treffen, die wisse, wie man ein Visum für die USA beantrage. Sie wolle legal in die USA. Doch Geld für die Weiterreise nach Mexiko hat sie nicht, die letzten Kilometer bis nach Guatemala-Stadt sei sie gelaufen. Nun will sie hier erst einmal einige Wochen in einem Supermarkt arbeiten.

Wie Ibis sind auch die anderen in der Casa Peregrina gestrandeten Migranten mit schmalem Budget und dem Prinzip Hoffnung unterwegs. In der von Ehrenamtlichen der lokalen Kirchengemeinde geleiteten Herberge erhalten sie Verpflegung und dürfen eine Nacht kostenlos bleiben. Frühmorgens müssen sie dann Platz machen für die am nahen Busbahnhof Centra Sur neu ankommenden Migranten.

Unter Migranten herrscht ein Zwei-Klassen-System

Während arme Migranten wie Ibis auf gefährlichen Routen in die USA unterwegs sind, bringen Schlepper finanzkräftige Migranten auf geheimen Routen schnell und relativ sicher an die amerikanische Grenze oder gar darüber hinaus. Dafür bezahlt man 10 000 bis 20 000 Dollar pro Person. Bei manchen Schleppern erhält man damit sogar drei Versuche. Sprich: Wer von den amerikanischen Behörden beim illegalen Grenzübertritt erwischt und deportiert wird, darf es sofort erneut versuchen.

Diesen Luxus kann sich der 24-jährige Gilbert Sanches aus Venezuela nicht leisten. Er wolle in Mexiko ein amerikanisches Visum beantragen, sagt er. «Ich will nicht riskieren, deportiert zu werden. Denn dann wären all die Mühen umsonst gewesen.» Die Durchquerung des Darién-Waldes war für ihn traumatisch, er weint beim Erzählen.

Bis an die Grenze zu Panama hätten die Führer sie begleitet, dann seien sie auf sich alleine gestellt gewesen. «Da warteten Indigene, die einige von uns ausraubten und Frauen vergewaltigten. Wer sich wehrte oder floh, wurde mit Steinen beworfen.» Er habe von anderen Migranten erfahren, dass eine Schwangere in eine Schlucht gestürzt sei und dass die Kriminellen eine ganze Familie umgebracht hätten, unter ihnen ein vierjähriges Kind. Er selber habe alle seine Habseligkeiten im Urwald verloren.

Auch die Weiterreise sei eine Tortur gewesen, in Nicaragua habe man sie wie Dreck behandelt und für Essen und Trinken teuer bezahlen lassen. Und in Guatemala habe die Polizei von jedem Migranten 50 Dollar erpresst. Zurück nach Venezuela könne er nicht, die Familie warte darauf, dass er Dollar aus den USA schicke.

Immer mehr Migranten aus Südamerika

Stellten Migranten aus Mexiko und Zentralamerika früher die grosse Mehrheit der an der amerikanischen Südgrenze Aufgegriffenen, so kamen jüngst immer mehr Südamerikaner. 2023 wurden über 200 000 Venezolaner und über 150 000 Kolumbianer dort aufgegriffen. Das seit Jahren von schweren Wirtschaftskrisen gebeutelte Venezuela ist hinter Mexiko und Guatemala bereits das Herkunftsland mit den drittgrössten Migrantenzahlen, Kolumbien die Nummer fünf. Dazu kommen immer mehr vor der Gewalt der Drogenbanden fliehende Ecuadorianer und Armutsflüchtlinge aus Peru.

Für diese meist armen Migranten gibt es keine Alternative zu der Darién-Passage, der einzigen Landverbindung von Kolumbien nach Zentralamerika. Von den 500 000 Migranten, die sie 2023 durchquerten, kamen 320 000 aus Venezuela. Wie der 39-jährige Pedro Toro, der daheim mit den 80 Dollar, die er monatlich als Elektriker verdiente, die Familie nicht mehr ernähren konnte. Er will nach Texas. Wie er über die Grenze kommt, weiss er noch nicht. Es gebe viele Gerüchte, er werde schauen, was möglich sei.

