Kosovaren, Inder oder Marokkaner sollen beschleunigt überprüft werden, wenn sie Asyl beantragen. Das soll abschreckend wirken. Die Schweiz betrifft dies nicht – sie hat ohnehin ihre eigene Liste.
Schneller, strikter, einheitlicher: So sollen Asylverfahren dank dem europäischen Migrations- und Asylpakt künftig durchgeführt werden können. Das Gesetzespaket ist im Frühling 2024 von den EU-Mitgliedsländern verabschiedet worden, im Juni 2026 soll es in Kraft treten.
Im Wissen, dass die Migration eines der Themen ist, die der Bevölkerung besonders unter den Nägeln brennen, hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon vergangenes Jahr angekündigt, gewisse Elemente des Pakts früher umzusetzen. Der Schritt, den die Kommission am Mittwoch zuhanden des Parlaments und des Rats vorgeschlagen hat, richtet sich also durchaus auch an die «Volksseele» in den EU-Ländern.
Beitrittskandidaten sind «sicher»
So will die Kommission – in Absprache mit der EU-Asylagentur, dem Aussendienst und dem Uno-Flüchtlingshilfswerk – eine Liste von sogenannt sicheren Herkunftsstaaten einführen. Das sind Länder, deren Staatsangehörige in weniger als 5 Prozent der Begehren einen positiven Asylentscheid erhalten. In diesen Fällen sollen die EU-Länder das Asylverfahren beschleunigt, das heisst in drei statt sechs Monaten, durchführen dürfen.
Auf diesem Safe-Country-Verzeichnis figurieren Kosovo, Bangladesh, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien. In Tat und Wahrheit ist die Liste aber länger, denn EU-Beitritts-Kandidaten gelten ebenfalls als sichere Herkunftsstaaten. Dies sind Albanien, Bosnien-Herzegowina, Georgien, die Moldau, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, die Türkei und die Ukraine. Bei dieser Kategorie gibt es freilich Einschränkungen: So gelten sie nicht als sichere Staaten, wenn bei ihnen Krieg herrscht – das Paradebeispiel ist natürlich die Ukraine –, wenn sie EU-Sanktionen unterliegen oder wenn ihre Asyl-Anerkennungsquote über 20 Prozent liegt.
Einzelprüfung und Rekursmöglichkeit
Mit der Massnahme erhofft sich die EU letztlich einen präventiven Effekt: Angehöriger «sicherer» Staaten sollen angesichts der geringen Aussicht auf Asyl gar nicht erst auf die Idee kommen, einen Fuss auf EU-Territorium zu setzen. Komplett chancenlos sind die Anträge allerdings nie: Jeder werde einzeln geprüft, betont die Kommission. Auch bestehen Rekursmöglichkeiten.
Manche EU-Staaten verfügen bereits jetzt über eine eigene Liste von sicheren Herkunftsstaaten – schliesslich sind sie für die Bearbeitung der Verfahren zuständig, was sich auch mit dem Asylpakt nicht ändert. Das neue EU-Verzeichnis ist für die Mitgliedstaaten automatisch anwendbar, diese dürfen aber bis auf weiteres ihre nationale, ausführlichere Liste verwenden. Welchen Mehrwert bringt die EU-Liste also? Einerseits biete sie denjenigen Mitgliedstaaten, die über keine Liste verfügten, zum ersten Mal eine Grundlage, andererseits erhoffe man sich «Harmonisierung und Konvergenz von Asylentscheiden», so ein Kommissionssprecher.
Auch die Schweiz wendet bereits ihre eigene Liste an. Sie ist mehrheitlich deckungsgleich mit derjenigen, welche die Kommission nun vorschlägt. Anders als die EU erachtet die Schweiz die Türkei, Bangladesh, Ägypten, Marokko, Tunesien sowie den Spezialfall Ukraine allerdings nicht als sichere Herkunftsländer, dafür figurieren mit Senegal, Ghana und der Mongolei drei zusätzliche Staaten auf der nationalen Liste. Ohnehin sind die grundlegenden Elemente des neuen Asyl- und Migrationspakts für die Schweiz nicht bindend.
Virulente Debatte um Rückführzentren
In der europäischen Migrationspolitik war jüngst häufig von sicheren Drittstaaten die Rede – in der Regel im Zusammenhang mit Rückführungen von abgewiesenen Asylbewerbern. Die am Mittwoch präsentierte Liste der sicheren Herkunftsländer hat damit nicht direkt zu tun.
Dennoch tut sich auch bei der Abschiebepolitik gerade viel. Verschiedene Staaten haben Modelle skizziert: von der Ausschaffung von abgewiesenen Asylbewerbern in einen Drittstaat, wenn ihr Heimatland sie nicht zurücknimmt, bis zur Externalisierung des gesamten Asylverfahrens. Einen Vorschlag für Rückführzentren ausserhalb der EU hat die Kommission Anfang März präsentiert, der Ball liegt nun bei Parlament und Rat.
Die Debatte läuft freilich nicht nur auf politischer Ebene heiss, auch verschiedene Gerichtsinstanzen haben sich schon damit befasst. Mit grosser Spannung wird daher das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) erwartet, der die Rechtmässigkeit des italienischen «Albanien-Modells» prüft.
Der Generalanwalt des EuGH hat vergangene Woche seinen Schlussantrag veröffentlicht. Dieser besagt, dass die Regierungen durchaus sichere Herkunftsländer definieren dürfen, sie müssen aber die Quellen erläutern, aufgrund derer sie zu dieser Einschätzung gekommen sind – was in Italien nicht der Fall war. Mit dem Urteil, das nicht zwingend dem Antrag des Generalanwalts folgen muss, wird noch vor der Sommerpause gerechnet.