Mittwoch, März 19

Leere Räume, abspringende Partner, kein Personal: Die Bilanz stimmt seit dem Umzug nicht mehr. Jetzt soll alles besser werden.

Urs Meier öffnet die Tür zum dunklen Korridor mit professioneller Gelassenheit. Ganz der Chefarzt, der er bis zur Pensionierung war und den so schnell nichts aus der Fassung bringt. Er ist die bedrückende Leere gewohnt, die sich vor ihm auftut. Geht durch den menschenleeren Flur – ein komplettes Stockwerk, das im Dämmerlicht schlummert. Überall schicke Möbel, die ungenutzt dastehen wie am ersten Tag.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Als Verwaltungsratspräsident des Zürcher Sterbehospizes Lighthouse operiert Meier seit Monaten im Krisenmodus. Vorübergehend musste er sogar die operative Leitung übernehmen, weil der Geschäftsführer aus gesundheitlichen Gründen ausfiel. Gelassen ist er, weil er inzwischen überzeugt ist, die Talsohle durchschritten zu haben. Und weil die beiden Stockwerke oberhalb – das eigentliche Hospiz – gut ausgelastet sind.

Der dunkle Korridor aber ist ein Problem. Eines, von dem die Leserinnen und Leser des offiziellen «Lighthouse-Magazins» bisher nichts erfuhren. Dieses Heft wird an die Gönner verschickt, die Jahr für Jahr drei bis viereinhalb Millionen Franken für eine gute Sache spenden. Ohne sie wäre der Betrieb unmöglich. Das Magazin verspricht ihnen allerlei «Wissenswertes» – die ungeschminkten Tatsachen gehören offenbar nicht dazu.

Im Sommer 2023 ist das Lighthouse unter viel Beachtung aus seinem in die Jahre gekommenen Stammsitz am Zürichberg in einen topmodernen, deutlich grösseren Neubau im Kreis 4 umgezogen. Dort ist es nicht mehr Hauseigentümer, sondern Mieter. Die Stadtpräsidentin Corine Mauch feierte mit, die Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli und sogar die Bundesrätin Karin Keller-Sutter.

Ein halbes Jahr später schreibt der damalige Geschäftsführer des Zürcher Lighthouse im Magazin: «Wir haben uns sehr gut eingelebt.» Und: «Ein Traum ist in Erfüllung gegangen.» Niemand käme auf die Idee, dass der Traum für ihn zu jenem Zeitpunkt längst einer der unangenehmen Sorte geworden ist. Und das wird noch einige Zeit auch kaum jemand ausserhalb des Betriebs erfahren.

Wie es um das Lighthouse wirklich steht, ginge aus dem Geschäftsbericht für das Jahr 2023 hervor. Doch dieser wird erst im März 2025 veröffentlicht, als die NZZ danach fragt.

Der Präsident des Stiftungsrates, der FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann, schreibt darin Klartext: Man habe am neuen Standort mehrere neue Angebote aufziehen wollen, von denen im Jahr 2023 kein einziges wie geplant habe umgesetzt werden können. Es fehlte an Personal und an Drittpartnern, die die vielen Räume mieten wollten. Fazit: «Nicht zufriedenstellend.»

Die Einnahmen verharrten auf dem gleichen Niveau wie vor dem Umzug, bei knapp 6 Millionen Franken. Die Ausgaben dagegen stiegen um 3 Millionen auf über 8 Millionen Franken. Die Lighthouse-Stiftung musste Finanzanlagen auflösen, um ein Loch zu stopfen, das doppelt so gross ausfiel wie erwartet.

Der Verwaltungsratspräsident Urs Meier erklärt, das Lighthouse habe sich von Anfang an drei Jahre Zeit gegeben, um den neuen Standort zum Laufen zu bringen. Es sei normal, dass bei einem solchen Wachstumsschritt Aufwand und Ertrag zunächst auseinanderklafften. Deshalb seien 5 Millionen Franken beiseitegestellt worden. Und obwohl man inzwischen mit fünf statt drei Jahren Anlaufzeit rechne, werde dieser Betrag voraussichtlich reichen.

Der kritische Jahresbericht sei nicht mit Absicht unter Verschluss gehalten worden, beteuert Meier. Die Führung des Lighthouse sei aufgrund der vielen Baustellen schlicht überfordert gewesen, deshalb sei leider vieles liegen geblieben.