Für die Durchquerung des Darién-Waldes musste Toro 480 Dollar bezahlen. Sein Landsmann Lizandro Orozco zahlte jeweils 350 Dollar für sich, seine Frau und den 12-jährigen Sohn, für die drei kleinen Kinder die Hälfte. An der amerikanischen Grenze will er sich einen Termin bei den Einwanderungsbehörden holen. So ganz genau wisse er aber nicht, wie das gehen solle.

Der Darién-Gap könnte bald geschlossen werden

An der amerikanischen Grenze herrschen mittlerweile strengere Regeln. Denn Migration ist zum heissen Thema im US-Wahlkampf geworden. Anfang Juni hatte die Biden-Regierung es ermöglicht, dass illegal Eingereiste sofort abgeschoben werden können. Auch die mexikanischen Behörden erschweren die Reise an die amerikanische Grenze.

Bald könnte auch die Darién-Passage dichtgemacht werden. Panamas neuer Präsident José Raúl Mulino, der am 1. Juli sein Amt antritt und enge Beziehungen zu den USA anstrebt, will dem Menschenschmuggel an der Grenze ein Ende bereiten. Der als Hardliner geltende Politiker will die durch den Darién kommenden Migranten in ihre Heimatländer abschieben. Das werde zukünftig Migranten abschrecken, nach Panama zu kommen.

Die Kosten für die Ausschaffungsflüge sollen die USA tragen. «Denn die Grenze der USA befindet sich längst nicht mehr in Texas, sondern verläuft heute in Panama, in Darién», so Mulino. Die USA sollen der Idee positiv gegenüberstehen, berichtet der stets gut informierte argentinische Journalist Andrés Oppenheimer.

Experten glauben, dass die Migranten dadurch auf andere, oft gefährlichere und für sie teurere Routen gedrängt würden. So bieten Schlepper bereits die Umschiffung des Darién-Gaps an, wobei die Pazifikroute von Kolumbien nach Panama als äusserst gefährlich gilt. Aber auch der Weg durch die Karibik ist nicht ungefährlich. So kamen Ende 2023 mindestens 70 Migranten aus Venezuela bei der Überfahrt von der kolumbianischen Karibikinsel San Andrés nach Nicaragua ums Leben. Für diese Route sollen Schlepper bis zu 5000 Dollar verlangen.

Das Einfallstor Nicaragua

Eine Alternative zur Darién-Passage wäre ein Flug nach Nicaragua. Der Diktator Daniel Ortega hat den Flughafen der Hauptstadt Managua für Migranten geöffnet. So kommen dort neben Charterflügen aus Kuba, der Dominikanischen Republik und Haiti zunehmend auch Flüge aus afrikanischen und asiatischen Ländern an. Nach einer Schliessung der panamaischen Grenze könnte es bald auch von Schleppern gecharterte Flüge aus Südamerika geben.

Allein zwischen Mai 2023 und Mai 2024 sind laut Erhebungen des in Washington ansässigen Think-Tanks Inter-American Dialogue mehr als 1000 Charterflüge in Managua gelandet. Ortega nutze die Migration, um Druck auf die USA für die Aufhebung von Sanktionen gegen sein Regime zu machen, erklärt Manuel Orozco, der Direktor des Think-Tanks.

Die Migration ist für Ortega aber auch «eine goldene Chance», die eigenen Taschen zu füllen. Wie der nicaraguanische Investigativjournalist Wilfredo Miranda berichtet, muss jeder Migrant bei der Ankunft in Managua neben einer offiziellen Gebühr von 44 Dollar weitere 150 bis 200 Dollar unter der Hand an die Grenzbeamten zahlen. Je restriktiver gegen die Migration in Lateinamerika vorgegangen wird, desto lukrativer wird sie für das organisierte Verbrechen und Regime wie dasjenige in Nicaragua.

Exit mobile version