Samstag, September 28

Der Aktienkurs des Herstellers von Abfüllanlagen und Getränkekartons SIG Group ist auf ein Vierjahretief gesunken. Der Markt traut der versprochenen Gewinnerholung nicht. Ein Engagement sollte sich trotzdem auszahlen.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Was ist nur mit SIG Group los? Die Aktien des nach Tetrapak zweitgrössten Herstellers von Abfüllanlagen und den dazu benötigten Getränkekartons kennen seit Monaten nur eine Richtung: nach unten.

Nach der Publikation der schwachen Zahlen zum Startquartal hat sich der Kursrückgang beschleunigt. Anfang dieser Woche notieren die Aktien auf einem Vierjahretief von 16 Fr. Innerhalb eines Jahres bedeutet das eine Werteinbusse von 38%.

Nur Geschäftsmodell ist stabil

Für ein Unternehmen mit einem derart stabilen und voraussehbaren Geschäftsmodell ist das eine unerwartete Entwicklung. SIG Group verdient an den Getränkekartons und -verschlüssen, die das Unternehmen auf seinen Abfüllanlagen im Rahmen von langjährigen Lieferverträgen absetzt. Zudem verläuft die Volumenentwicklung jeweils recht konstant. Sie orientiert sich an der Nachfrage der Konsumenten nach Getränken, die zwecks längerer Haltbarkeit in sterilen (aseptischen) Behältnissen abgefüllt werden.

Seit der Übernahme von Scholle IPN im Jahr 2022 hängt das Umsatzwachstum zudem vom Absatz von flüssigen Nahrungsmitteln (Getränke, Soft-Ice, Saucen) in Schnellimbissstätten ab. Dieser schwankt zwar etwas stärker und durchläuft derzeit in den USA eine Flaute. Trotzdem lässt sich der Kurseinbruch der SIG-Aktien nicht damit erklären, dass das Geschäft des Unternehmens in einer Krise steckt.

Kumulation belastender Dinge

Eine mögliche Erklärung ist die Häufung von belastenden Faktoren. Das Ende April veröffentlichte Resultat zum Startquartal fiel deutlich unter den Markterwartungen aus. Der Umsatz reduzierte sich gegenüber dem Vorjahr um 1% auf 721,5 Mio. €. Schon im Vorjahr hatte das Volumen um 1% abgenommen. Verglichen mit Marktführer Tetrapak (–7%) war das zwar ein ansehnliches Ergebnis und deutet darauf hin, dass SIG fortgesetzt Marktanteile erobert. Doch die Analysten hatten mit einem Umsatzwachstum von 1% gerechnet.

Auch der Betriebsgewinn auf Stufe Ebitda erreichte die Vorgaben nicht. Mit (bereinigt) 155,2 Mio. € lag er um rund 9% unter den Prognosen. Aber das war keine Katastrophe, die den Kurszerfall allein erklären würde.

Auch die Verschuldung bereitet einigen Marktteilnehmern Sorge. Die Grossakquisition hat die Verschuldungsquote (Nettoschulden im Verhältnis zum Gewinn auf Stufe Ebitda) vorübergehend auf über 3 erhöht. Ende März lag sie bei 2,9. Bis Ende dieses Jahres sollen es noch 2,5 und mittelfristig 2,0 sein, wird versprochen. Die hohe Cashflow-Generierung sollte dies ermöglichen.

Management hält an den Zielen fest

Für das SIG-Management waren die schwachen Zahlen kein Grund zur Beunruhigung. Zumindest machte es an der Telefonkonferenz den Anschein, dass alles gut kommen wird, also die für das laufende Jahr in Aussicht gestellten Ziele erreichbar seien.

Es hiess lediglich, dass das für 2024 budgetierte Umsatzwachstum von 4 bis 6% sowie die versprochene Ebitda-Marge von 25 bis 26% am unteren Ende bzw. in der unteren Hälfte ausfallen würden. Die Zahlen in der ersten Jahreshälfte würden unter, dafür die in der zweiten über diesen Zielkorridors zu liegen kommen, sagte Konzernchef Samuel Sigrist Ende April.

In der Folge mussten die meisten Analysten ihre zu optimistischen Prognosen – zum Teil beträchtlich – nach unten anpassen. Analyst Benjamin Thielmann von Berenberg zum Beispiel reduzierte seine Schätzungen für den Gewinn pro Aktie für 2024 bis 2026 jeweils um rund 20%. Mit diesen Schätzungen liegt er jedoch weiterhin deutlich über dem Marktkonsens.

