Montag, September 30

2024 ist ein Wahljahr in den USA – und bislang hat sich der Aktienmarkt deutlich besser entwickelt als in typischen Wahljahren. Die Hoffnung auf baldige Zinssenkungen des Fed steigt – gleichzeitig aber auch die Befürchtung einer deutlichen konjunkturellen Abkühlung.

«Politiker lernen nie, aber die Wähler schon»
Milton Friedman, amerik. Ökonom (1912–2006)

Plötzlich geht es schnell. Der Inflationsdruck in den USA nimmt rascher ab als erwartet. Der Konsumentenpreisindex (Consumer Price Index, CPI) zeigte im Juni bloss noch eine Jahresveränderung von 3%, verglichen mit 3,3% im Vormonat. Die Kernrate, ohne Energie und Nahrungsmittel, ermässigte sich auf 3,3%.

Der Bondmarkt reagierte mit einer Rally. Die Rendite zehnjähriger Treasury Notes ermässigte sich auf unter 4,2% und damit auf das tiefste Niveau seit Ende März. Die Rendite zweijähriger Treasuries, ein Indikator für die künftige Zinspolitik des Fed, fiel auf 4,5%.

Auf den ersten Blick sonderbar erschien die Reaktion des Aktienmarktes auf die Entwarnung in den Inflationsdaten. S&P 500 und Nasdaq 100 erlitten Verluste. Allerdings waren es primär die schwergewichtigen «Magnificent Seven» – Nvidia, Microsoft, Meta oder Tesla –, die für das Minus verantwortlich waren. Die Mehrheit der Aktien im Leitindex schloss den Tag mit Gewinnen.

Mit signifikanten Avancen glänzten im Nachgang der Publikation der Inflationsdaten der Preis für Gold und Silber. Der Goldpreis notiert wieder nahezu auf Allzeithoch.

In seinem Auftritt vor dem US-Kongress sagte Fed-Chef Jerome Powell diese Woche, die Inflation sei nicht mehr das einzige Risiko, das die US-Notenbank im Auge behalten müsse. Genauso wichtig sei es jetzt, eine allzu starke Abkühlung des Arbeitsmarktes zu verhindern. «Wir sind uns bewusst, dass die Risiken jetzt auf beiden Seiten liegen», sagte Powell.

Unter der Oberfläche der breiten Indizes senden die Aktienmärkte schon seit mehreren Wochen ominöse Signale, und die Robustheit des Konsums in den USA ist infrage gestellt. Die Gefahr einer zu abrupten Abkühlung der US-Konjunktur könnte die Märkte schon bald intensiver beschäftigen. Einige Warnlichter leuchten bereits.

Ebenfalls beschäftigen wird uns in den kommenden Wochen und Monaten der Politzirkus in den USA; am Montag beginnt der Konvent der Republikanischen Partei, an dem Donald Trump offiziell zum Kandidaten gekürt wird. Für Spannung sorgt nur noch die Frage, wen Trump für das Vizepräsidium vorstellen wird.

Wir blicken im dieswöchigen «Big Picture» in die Historie, um zu verstehen, wie die Aktienmärkte in einem Wahljahr normalerweise abschneiden. Zudem werfen wir einen Blick auf die Marktbreite sowie nach China und Korea.

Die CPI-Daten für den Monat Juni fielen auf der ganzen Linie besser aus als erwartet. Nachdem die US-Inflation im ersten Quartal drei Monate in Folge höher als erwartet ausgefallen war, zeigt der Trend nunmehr seit drei Monaten in die andere Richtung. Im Vergleich zum Mai ist der CPI im Juni sogar um 0,1% gesunken – das ist der erste sequenzielle Rückgang des Preisniveaus in den USA seit vier Jahren.

Die alternativen, von den Distriktnotenbanken von Cleveland und Atlanta erhobenen Teuerungsbarometer, die die grössten statistischen Ausreisser ausblenden, bestätigen die Entwicklung.

Auch die sogenannte Supercore-Inflationsrate – sie misst die Veränderung der Dienstleistungspreise ohne die träge Immobilienpreiskomponente (Housing) – zeigt nach unten. Das ist eine bedeutende Wende, denn zwischen Oktober 2023 und April dieses Jahres überraschte das Inflationsmass mit einer steigenden Tendenz.