Das Ziel waren stabile Einnahmen, das Ergebnis war ein Defizit

Dabei stand am Anfang ein Plan, der in der Theorie durchaus einleuchtete. Das Lighthouse, das vor über 35 Jahren gegründet worden war, um Aidskranken ein würdiges Lebensende zu ermöglichen, sollte endlich auf ein stabiles finanzielles Fundament gestellt werden.

Sterbenskranke Menschen in ihren letzten Tagen zu begleiten, kostet viel Geld, trägt aber nicht viel ein. Ein grosser Teil des Aufwands wird deshalb mit Spenden gedeckt – und Spenden können stark schwanken. Sie bedeuten also Unsicherheit. Der Plan war deshalb, im neuen Lighthouse neben dem Sterbehospiz andere Dienstleistungen aus dem Gesundheitsbereich anzubieten. Solche, die verlässlich Einnahmen generieren.

Wie stark die Führung des Lighthouse auf diesen Plan setzte, lässt sich am Neubau ablesen: Von seinen fünf Stockwerken war nur gerade das oberste für den bisherigen Hospizbetrieb mit vierzehn Patientenzimmern vorgesehen, zudem eines für Empfang und Verwaltung. Dies in einem Haus mit fünf Stockwerken, von denen jedes fast 800 Quadratmeter gross ist.

Das Lighthouse hatte nicht ein derart grosses Haus bestellt, weil es für seine Pläne zwingend so viel zusätzliche Fläche benötigte. Es musste vielmehr die Pläne auf jenes Haus ausrichten, das es bekommen konnte – und fasste deshalb Vermietungen an Drittanbieter ins Auge. Die Verantwortlichen hatten zuvor lange vergeblich nach einem neuen Standort in der Stadt gesucht. Fündig wurden sie bei der Dr.-Stephan-à-Porta-Stiftung, die gemeinnützige Organisationen unterstützt. Sie gab als Grundeigentümerin die Grösse des Neubaus vor.

«Wir wussten, dass wir zwei Stockwerke füllen können», sagt Urs Meier. Für den Rest mussten andere Lösungen her, damit die Miete von rund einer Million Franken im Jahr nicht in leerstehenden Räumen versickert. Geplant waren fünf neue Angebote.

Im Erdgeschoss wollten die Lighthouse-Verantwortlichen eine Hausarztpraxis einrichten. Aber Hausärzte sind rar, es fand sich kein Mieter dafür. Deshalb bot man Ärzten an, die Praxis als Angestellte zu führen, im Auftrag einer Firma, die das Lighthouse für seine renditeorientierten Aktivitäten gegründet hatte. Die wenigen, die sich interessiert zeigten, stellten zum Teil völlig überrissene Lohnforderungen.

Im letzten Sommer, ein Jahr nach der Eröffnung, zog dann doch noch ein Arzt ein. Doch jetzt blieben die Patienten aus – trotz Werbung fanden nur ein paar Dutzend den Weg ins Lighthouse. Über die Gründe war man sich nicht einig, denn viele andere Hausärzte haben lange Wartelisten. Im «Lighthouse-Magazin» stand dazu: «Erfolgreicher Start». Als Urs Meier die Geschäftsführung übernahm, brach er das Experiment ab. Seine Erkenntnis: «Wir verstehen zu wenig von diesem Geschäft.» Ende März schliesst die Praxis.

«Das war einfach Pech»

Meier führt die Treppe hoch, zum nächsten Problemfall. Hier befindet sich eine Klinik mit mehreren Behandlungsräumen. Auch sie steht leer.

Betrieben werden sollen hätte sie von der externen Firma Medrosan, spezialisiert auf Komplementärmedizin mit pflanzlichen Wirkstoffen. Doch so weit kam es nie. Ein wichtiger Investor, der primär Cannabis-Unternehmungen finanziert, konnte den zugesagten Betrag nicht zahlen. Immerhin zahlte Medrosan zehn Monatsmieten. Die Verantwortlichen des Lighthouse zu diesem Fall: «Das war einfach Pech.»

Der Rundgang führt weiter in ein grosses, freundlich eingerichtetes Wohnzimmer. Ein Sofa, ein Klavier, ein grosser Tisch, ein Fernseher. Aber keine Menschenseele, die es sich bequem macht. Dies ist ein Tageszentrum, wo Menschen mit unheilbaren Krankheiten vorbeikommen können und von Profis betreut werden, für 45 Franken pro Tag. Laut Meier sind aber nur Vereinzelte gekommen. Das Hospiz benutzt die Räume zwar auch selbst, doch das bringt keinen Zusatzertrag.