Einen weiteren Dämpfer verpasste den Valoren Anfang Monat eine kritische UBS-Studie. Auch die UBS-Analysten adjustierten ihre Gewinnschätzungen nach unten. Bemerkenswerter war indes, dass sie davon ausgehen, dass das SIG-Management seine Prognosen für 2024 nicht erreichen wird. UBS geht davon aus, dass die bereinigte Ebitda-Marge dieses Jahr lediglich bei 24,3% zu liegen kommt, also geringer als im Vorjahr (24,9%) ausfällt. Doch an ihrer Kauf-Empfehlung hielt UBS trotzdem fest. Die Investoren sollten eine mittelfristige Perspektive einnehmen, lautet der Rat.

Gewinnwarnung liegt in der Luft

Die Zahlen zum ersten Halbjahr wird das Unternehmen am 30. Juli zeigen. Schön dürften sie kaum ausfallen. Anlässlich der letztwöchigen Swiss Equity Konferenz des US-Brokerhauses Stifel bestätigte Finanzchefin Anne Erkens, dass sich das Geschehen im laufenden Quartal sequenziell verbessert habe, doch das Ausmass noch schwierig abschätzbar sei. Zumindest seitens der Währungen habe der Druck gegenüber dem ersten Quartal abgenommen.

Während der Markt auf eine Gewinnwarnung wartet, versucht SIG zu deeskalieren. In einem Interview Anfang Juni bestätigte der Konzernchef das Ziel, die Dividende jährlich zu erhöhen. 2023 wurden pro Aktie 0.48 Fr. ausgeschüttet. Der Analystenkonsens rechnet mit einer unveränderten Dividende in 2024. Im laufenden Jahr wird es kaum möglich sein, dies aus dem freien Cashflow zu finanzieren.

Vor allem für den Konzernchef wird es wichtig sein, die Prognosen zu erfüllen. Der ehemalige Finanzchef des Unternehmens, der den Börsengang 2018 der damals noch als SIG Combibloc firmierenden Gesellschaft begleitete und Anfang 2021 den CEO-Posten übernahm, kann sich eine Gewinnwarnung nicht leisten. Unter den institutionellen Investoren gibt es stark unterschiedliche Meinungen, wie gut er SIG führt. Die einen schätzen den euphorisierenden Elan des 47-jährigen Managers, die anderen stossen sich an seinem Mikromanagement. Dass die Art und Weise der Integration von Scholle IPN nicht bei allen Managern des ehemaligen Privatunternehmens gut ankommt, ist wenig überraschend.

Die besondere Konstellation verlangt, dass die Integration möglichst reibungslos verläuft, weil ein Grossteil des Übernahmepreises mit SIG-Aktien bezahlt wurde. Dadurch kam der frühere Besitzer Laurens Last in den SIG-Verwaltungsrat und wurde mit einer Beteiligung von 10,141% zum grössten Einzelaktionär des Unternehmens. Die leichte Beteiligungsaufstockung wurde dahingehend interpretiert, dass sich die beiden unterschiedlichen Firmenkulturen näher gekommen sind.

Mit dem Abgang von Verwaltungsratspräsident Andreas Umbach – er wird sich nächstes Jahr nicht mehr zur Wiederwahl stellen – wird sich im Verwaltungsrat wohl einiges ändern. Aufgrund seiner guten Branchenkenntnisse wäre Last ein valabler Kandidat, falls bei weiteren Enttäuschungen Sigrist das Bauernopfer würde. Damit könnte Konstanz in der operativen und strategischen Ausrichtung des Unternehmens gewährleistet werden.

Kaufgelegenheit?

Die Publikumsaktionäre können dem derzeit unerfreulichen Treiben nur von aussen beiwohnen. Ein Verkauf auf dem gedrückten Niveau drängt sich aus meiner Sicht nicht auf. Vielmehr könnten sogar Neuengagements gewagt werden, denn am attraktiven Geschäftsmodell ändert die derzeitigen Schwächephase nichts.

Viel Negatives dürfte im derzeitigen Aktienkurs eskomptiert zu sein. Sogar eine Gewinnwarnung dürfte nicht mehr viel Unangenehmes anrichten. SIG kann fast nur positiv überraschen. Bereits ein Erreichen der Ziele für 2024 würden wohl genügen, um wieder die überdurchschnittliche Bewertung, die das Unternehmen verdient hat, zu erreichen.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Giorgio Müller

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