Nach diesen Daten steigt an den Finanzmärkten die Erwartung einer baldigen ersten Zinssenkung des Fed. An den Terminmärkten wird mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 90% ein erster Zinsschritt an der übernächsten Fed-Sitzung vom 18. September eingepreist. Mindestens eine oder sogar zwei weitere Zinssenkungen sollen gemäss den Terminmärkten bis Ende 2024 folgen.

Mit einem Plus von annähernd 20% hat der S&P 500 in den gut sechs Monaten seit Ende 2023 schon eine bedeutend bessere Performance erreicht als in einem «normalen» ganzen Jahr. 2024 ist aber für die USA kein normales, sondern ein Wahljahr: In weniger als vier Monaten, am 5. November, wählen die Bürgerinnen und Bürger des Landes ihren Präsidenten sowie die Zusammensetzung der beiden Kongresskammern.

Die Schlussphase des Wahlkampfs beginnt am 15. Juli, wenn die Republikaner an ihrem Parteikonvent in Milwaukee Donald Trump offiziell als ihren Kandidaten nominieren werden. Der dreitägige Parteikonvent der Demokraten findet ab dem 19. August in Chicago statt.

Geht es nach den eingepreisten Wahrscheinlichkeiten an den Wettbörsen, liegt Trump mit grossem Abstand in Führung. Joe Biden hat sich nach seiner desaströsen ersten TV-Debatte von Ende Juni nicht erholt. Vizepräsidentin Kamala Harris trauen die Wettbörsen derzeit ähnlich grosse – bzw. geringe – Erfolgschancen zu wie dem Präsidenten.

2024 ist das zwanzigste Präsidentschafts-Wahljahr in den USA seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Was bedeutete dieses Polit-Ereignis in der Vergangenheit jeweils für den Aktienmarkt – und wie reiht sich 2024 in die historische Erfahrung mit früheren Wahljahren ein?

Die Antwort dazu liefert die folgende Grafik.

Jede der blauen Kurven steht für die Entwicklung des S&P 500 in allen neunzehn Wahljahren von 1948 bis 2020. Das bisher beste Jahr war 1980, als Ronald Reagan gegen den demokratischen Amtsinhaber Jimmy Carter antrat. In diesem Jahr erreichte der S&P 500 eine Performance von etwas mehr als 28%.

Das schlechteste Jahr war 2008 (–37,6% für den S&P 500), als die globale Finanzkrise tobte und der damals 47-jährige Barack Obama gegen den Republikaner John McCain gewann.

Die rote Kurve bildet die bisherige Performance des S&P 500 im laufenden Jahr ab. 2024 ist damit auf Kurs, für den Aktienmarkt das beste Wahljahr der Nachkriegszeit überhaupt zu werden, besser noch als 1980, als Reagan nach der Misere der inflationären Siebzigerjahre für Aufbruchstimmung im Land sorgte.

Noch deutlicher wird die Einzigartigkeit von 2024 im Vergleich zum durchschnittlichen Wahljahr seit 1948. In der folgenden Grafik ist die Performance des S&P 500 aller neunzehn Wahljahre von 1948 bis 2020 als Durchschnitt in der blauen Kurve zusammengefasst.

In einem «normalen» Wahljahr der Nachkriegszeit erreichte der S&P 500 demnach eine Performance (ohne Dividenden) von etwas mehr als 6%. Deutlich zu erkennen ist auch, dass der Aktienmarkt in den zwei Monaten vor den Wahlen – September und Oktober – typischerweise eine leichte Korrektur durchläuft, um dann in den letzten zwei Monaten des Jahres nochmals deutliche Gewinne zu erringen.

Selbstverständlich sind aus diesen Daten keine Gesetzmässigkeiten zu lesen. Die Kursentwicklungen der neunzehn untersuchten Wahljahre bieten bloss ein aus der Historie abgeleitetes Muster.

Wir belassen es bei der Feststellung, dass der US-Aktienmarkt im laufenden Jahr bislang eine historisch betrachtet abnormal hohe Kursperformance erreicht hat – was in bemerkenswertem Kontrast zum jämmerlichen Spektakel steht, das die beiden greisen Kandidaten liefern.

Im Nachgang der Publikation der CPI-Daten am Donnerstag erlitten die Schwergewichte aus dem Technologiesektor Verluste, während der Rest des Aktienmarktes frohlockte. Das führte zur seltenen Konstellation, dass der Nasdaq 100 im Tagesverlauf fast 2% einbüsste, während der Russell-2000-Index der kleinkapitalisierten Aktien mehr als 3,5% zulegte.

