Muslimische Wortführer in Deutschland beschäftigen sich lieber nicht mit dem Antisemitismus in den eigenen Reihen. Stattdessen klagen Politikerinnen wie Sawsan Chebli über mangelnde Empathie für Palästinenser. Damit tragen sie zur gesellschaftlichen Spaltung bei.

Seit dem 7. Oktober ist klar, dass es innerhalb der muslimischen Bevölkerung in Deutschland ein Problem gibt. Da waren die Rechtfertigungen des Massenmords als «legitimer Widerstand». Oder die Freude darüber, dass Juden sterben, das öffentliche Skandieren von antijüdischen Auslöschungsphantasien auf Demonstrationen und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Sicherheitsbedürfnis deutscher Juden.

Dabei hätte man in den Monaten nach dem Massaker zeigen können, dass eine friedliche Koexistenz von Muslimen und Juden möglich ist. Gleichzeitig hätten Muslime zeigen können, dass es möglich ist, die israelische Regierungspolitik zu kritisieren, ohne sich dem Vorwurf des Antisemitismus auszusetzen. Diese Chance wurde bereits in den ersten Tagen nach dem 7. Oktober verspielt.

Die Hamas führt angeblich einen legitimen Kampf

Führende Vertreter der grössten muslimischen Dachverbände, darunter Ditib, IGMG und der sogenannte Zentralrat der Muslime, haben es bewusst vermieden, die Hamas als Terrororganisation zu bezeichnen. Sie haben es erneut – wie schon in den vielen Jahren zuvor – vorgezogen, eine Strategie der doppelten Botschaften zu praktizieren.

Nach aussen betonen sie, es gebe unter Muslimen keinen Antisemitismus. Nach innen sind sie sich bewusst, dass der Hass auf Juden und den Staat Israel innerhalb der muslimischen Gemeinschaften weit verbreitet ist. Sie wissen, dass der Antisemitismus mit all seinen Stereotypen zum normalen «Wissen» über «den Juden» gehört. Deshalb verurteilen sie die Greueltaten des 7. Oktober nach aussen als terroristische Handlungen, vermeiden es aber gleichzeitig, die Hamas als Terrororganisation zu bezeichnen.

Damit erfüllen die islamischen Verbände die sozialen Erwartungen der nichtmuslimischen Gesellschaft. Nach innen signalisieren sie etwas anderes: Sie bestätigen die weitverbreitete Überzeugung unter Muslimen, dass die Hamas einen legitimen Kampf führe.

Die Hamas ist in diesem Verständnis eine Armee von Glaubenskämpfern, die die heiligen Stätten in Jerusalem befreien wollen – und dabei manchmal auch zu grausamen Mitteln greifen müssen, weil der jüdische Feind selbst diese Grausamkeit verursacht und damit letztlich auch verdient.

Über Antisemitismus wollen sie lieber nicht reden

Diese doppelte Kommunikation ist auch innerhalb der muslimischen Zivilgesellschaft zu beobachten. Ein muslimischer Mitarbeiter der Berliner Humboldt-Universität hat Muslime, die sich öffentlich solidarisch mit Israel zeigen, als «Hauskanaken» bezeichnet, «die das deutsche Gewissen erleichtern». Eine kritische Aufarbeitung solcher Entgleisungen durch die Hochschulleitung findet bis heute nicht statt.

Vielmehr werden kritische Muslime von Akademikern ausgegrenzt, etwa indem ihre Glaubenszugehörigkeit in Anführungszeichen gesetzt wird – eine Praxis der Delegitimierung, die bislang eher in extremistischen Kreisen verbreitet war. Muslimische Selbstkritik ist nicht erwünscht.

Politisch ambitionierte muslimische Personen, die Bundespolitiker beraten, setzen sich nach aussen als problembewusste Kämpfer gegen islamischen Antisemitismus in Szene – um dann in ausschliesslich muslimischen Runden den Antisemitismus unter Muslimen als rassistische «Erfindung der Medien» abzutun. Oder sie sitzen in der Deutschen Islamkonferenz und fordern, man solle nicht über Antisemitismus unter Muslimen diskutieren, sondern besser über antimuslimischen Rassismus.

Ja, es gibt gesellschaftliche Kräfte, die den Antisemitismus als muslimfeindliches Argument instrumentalisieren. Das bedeutet aber nicht, dass es Antisemitismus unter Muslimen nicht gibt oder seine Thematisierung deshalb vermieden werden muss.

Ablehnung von Muslimen ist auch selbstverschuldet

Für Muslime gibt es keine schicksalhafte oder gar religiöse Pflicht zum Judenhass, auch nicht aus Solidarität mit den Palästinensern. All das hätte man nach dem 7. Oktober zeigen können – auch dass dieser Wille zur Freundschaft als religiöse Aufgabe verstanden wird. Das hätte die Solidarität mit den Palästinensern und ihren Wunsch nach einem eigenen Staat gestärkt.

Stattdessen betrachten es weite Teile der muslimischen Bevölkerung als solidarisch, wenn sie Hass und Gewalt legitimieren. Mehr noch: Man hat sich entschieden, allen Muslimen, die das hinterfragen, die Zugehörigkeit zur muslimischen Gemeinschaft abzusprechen.