Ein Stockwerk darüber befindet sich die Etage mit dem dunklen Korridor. Meier öffnet eine der Türen und sucht nach dem Lichtschalter. Ein komplett ausgestattetes Pflegezimmer, ansprechend eingerichtet, freundliche Farbgebung, ungenutzt. Das gesamte Stockwerk hätte von einem externen Mieter als Pflegezentrum betrieben werden sollen. Doch auch hier fand sich lange keiner.

Ob ein Sterbehospiz als Standort abschreckend wirkt? Meier zuckt mit den Schultern. Er kann nur mutmassen. Man habe aber die anderen Angebote bewusst nicht unter dem Label «Lighthouse» geführt.

Letzten Herbst verkündet das «Lighthouse-Magazin» dann gute Neuigkeiten, markiert mit einem Ausrufezeichen: Ein Betreiber sei gefunden, das Pflegezentrum sei bezugsbereit. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass die designierte Betriebsleiterin und Investorin die Ehefrau des damaligen Lighthouse-Geschäftsführers ist – und dass er sie in der Not dazu bewogen hat. Da sie seinen Nachnamen nicht angenommen hat, kommen Uneingeweihte nicht darauf. Ebenfalls nicht erwähnt wird, dass es sich bloss um einen Versuch handelt, der auf wackligen Beinen steht.

Genau so war es aber laut der Darstellung der Lighthouse-Verantwortlichen. Ein Vertrag sei nie unterzeichnet worden, lediglich ein Vorvertrag. Der damalige Geschäftsführer sei dabei in den Ausstand getreten, es habe für die Firma seiner Frau keine Sonderkonditionen gegeben. Schon nach einer Versuchsphase von wenigen Monaten habe sich aber gezeigt, dass das Zentrum nicht zum Laufen komme. Nur eine Handvoll Bewohner seien gekommen, das Personal sei nie aufgestockt worden.

In diesem Jahr soll die Kurskorrektur gelingen

Immerhin eine Sorge ist Meier inzwischen los: In der dritten Etage, wo das Lighthouse ohne Erfolg eine neue Langzeit-Palliativpflege aufziehen wollte, herrscht Betrieb. Diese vierzehn zusätzlichen Betten werden nun zur Erweiterung des Kerngeschäfts genutzt, für die das Hospiz bekannt ist: um todkranke Menschen in der letzten Phase ihres Lebens zu begleiten. Denn die Nachfrage danach nimmt zu, heute vor allem wegen Krebserkrankungen. Oft gebe es sogar eine Warteliste.

Die Verantwortlichen des Lighthouse legen Wert darauf, dass niemandem ein Schaden entstanden sei, obwohl es in den letzten eineinhalb Jahren drunter und drüber ging. Die einseitig positiven Darstellungen im «Lighthouse-Magazin» erklären sie damit, dass es sich dabei um ein Werbeheft handle.

Inzwischen sei das Schlimmste überstanden, versichern sie. Im Jahr 2024 lief es zwar finanziell nur leicht besser als 2023, aber in diesem Jahr sollte die Korrektur gelingen. «Der Kurs stimmt», sagt Urs Meier. Die Stellen seien inzwischen alle besetzt, nachdem es im letzten Jahr noch eine Welle von Abgängen gegeben habe.

Für das leerstehende Pflegezentrum gebe es bald eine Lösung. Davon werde auch das Tageszentrum auf der Etage darunter profitieren. Mehr wollen die Verantwortlichen noch nicht preisgeben.

Urs Meier steht inzwischen ganz zuoberst, auf der gedeckten Dachterrasse. Er deutet auf ein angefangenes Mosaik auf der Brüstung. Jedes der Steinchen steht für einen Menschen, der hier gestorben ist. 166 Stück sind in den etwas mehr als 600 Tagen seit der Eröffnung zusammengekommen.

«Wir haben jetzt viel über Zahlen gesprochen», sagt Meier später. «Aber für mich als Arzt stehen die Patienten im Zentrum – man darf nicht vergessen, wozu wir überhaupt hier sind.» Für diese schwerkranken Menschen und ihre Angehörigen sei der Umzug ein grosser Gewinn.

Exit mobile version