Über die kommenden Handelstage wird genau zu beobachten sein, ob dieser Trend anhält – denn in den vergangenen Monaten war zunehmend das Gegenteil der Fall: Die Kursgewinne konzentrierten sich auf eine immer kleinere Anzahl schwergewichtiger Aktien – Apple, Nvidia, Microsoft oder Amazon – im Index. Die Marktbreite nahm ab, der Höhenflug des Leitindex wurde von immer weniger Aktien getragen.

Eindrücklich zu sehen ist diese Entwicklung im Vergleich zwischen dem S&P 500 (blaue Kurve) – der nach Marktkapitalisierung der einzelnen Aktien gewichtet ist und in dem fünf Tech-Schwergewichte mehr als 25% des Index ausmachen – und dem S&P 500 Equal Weight (gelb), in dem jede der fünfhundert Aktien das gleiche Gewicht erhält. Der S&P 500 eilt von Rekord zu Rekord, während sein gleichgewichtetes Pendant seit Ende März in einer Korrektur steht.

Wie Torsten Sløk, Chefökonom der Private-Equity-Gesellschaft Apollo, schreibt, haben es im laufenden Jahr weniger als 25% der im S&P 500 enthaltenen Aktien geschafft, den Index zu schlagen. Basierend auf diesem Mass stand der US-Markt in den letzten vierzig Jahren nie auf so dünnen Beinen wie heute.

Das muss per se noch kein Warnsignal für einen unmittelbar drohenden Rückschlag an den Börsen sein. Aber eine Hausse ist auf Ebene der breiten Indizes ungesund und zunehmend verletzlich, wenn sie nur noch von einer Handvoll schwergewichtiger Aktien getragen wird.

Besorgnis erregt auch die Tendenz des Marktes, einzelne vormalige «Darlings» herauszugreifen und zu liquidieren. McDonald’s, Starbucks oder Lululemon Athletica sind Beispiele der vergangenen Monate. Ein unheilvolles Signal liefern gegenwärtig die Kursbewegungen von Visa und Mastercard. Die beiden Bezahldienstleister stehen am Puls des Konsums – und beide Aktien fallen seit Mitte Mai vom S&P 500 ab.

Das erinnert an die Phase in der zweiten Jahreshälfte 2021, als Visa und Mastercard ebenfalls Schwäche zeigten (graue Fläche in der Grafik), während der Index noch einige Monate stieg, bis er ab 2022 dann doch einbrach.

Der chinesische CSI 300 sowie der Hang Seng in Hongkong zählen im laufenden Jahr zu den schwächsten Indizes. Chinas Konjunktur kommt nicht in Schwung, die Immobilienkrise belastet. Einen detaillierten Einblick in den Zustand der chinesischen Wirtschaft lieferte Jörg Wuttke, der langjährige ehemalige Präsident der EU-Handelskammer in Peking, vor einer Woche in diesem Interview.

Die kommende Woche ist nicht nur im Politkalender der USA wichtig, wenn am 15. Juli der Parteikonvent der Republikaner beginnt: Am gleichen Tag trifft sich in einem grauen Hotelkomplex in Peking das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei zum sogenannten Dritten Plenum, an dem traditionellerweise die Wirtschaftspolitik der fünfjährigen Amtsperiode des Komitees verabschiedet wird.

So war es beispielsweise im Dritten Plenum von 1978, als Deng Xiaoping die Reform- und Öffnungspolitik lancierte und damit den beispiellosen Wiederaufschwung Chinas einleitete. Im Dritten Plenum von 1993 prägte Jiang Zemin den Begriff der «sozialistischen Marktwirtschaft», was in den Folgejahren und besonders unter Premier Zhu Rongji (im Amt von 1998 bis 2003) mehr Marktwirtschaft und weniger Sozialismus bedeutete.

Chinas Wirtschaft hätte es dringend nötig, aus dem Dritten Plenum der kommenden Woche – es dauert vom 15. bis 18. Juli – neue Impulse zu erhalten. Das Land verharrt in einem deflationären Zustand, besonders der inländische Konsum hat in den vergangenen Monaten die Erwartungen mehrfach enttäuscht. Die Daten zu den Detailhandelsverkäufen im Juni werden ebenfalls am 15. Juli publiziert.

