Er ist einer der bedeutendsten Sammler von Gegenwartskunst. Und verwöhnt seine Mitarbeiter mit Kunstwerken. Der Schweizer Verleger Michael Ringier macht jetzt seine Kollektion in einer Übersichtsschau der Öffentlichkeit zugänglich.
Kunst sammeln ist sein zweiter Beruf. Der Schweizer Verleger Michael Ringier geht seiner Berufung ausgesprochen professionell nach. Von Anfang an hatte er sich dafür sachkundige Beratung geholt. Beatrix Ruf, damals noch als Kuratorin in der Kartause Ittingen tätig, lenkte seinen Blick auf die internationale Gegenwartskunst schliesslich über fast zwei Dekaden. Einen ganz bestimmten Fokus hatte sich Ringier aber selbst gesetzt – sozusagen aus einer Déformation professionnelle heraus.
Anfangs interessierte ihn an der Gegenwartskunst vor allem das, womit er sich auch in seinem Hauptberuf beschäftigt: Text und Bild. Der Journalismus arbeitet damit. Und auch Kunstschaffende betreiben eine Art Journalismus, ist Ringier überzeugt. Sie setzten sich mit gegenwärtigen Problemen auseinander und visualisierten diese in Bildern, nicht selten auch in Kombination mit Texten. Zum Beispiel die deutschen Fotografen Andreas Gursky und Thomas Ruff. Oder die Amerikaner John Baldessari und Joseph Kosuth. Die ersten Werke, die Ringier erwarb, stammen denn auch von diesen Künstlern.
«Nach ein paar Monaten brauchte es eine solche Grundidee allerdings nicht mehr. Das Sammeln folgte bald einer eigenen Logik», sagt Michael Ringier zu seiner Sammelstrategie, die zweifellos auch von Sammelleidenschaft geprägt ist. Sein Medienhaus in Zürich, aber auch sein privater Wohnsitz in Küsnacht sind mittlerweile bis unter das Dach gefüllt mit Kunst. In der grossen Halle der an Mies van der Rohe angelehnten, von den Zürcher Architekten Meili, Peter & Partner erbauten Villa empfing die Besucher auch schon eine Heiligenfigur von Katharina Fritsch. Während sich in der Gästetoilette ein kleines Gemälde von Karen Kilimnik entdecken liess.
Alles kann Ringier aber gar nie zeigen. Sein Kunstlager umfasst rund 5000 Werke. Teile der Sammlung sind als Leihgaben unterwegs. Rund 200 Arbeiten befinden sich im Verlagsgebäude, wo Gegenwartskunst in den Gängen und Büros omnipräsent ist. Die Mitarbeiter dürfen sich ein Kunstwerk für ihren Arbeitsplatz selber aussuchen. Mit einer Bedingung: Kinderzeichnungen im selben Raum sind dann tabu.
«Zuerst waren viele etwas irritiert», erinnert sich der kunstbegeisterte Verleger. «Würde ich aber heute über Nacht alles wegräumen, bekäme ich tags darauf dreihundert E-Mails mit der Frage, was denn los sei.» Gegenwartskunst sei Teil der Firmen-DNA geworden. Mitarbeiter, die nie in ein Museum gingen, leben längst mit ihr. «Die Kunst hat sich ganz einfach in ihren Alltag eingeschlichen. Das war keine Absicht und hat auch nichts mit Erziehung zu tun», versichert Ringier.
Geschäftsbericht als Kunst
Kunst als Teil des Alltags – nicht anders als Journalismus: Das gilt in besonderem Mass für den Ringier-Konzern. Seine Geschäftsberichte lässt das Familienunternehmen schon lange von Kunstschaffenden gestalten. Den ersten Rapport zierte ein Foto der Firmeneigentümer. Es stammt von dem internationalen Fotografenduo Clegg & Guttmann. Dieses ist bekannt dafür, Porträtfotografie im Stil des niederländischen Altmeisters Frans Hals zu inszenieren. «The Owners» (1998) zeigt Michael Ringier und seine beiden Schwestern in strengen Posen vor pechschwarzem Hintergrund.
Die Idee dazu kam Michael Ringier und seiner Kuratorin Beatrix Ruf an einer New Yorker Ausstellung der beiden Fotografen. «Das war ein totales Desaster», erinnert sich Ringier. Alle hätten gedacht, nun spinnen sie komplett, sich solchermassen in Szene zu setzen. Niemand habe verstanden, dass das Kunst sei.