Das ist ein spiritueller und gesellschaftlicher Tiefpunkt für die Muslime in Deutschland, an dem der eigene Anspruch, «die beste Gemeinschaft von allen» zu sein, niemandem mehr glaubhaft erscheint. Die Ansicht, es handle sich um eine bedrohliche Gemeinschaft, verbreitet sich umso schneller, je mehr so getan wird, als gäbe es nur eine einzige richtige muslimische Position zum Nahostkonflikt.

Das ist keine Opfer-Täter-Umkehr, wie es häufig bei der Diskussion um antimuslimischen Rassismus formuliert wird. Die zunehmende gesellschaftliche Ablehnung von Muslimen hat auch mit der Aussenwirkung ihrer Wortführer zu tun.

Sawsan Chebli stellt ihr Deutsch-Sein infrage

Die fortschreitende Abneigung, innermuslimische Probleme öffentlich zu thematisieren, trägt zu dieser Entwicklung bei. Der Einwand, öffentliche muslimische Selbstkritik trage zum antimuslimischen Rassismus bei, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall: Eine selbstbewusste, selbstkritische Thematisierung der Probleme würde der nichtmuslimischen Gesellschaft zeigen, dass es einen positiven Veränderungsprozess gibt.

Fehlt diese Debatte, verfestigt sich die Überzeugung, diese Probleme hätten ihre Ursache im Glaubensverständnis von Muslimen selbst – und sie seien deshalb unveränderbar. Leugnung und Verdrängung von Missständen fördert die Ablehnung von Muslimen als vermeintlich homogenes Kollektiv.

Die muslimischen Reaktionen auf diese Entwicklungen sind derzeit eher dazu geeignet, die gesellschaftlichen Gräben zu vertiefen, als ein vielfältiges Zusammenleben zu fördern. Muslimische Personen des öffentlichen Lebens wie Dervis Hizarci twittern, man müsse noch in diesem Sommer auf Ferien verzichten und stattdessen nach Zufluchtsorten im Ausland suchen. Stets gelte es die gepackten Koffer bereitzuhalten, denn die demokratische Zukunft Europas habe sich erledigt.

Andere prominente muslimische Stimmen wie die SPD-Politikerin Sawsan Chebli stellen öffentlich ihr Deutsch-Sein infrage. Chebli wirft der deutschen Öffentlichkeit in einem Interview mit der «Tageszeitung» mangelnde Empathie gegenüber dem Leid der Palästinenser im zerbombten Gaza vor. Das habe ihrem Selbstverständnis, deutsch zu sein, Schrammen und tiefe Verletzungen zugefügt. Es falle schwer, sich als Deutsche zu fühlen. Der Titel des Interviews lautete: «Ich war eine stolze Deutsche».

Diese Haltung ist in zweierlei Hinsicht bezeichnend. Sobald der eigene Vorteil, der eigene Geltungsanspruch, die eigene Meinung auf Grenzen und Widersprüche stossen, ist es mit der Identifikation mit dem Land vorbei. Damit findet auch der Wunsch, sich für das Wohl der Allgemeinheit einzusetzen, ein jähes Ende. Für politisch ambitionierte Menschen sind das denkbar schlechte Vorzeichen. Und bezeichnenderweise hat der 7. Oktober nichts an Cheblis Selbstverständnis als Muslimin geändert.

Das Zweite, was auffällt, ist die fehlende Einsicht in die Wirkung des eigenen Handelns. Es werden doppelte Massstäbe angeprangert, wonach das Leid der Palästinenser nicht wahrgenommen werde und es keine Empathie mit den Toten und Verwundeten in Gaza gebe. Dies führe zu einem Vertrauensverlust bei Muslimen, die sich enttäuscht von der deutschen Gesellschaft abwenden würden.

Die Vorwürfe der doppelten Massstäbe und der Empathielosigkeit fallen jedoch auf viele muslimische Vertreter zurück. Hat man denn geglaubt, es trage zur Empathie mit Muslimen bei, wenn sich Muslime in den frühen Stunden des 7. Oktober über einen «Guten Morgen!» freuen und Süssigkeiten verteilen, zur Feier eines Massakers an Juden?

Vermeintliche Vertreter der Muslime haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn die Forderung nach einem Ende des Krieges in Gaza nicht als Ausdruck von Humanität, von universellem Streben nach Frieden und Koexistenz wahrgenommen wird. Sie haben dazu beigetragen, dass derlei Forderungen als strategisch motivierte Wünsche erscheinen, nach einem temporären Ende der Gewalt, weil die Menschen derzeit überwiegend auf der «falschen Seite» dieses Konflikts sterben.

Wer jüdisches Sterben als «legitimen Widerstand» auch für die Zukunft rechtfertigt, muslimisches Sterben aber als «Völkermord» verstanden wissen will, der wird nicht als vertrauenswürdige Stimme der Vernunft und der Friedfertigkeit verstanden. Und der findet zu Recht kein Gehör. Es heisst, eine Gesellschaft habe die Vertreter, die sie verdiene. Wenn das stimmt, steht es schlecht um die Zukunft der muslimischen Community in Deutschland.

Murat Kayman ist Jurist, Publizist und Mitgründer der Alhambra-Gesellschaft e. V. Von 2014 bis 2017 war er als Anwalt des muslimischen Dachverbandes Ditib in Köln tätig. Er ist Co-Host des «Dauernörgler»-Podcasts. 2021 erschien sein Buch «Wo der Weg zur Gewalt beginnt. Muslimische Vorstellungen von Überlegenheit, ihre Wirkung auf Extremismus und Terror und was wir dagegen tun können».

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