Samstag, September 28

Im Zürcher Kantonsparlament findet sich keine Mehrheit für eine Bezahlkarte für Asylbewerber nach deutschem Vorbild.

Cash oder Karte? Die in Restaurants und Geschäften oft gehörte Frage hat längstens auch die Politik erreicht. In der Schweiz werden derzeit Stimmen gesammelt für eine Initiative, welche das Recht auf Bargeld in der Bundesverfassung verankern will. Bei der Vorlage geht es namentlich darum, eine Überwachung von Transaktionen durch den Staat zu verhindern.

Genau das Gegenteil, eine Pflicht zur Debitkarte, und damit verbunden eine bessere Kontrolle über die Geldflüsse, ist eine Forderung, die hingegen in der Asylpolitik ein Thema ist. Und zwar sowohl in der Schweiz wie im Ausland.

Deutschland hat nach ersten erfolgreichen Versuchen in einzelnen Bundesländern entschieden, eine Bezahlkarte für Asylsuchende bundesweit einzuführen. Dabei geht es darum, Missbrauch zu verhindern. Überweisungen von Geldern an Schlepper oder Transfers in das Heimatland sollen unterbunden werden. Ausserdem soll der Verwaltungsaufwand vereinfacht werden.

Zwei Vertreterinnen der SVP und der FDP im Zürcher Kantonsparlament hatten eine Copy-Paste-Variante dieser deutschen Bezahlkarte als Motion eingereicht. Am Montag ist der Vorstoss im Rat debattiert worden.

«Deutschland als Vorbild? Gute Nacht!»

Der zuständige Regierungsrat, der Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos), begann seine Wortmeldung mit einem Heinrich-Heine-Zitat: «Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht. Ich kann nicht mehr die Augen schliessen und meine heissen Tränen fliessen.»

So kämen ihm die Befürworter der Bezahlkarte vor. Es erschliesse sich ihm nicht, warum ausgerechnet die SVP einen Vorstoss von Bundeskanzler Olaf Scholz aufnehme. «‹Deutschland über alles?› Deutschland als Vorbild? Gute Nacht!» sagte Fehr.

Er habe, sagte er an die SVP und die FDP gerichtet, «keine Lust mehr, irgendwelche Schaumschlägervorstösse aus Deutschland umzusetzen». In Deutschland gehe nämlich rein gar nichts mehr. Deutschland wisse nicht einmal, wie viele Flüchtlinge sich im Land aufhielten, sagte Fehr. «Deutschland ist in der Asylpolitik ein ‹failed state›.»

Ein Auftrag für die ZKB?

Linda Camenisch (FDP, Wallisellen), eine der beiden Autorinnen der Motion, betonte, dass in Deutschland sämtliche Parteien, selbst die SPD, hinter der Bezahlkarte stünden. «Für echte Flüchtlinge ist die Karte nur eine kleine Einschränkung», sagte sie. Sie schlug vor, dass die Zürcher Kantonalbank ein entsprechendes Produkt entwickeln könne. Im Idealfall, ergänzte Camenisch, sollte die Karte gesamtschweizerisch eingeführt werden.

Davon will der Bundesrat allerdings nichts wissen. Die Gefahr, dass Asylsuchende das ihnen ausgehändigte Geld zweckentfremdeten oder missbrauchten, sei gering, schrieb die Landesregierung Anfang Mai in ihrer Antwort auf eine entsprechende SVP-Interpellation. Erfahrungen aus früheren Jahren hätten zudem gezeigt, dass es kein System gebe, das gegen Missbrauch komplett gefeit sei.

Klein sei die Gefahr des Missbrauchs aber auch deswegen, weil die ausbezahlten Summen vergleichsweise tief seien – es handle sich um reduzierte Sozialhilfeansätze. Nach der Deckung der lebensnotwendigen Ausgaben bleibe kaum noch Geld übrig, das frei verwendet werden könne. In den Bundesasylzentren werde die Hilfe sowieso in Form von Sachleistungen und nicht in bar verteilt, so der Bundesrat weiter.

Gegen die Einführung einer Debitkarte für Asylbewerber auf kantonaler Ebene hatte der Bundesrat aber keine grundsätzlichen Einwände. Es stehe den Kantonen frei, in welcher Form sie ihre Hilfeleistungen erbringen wollten; der Bund verfüge dazu weder über ein Weisungs- noch ein Aufsichtsrecht.

SVP und FDP allein auf weiter Flur

Der Widerstand gegen die Karte war im Zürcher Kantonsrat gross. Alan Sangines (SP, Zürich) rechnete vor, dass in Thüringen eine einzelne Karte 6 Euro koste und jede monatliche Aufladung 1 Euro. Umgemünzt auf die rund 33 000 Flüchtlinge im Kanton Zürich würden somit Kosten von mehreren hunderttausend Franken pro Jahr anfallen, «ohne dass irgendetwas erreicht wird», sagte Sangines. Ausserdem sei es schon heute möglich, dass Asylsuchende bei der Postfinance ein Konto eröffneten. Es sei somit nicht notwendig, dass der Kanton ein eigenes Bezahlkartensystem aufgleise.

Vertreter der SVP konterten, dass auch die Barauszahlung mit Kosten verbunden sei – und zudem mit Sicherheitsrisiken.

Schnell wurde klar, dass die SVP und die FDP mit ihrer Forderung nach einer Debitkarte alleine bleiben würden. Denn auch die Mitte lehnte die Karte ab. Sie sei ein Rohrkrepierer, sagte Josef Widler (Zürich). «Oder meinen Sie, mit der Bezahlkarte wäre man nicht in der Lage, Tauschgeschäfte vorzunehmen?»

Bürgerliche Kritik anhören musste sich die GLP, welche die Debitkarte ebenfalls ablehnte und sich für eine Cash-Lösung aussprach. «Ich reibe mir die Augen», sagte Susanne Brunner (SVP, Zürich). «Ausgerechnet die Digitalisierungspartei GLP wehrt sich mit Händen und Füssen gegen die Digitalisierung?» Andrea Gisler (GLP, Gossau) konterte, selbstverständlich sei die GLP für die Digitalisierung, aber sie erachteten Bezahlkarten für Asylsuchende nicht als sinnvoll.

Die Motion zur Einführung einer Debitkarte für Asylsuchende wurde schliesslich mit 77 zu 94 Stimmen abgelehnt.

Ganz vom Tisch ist die Idee aber noch nicht.

Die SVP und die FDP hatten zum genau gleichen Thema auch noch eine parlamentarische Initiative eingereicht. Weil niemand einen Antrag gestellt hatte, die beiden Geschäfte gemeinsam zu behandeln, begann die ganze Diskussion nochmals von vorne – die inzwischen allseits bekannten Argumente wurden allerdings nicht nochmals in voller Länge ausgebreitet. Nach kurzer Zeit kam es auch hier zur Abstimmung.

Die Initiative wurde mit 72 Stimmen vorläufig unterstützt, notwendig gewesen wären 60 Stimmen. Die Vorlage kommt nun in eine Kommission und später abermals ins Parlament. Das Thema Bezahlkarte bleibt dem Zürcher Kantonsrat also noch eine Weile erhalten. Bei unveränderten Haltungen und Mehrheitsverhältnissen dürfte das Resultat auch dieses zweiten Anlaufs absehbar sein.

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