Gemäss Berechnungen der kanadischen Research-Boutique BCA zählte Chinas Wirtschaft seit 2000 noch nie so viele defizitäre Industrieunternehmen wie heute.

Wer sich aus dem Dritten Plenum einen grossen Reform-Wurf erhofft, dürfte allerdings enttäuscht werden. Am Weltwirtschaftsforum in Dalian im Juni liess Premier Li Qiang bereits durchblicken, dass die Parteiführung keine bedeutenden Massnahmen beschliessen wird, um die Wirtschaft zu stimulieren – geschweige denn zu reformieren.

Immerhin: Indem die Parteiführung die Erwartungen an das Dritte Plenum im Vorfeld maximal heruntergespielt hat, werden die Märkte kaum mehr enttäuscht reagieren.

Wir bleiben in Asien. Japans Aktienmarkt ist, wie bereits 2023, der Star des Jahres. Der Nikkei 225 ist nach einer dreimonatigen Konsolidierungsphase nach oben ausgebrochen und hat ein Allzeithoch erreicht.

Leserinnen und Leser dieser Zeilen wissen, dass wir seit Jahren bullish auf Japan sind. Hauptgrund ist die wachsende Bedeutung einer aktionärsfreundlichen Unternehmensführung, die von der japanischen Regierung sowie der Tokyo Stock Exchange vorangetrieben wird. Die Argumente finden Sie unter anderem hier, hier und hier.

Im Schatten des grossen Nachbarn regt sich auch der koreanische Aktienmarkt. Zwar ist er noch ein Stück von seinem Allzeithoch entfernt, doch der MSCI Korea Index gewinnt an Fahrt.

Ähnlich wie Japan verfolgt auch die Regierung Südkoreas eine Strategie, die Corporate Governance in der koreanischen Wirtschaft zu stärken und die Unternehmen zu einer aktionärsfreundlicheren Politik zu bewegen. «Damit Staat und Gesellschaft die Verfestigung von Klassen verhindern und die Dynamik der Gesellschaft erhöhen können, muss der Investmentsektor belebt werden», verkündete Präsident Yoon Suk Yeol zu Beginn des Jahres.

Für Unternehmen, die sich reformwillig zeigen und ihre Kapitalallokation verbessern, wird an der Börse von Seoul der Korea Value Up Index geschaffen, dessen Zusammensetzung im Verlauf des dritten Quartals bekanntgegeben wird. Der nationale Pensionsfonds hat bereits angekündigt, er werde in diesen Index investieren.

Das Potenzial für Verbesserungen ist gross: Gemäss Berechnungen der Analysten des «Grant’s Interest Rate Observer» handeln gegenwärtig 67% der insgesamt 928 Unternehmen im Korea Composite Stock Price Index (Kospi) unter Buchwert.

Das eröffnet für den koreanischen Aktienmarkt mittelfristig attraktive Perspektiven. Zudem ist Korea mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von weniger als 10 deutlich günstiger bewertet als Taiwan (KGV: 20) mit seinem Schwergewicht Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) und Japan (16,6).

Mit diesen Perspektiven hat Korea einen Platz in einem global diversifizierten Portfolio verdient.

Exchange Traded Funds (ETF) auf den koreanischen Aktienmarkt:

  • Amundi MSCI Korea UCITS ETF (Acc)
    ISIN: LU1900066975, Total Expense Ratio (TER): 0,45%
  • Franklin FTSE Korea UCITS ETF
    ISIN: IE00BHZRR030, TER: 0,09%
  • HSBC MSCI Korea Capped UCITS ETF
    ISIN: IE00B3Z0X395, TER: 0,60%
  • iShares MSCI Korea UCITS ETF (Acc)
    ISIN: IE00B5W4TY14, TER: 0,65%
  • iShares MSCI Korea UCITS ETF (Dist)
    ISIN: IE00B0M63391, TER: 0,74%
  • Xtrackers MSCI Korea UCITS ETF
    ISIN: LU0292100046, TER: 0,7%

Aber Achtung: Der koreanische Aktienmarkt wird von Samsung Electronics dominiert. Im MSCI Korea sowie im FTSE Korea kommt der Technologiekonzern auf ein Gewicht von rund 34%. Dieses Klumpenrisiko sollte im Portfoliokontext berücksichtigt werden.

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