Der Milliardär Bidsina Iwanischwili und seine Partei beherrschen Georgien seit zwölf Jahren. Die Töne werden radikaler, die Politik wird autoritärer und russlandfreundlicher. Dabei bleibt Iwanischwili ein Rätsel.
Wenn Bidsina Iwanischwili zum Volk spricht, trennt ihn eine Glasscheibe von den Zuhörern. Auftritte von ihm sind ein seltener Moment. Iwanischwili, Georgiens reichste Person mit einem geschätzten Vermögen von 7,5 Milliarden Dollar, zeigt sich ungern in der Öffentlichkeit.
Öffentlichkeitsscheu war Iwanischwili immer schon. Als er in den neunziger Jahren als Bankier und Besitzer von Metallurgie-Unternehmen in Russland sein Vermögen machte und sich nicht Bidsina, sondern Boris nannte, gehörte er zwar zu den einflussreichsten Geschäftsmännern Russlands. Sein erstes Interview überhaupt gab er den Medien aber erst 2005.
Radikale Äusserungen
Iwanischwili ist heute jedoch in einer ganz anderen Position als damals. Ende Oktober gewann er mit seiner Partei Georgischer Traum nach offiziellen Angaben zum vierten Mal in Folge die Parlamentswahlen. Die Opposition anerkennt das Resultat nicht. Mit Ausnahme des ersten Jahres, als er Ministerpräsident war, zog er in den vergangenen zwölf Jahren die Fäden hinter den Kulissen.
Auch jetzt strebt er kein politisches Amt an. Das braucht er auch nicht. Er ist de facto der Machthaber in dem südkaukasischen Staat. Dass sein Werdegang so eng mit Russland verbunden ist, war dabei immer schon Gegenstand von Argwohn.
Vor diesen Wahlen suchte er wieder öfter den Kontakt zur Öffentlichkeit. Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen das Gesetz über die Offenlegung ausländischer Finanzierung von Organisationen («Agentengesetz») Ende April hielt er eine vielbeachtete Rede. Darin bezichtigte er nicht nur eine sogenannte «globale Kriegspartei», Georgien in den Krieg und damit ins Verderben stürzen zu wollen. Er drohte auch damit, nach einem Wahlsieg definitiv mit den politischen Opponenten abzurechnen.
Die Radikalisierung überraschte – und wirkte nach den Standards einer pluralistischen, freiheitlichen Gesellschaft bedrohlich; ganz besonders für die Anhänger einer Ausrichtung Georgiens nach Europa. Es schien, als stünde plötzlich ein anderer Iwanischwili vor ihnen. Aber ist das so?
Folgenschwerer Bankbetrug
Giorgi Batschiaschwili (im Westen vor allem bekannt als George Bachiashvili) könnte es wissen. Der 39-Jährige ist an einem Herbstabend per Zoom aus Georgien zum Gespräch bereit. Jahrelang war er einer der engsten Mitarbeiter Iwanischwilis und vertrat auch dessen Interessen bei den Banken und Vermögensverwaltern. Ab 2015 beschäftigte er sich im Auftrag des Magnaten mit einer speziellen Klage, die womöglich ein Schlüssel zu Iwanischwilis Verhalten ist: dem Betrug eines damaligen Credit-Suisse-Kundenbetreuers, in dessen Folge Iwanischwili mehrere hundert Millionen Dollar an Vermögen verlor.
Mithilfe der von Batschiaschwili angeheuerten Anwälte gewann Iwanischwili mehrere Prozesse gegen die Bank, in denen die Herausgabe der umstrittenen Summen in voller Höhe angeordnet wurde. Gegen beide Urteile wurde Berufung eingelegt. Der Oberste Gerichtshof von Bermuda hat bereits zugunsten von Iwanischwili entschieden, während in Singapur das Urteil noch aussteht. Die Gelder von Bermuda erwartet Iwanischwili demnächst.