Spätestens mit dem zweiten Jahresbericht von der Schweizer Künstlerin Sylvie Fleury sei dann klar gewesen, dass es hier um Kunst gehe. Ein Jahresbericht ist normalerweise ein gedruckter Text. Und so wurden im Haus Ringier daraus oft veritable Künstlerbücher. Es folgten Gestaltungen von Matt Mullican oder Helen Marten. Die eingeladenen Kunstschaffenden haben jeweils eine Carte blanche. Als der Italiener Maurizio Cattelan, bekannt für seine Provokationen und Persiflagen, einen solchen Jahresbericht von Ringier auf Toilettenpapier gestaltete, wunderte sich längst niemand mehr.
Das Privatunternehmen hat keine Verpflichtung, seine Zahlen zu veröffentlichen, tut es aber aus berufsethischen Gründen. Wie das aussehen soll, ist ebenfalls an keinerlei Vorgaben gebunden. 2022 wurde zusammen mit dem Geschäftsbericht eine Edition von Bronzevasen mit Comic-Gesicht von der Amerikanerin Nicole Eisenman herausgegeben. Und dass Schrift selber skulptürlich umgesetzt werden kann, zeigt sich in der Sammlung Ringier an dem «Fragentopf» von Fischli/Weiss: Das grosse Tongefäss ist auf der Innenseite mit lauter Fragestellungen vollgekritzelt.
Jenny Holzer & Lady Pink: «Savor Kindness Because . . .», 1983–84, Sprühfarbe auf Leinwand; Jack Goldstein: «Ohne Titel», 1985, Acryl auf Leinwand.
Über hundert Kunstschaffende
Text und Bild sind indes schon längst nicht mehr, was die Sammlung Ringier zusammenhält. Denn was für den Journalismus gilt, der sich in den vergangenen Jahrzehnten radikal verändert hat, ist natürlich auch bei der Kunst der Fall. Insbesondere das Bild ist durch die Aneignung neuer Techniken und Medien in bisher unbekannte Dimensionen vorgestossen. Man denke an KI-generierte Bildinhalte.
Während der Journalismus aber der Wahrheit oder zumindest den Fakten verpflichtet ist, ist die Kunst weit freier. Sie darf lügen und kann Fake News produzieren. So erscheinen etwa die Gemälde des in der Sammlung Ringier gut vertretenen amerikanischen Konzeptkünstlers Wade Guyton wie Malerei. Die mit Tintenstrahldrucker fabrizierten Bilder basieren allerdings auf rein digitalen Informationen.
Sie sind jetzt in der grossangelegten Präsentation der Sammlung Ringier in der Langen Foundation Neuss bei Düsseldorf zu sehen: Der Künstler selber und Beatrix Ruf haben als Kuratorenteam aus dem Sammlungsfundus 500 Arbeiten von über hundert Kunstschaffenden ausgewählt.
«Mit den Werken hätte man auch 50 ganz andere Ausstellungen machen können», sagt Beatrix Ruf an der Eröffnung der Schau. Diese soll einen repräsentativen Querschnitt durch dreissig Jahre Kunstsammeln darstellen. Vor allem aber verschafft sie einen Einblick über einige der namhaftesten Positionen zeitgenössischer Kunst von den späten sechziger Jahren bis heute.
Die dicht konzipierte Ausstellung ergiesst sich wie ein Kunst-Füllhorn in den minimalistischen Glas- und Betonbau der Langen Foundation. Die Räume quellen teilweise buchstäblich über von Kunstwerken. Beruhigend wirkt da der Spiegelteich vor dem Eingang des Kunstpavillons. Das Gebäude stammt vom japanischen Stararchitekten Tadao Ando und wurde auf einer ehemaligen Militärbasis errichtet. Wo einst die Cruise-Missiles der Nato-Streitkräfte lagerten, wird heute die Kunst gefeiert. Da tanzen jetzt Coca-Cola-Flaschen von Jordan Wolfson an der Aussenfassade über einen riesigen LED-Bildschirm, während im Innern die Räume bis zur Decke mit Bildern voll gepflastert sind.
Der Teich vor dem Glas-Beton-Bau der Langen Foundation von Tadao Ando; Zugang zu den unterirdischen Ausstellungsräumen.
Der Titel der Schau ist lapidar-selbsterklärend: «Zeichnung, Malerei, Skulptur, Fotografie, Film, Video, Sound». Dies aber sind Medien, deren Grenzen sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr verwischt haben. Beispiele dafür in der Ausstellung sind Alighiero Boettis Schrift-Bilder im wahrsten Sinn des Wortes. Oder die Fotografie mit Armbanduhren an Männer-Handgelenken: Sie stammt von Richard Prince und gilt damit eindeutig als Kunst. Allerdings könnte sie ebenso gut eine ganz gewöhnliche Uhrenwerbung in einem Printmedien-Produkt aus dem Haus Ringier sein.
«Zeichnung, Malerei, Skulptur, Fotografie, Film, Video, Sound – Sammlung Ringier 1995–2025», Langen Foundation, Neuss, bis 5. Oktober.