Der Ukraine-Krieg als Wendepunkt
Batschiaschwili sieht den Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine als Wendepunkt, auch für die Obsession mit dem Fall CS. Batschiaschwili selbst geriet bei Iwanischwili in den Verdacht, den amerikanischen Interessen zu dienen. «Ich habe versucht, ihn davon zu überzeugen, dass ein Zusammenhang zwischen der amerikanischen Politik und dem Bankbetrug keinen Sinn ergibt, da dieser schon 2007 begann, also vier Jahre bevor Iwanischwili überhaupt in die Politik einstieg», sagt Batschiaschwili. Er war zwar weiterhin voll im Fall CS involviert, aber war ab 2019 nur noch als Berater für Iwanischwili tätig und widmete sich seiner eigenen Firma. Er bemerkte jedoch, wie die Rede von der «globalen Kriegspartei», die Georgien in einen Krieg gegen Russland zwingen wolle, immer weitere Kreise in der georgischen Politik zog. Bald sprachen die wichtigsten Politiker genauso.
«Ich war der Einzige aus seinem Umfeld, der den Krieg von Anfang an eindeutig verurteilte», sagt Batschiaschwili. Überhaupt sei er der Einzige gewesen, der sich noch getraut habe, Iwanischwili intern zu widersprechen. «Iwanischwili hat nach und nach alle eigenständig und westlich denkenden Figuren aus seinem Umkreis entfernt. Diejenigen, die es wagten, zu ihren Ansichten zu stehen, wurden von Iwanischwilis Strafverfolgungs- und PR-Maschinerie verfolgt.» Batschiaschwili nennt es «Reinigung» des Teams. Iwanischwili habe gegen jeden Druckmittel in der Hand, aus denen er ein Strafverfahren machen könne.
Batschiaschwili weiss das aus eigener Erfahrung. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Veruntreuung und Geldwäsche in Georgien, das Iwanischwili selbst gegen ihn angestossen hat. Beim Gespräch mit ihm hört deshalb auch einer seiner ausländischen Anwälte mit. Offiziell geht es um einen Kredit, der Batschiaschwili einst von Iwanischwilis Bank gewährt worden war, aber den er längst zurückgezahlt hat. Iwanischwili wirft ihm gleichwohl Veruntreuung von Mitteln in Batschiaschwilis eigenem Unternehmen vor – eine Absurdität, die den uneingeschränkten Zugriff des Milliardärs auf die georgische Justiz und die Rachegelüste belegt, wie Batschiaschwili und seine Anwälte finden. Zugleich ist der Fall auch einzigartig, weil Iwanischwili persönlich der Kläger ist.
Macbeth im Kaukasus
In einem grossen Essay in der Zeitschrift «Lettre International» vergleicht der deutsch-georgische Politikberater und Professor an der Ilia-Staatsuniversität in Tbilissi, Hans Gutbrod, Iwanischwili mit Shakespeares Macbeth: einer Figur, die mit positivem Ruf in die Politik geht, aber durch die zunehmende Machtfülle zur Gefahr für das Land wird und keinen Weg zurück nehmen kann. «Beide sehen Gespenster, die sie als Bedrohung wahrnehmen», schreibt er. Gutbrods Text ist der bis jetzt gründlichste Versuch, dem Phänomen dieses Herrschers nahe zu kommen, der seine Macht nur aus dem Verborgenen ausüben will und über den es fast nur Erzählungen und Gerüchte gibt.
Gutbrod datiert im Rückblick die «drastische Wendung», wie er es nennt, auf die Jahre 2020 und 2021. Die Pandemie führte zu Vereinsamung und Abschottung, mit womöglich politischen Folgen, ähnlich wie beim russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zugleich schied jener Bankmanager, der Iwanischwili bei der CS betrogen hatte, aus dem Leben. Iwanischwili glaubte nicht an einen Suizid, sondern an eine Verschwörung. Den Bruch mit dem damaligen Ministerpräsidenten Giorgi Gacharia, der später eine eigene Partei gründete und gegen Iwanischwili antrat, empfand er als Verrat.
Symbolisch für Georgiens Abkehr vom Kurs Richtung Europa ist für Gutbrod eine von den Ordnungshütern weitgehend geduldete Hetzjagd gegen LGBTQ-Aktivisten, die im Juli 2021 einen Umzug in Tbilissi durchführen wollten.
Welche Rolle spielt Russland?
Batschiaschwili wiederum sagt, bis 2022 habe er Iwanischwili als einen gesehen, der tatsächlich Georgien nach Europa zu führen gedenke und mit Russland nichts zu tun haben wolle. Russlandfreundlich habe er sich nie geäussert. Aber für Batschiaschwili ist klar, dass Russland ein natürlicher Verbündeter für Iwanischwili ist, weil nur Russland über die immer autoritärere Herrschaft hinwegsehe.
Die Verbindungen nach Russland und die Frage, wie sehr Iwanischwili unter russischem Einfluss steht, geben Rätsel auf. Iwanischwili habe Angst vor Putin, sagte der Politologe und langjährige Iwanischwili-Berater Gia Chuchaschwili im Sommer dem «Spiegel». Gutbrod wirft in seinem Essay die Frage auf, ob Iwanischwili etwas zu verbergen habe – eine russische Spur der Gewalt in Georgien, Morde durch russische Geheimdienste. Eine Antwort darauf gibt es nicht.
Von Anfang an war der Georgische Traum mehr persönliches Machtvehikel Iwanischwilis als eine Partei. Ab 2012 bedeutete das, dass Politik und Verwaltung auch immer mehr vom Magnaten abhängig wurden. Es gebe nur noch eine Institution in Georgien, das sei Iwanischwili, so zitiert der «Spiegel» einen von dessen früheren Mitstreitern.
Iwanischwili wolle alles selbst kontrollieren. Er sei einer, der nicht ein Team, sondern eine Armee von Marionettenfiguren habe, sagt Batschiaschwili. Er hat ihn auch als Manager nie anders erlebt. Sein Managementstil sei nie europäisch gewesen. Iwanischwili bevorzugt Mitarbeiter, die es nie gewagt haben, eine andere Meinung als seine eigene zu vertreten. Aus diesem Grund wollte Batschiaschwili nie der Regierung von Iwanischwili beitreten. Dieser sei davon überzeugt, dass er alles am besten wisse, und belehre jeden Fachmann.
«Iwanischwili will Georgien in sein Sultanat verwandeln», sagt Batschiaschwili warnend, und er nennt die jüngsten Wahlen die schlimmsten in der 30-jährigen Geschichte der Unabhängigkeit des Landes. Ergreife der Westen nicht energische Massnahmen, verliere er nicht nur Georgien an Russland, sondern den ganzen Kaukasus. Iwanischwili gehe es nur um sich und um sein Wohlbefinden. Er sei ein Egoist, der die langfristigen Interessen des Landes völlig missachte, ist der frühere Vertraute überzeugt.
Hoffnungsträger für viele Georgier
Für viele Georgier ist Iwanischwili aber immer noch der Heilsbringer. Sie sehen in dem sich bescheiden und beherrscht gebenden Perfektionisten einen politischen Führer, wie er Georgien davor gefehlt habe. Hoch rechnen ihm und dem Georgischen Traum viele an, dass unter deren Herrschaft die visafreie Einreise in den Schengenraum möglich wurde und Georgien – nach einigem Zögern – der Status eines EU-Beitritts-Kandidaten zugesprochen wurde.
Die raunenden Spekulationen über amerikanische Kriegstreiber und einen ausländisch beeinflussten Deep State tragen sie mit. Georgiens Lavieren im Ukraine-Krieg und innenpolitische Verhärtungen gegenüber Nichtregierungsorganisationen und sexuellen Minderheiten unter dem aus Russland vertrauten Vorwand, «traditionelle Werte» verteidigen zu müssen, ist für sie eine Garantie für den Erhalt der Souveränität.
Es spricht vieles dafür, dass der Ukraine-Krieg Iwanischwili endgültig darin bestärkte, dem Westen nicht länger zu trauen. Frieden contra Krieg war auch die Hauptbotschaft im Wahlkampf: Nur mit dem Georgischen Traum drifte das Land nicht zum westlichen Befehlsempfänger und Kriegsteilnehmer ab. Mit einem Gesetz, das den steuerbefreiten Geldtransfer von Offshore-Vermögen nach Georgien erlaubt, sicherte sich Iwanischwili gegen mögliche westliche Sanktionen ab.
Ministerpräsident Irakli Kobachidse frohlockt bereits: Das dank dem neugewählten amerikanischen Präsidenten Donald Trump bevorstehende Ende des Ukraine-Krieges werde auch das Verhältnis des Landes zum Westen wieder neu justieren und normalisieren. Hinter Kobachidses Optimismus stehen viele Fragezeichen. Das grösste ist Iwanischwili.