Sonntag, September 29

In ländlichen Wahlkreisen gibt es eigentlich nur einen Präsidentschaftskandidaten: Donald Trump. Er weiss, wie er seine treusten Anhänger auch dieses Jahr begeistern kann.

Pennsylvania. Nirgendwo sonst sind die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten derzeit so oft anzutreffen. Das hat seinen Grund: Wer die 19 Elektorenstimmen des Teilstaats gewinnt, befindet sich auf dem besten Weg ins Weisse Haus. Das Rennen ist knallhart, denn der Swing State ist, wie die gesamten USA, politisch maximal polarisiert. «Pennsylvania ist Philadelphia im Osten und Pittsburgh im Westen mit Alabama dazwischen», charakterisierte der berühmte demokratische Stratege James Carville das Kampfgebiet einst.

Das ländliche Pennsylvania ist – genau wie Alabama – Donald Trumps unbestrittenes Territorium. Im Indiana County im Westen von Pennsylvania siegte er vor vier Jahren mit 68 Prozent der Wählerstimmen. Und als er diese Woche ein Rally in der Kleinstadt Indiana ankündigte, durfte er sich sicher sein, erneut mit Begeisterung empfangen zu werden. Genauso so war es.

Bereits am Vormittag stehen sich die Leute vor der Ed Fry Arena der Indiana University die Füsse platt. Wer später als 13 Uhr für den um 20 Uhr angekündigten Auftritt Trumps eintrifft, wird es nicht mehr schaffen, einen der 5000 Sitze im Stadion zu ergattern. Vielleicht hat das Wahlkampfteam nicht mit einem solchen Ansturm gerechnet, als es das für einen amerikanischen Wahlkampfauftritt relativ kleine Stadion buchte. Jedenfalls erweist sich die Bemerkung von Kamala Harris während der Fernsehdebatte, Trump langweile seine Fans, in Indiana als ins Leere zielende Frotzelei.

Sportanlass, Volksfest, politische Vermarktung

Schier endlose Warteschlangen gehören zu einem Trump-Rally ebenso wie die Geldmacher und Gaukler – es ist diese typische Mischung aus Volksfest und politischer Vermarktung, die die Menschen anzieht. Es könnte ein American-Football-Spiel sein, wäre nicht Trump die Attraktion.

Für die wartende Menge gibt es Barbecue und Kaffee zu beachtlichen Preisen zu kaufen. Die meisten können sich diesen Luxus nicht leisten, sie haben ein Picknick mitgenommen. Ganze Familienverbände sind angereist, selbst die Jüngsten tragen einen MAGA-Hut. Die Stimmung ist aufgeräumt; einige jüngere Männer riechen nach Alkohol, aber bleiben schön anständig. Händler bieten an Ständen ihre Trump-Merchandise an: Trump als Muskelmann oder auch als Plüschtier; Feuerzeuge in Form von Maschinengewehren; T-Shirts mit unzähligen mehr oder weniger dezenten Motiven. Der ausgestreckte Mittelfinger ist ein beliebtes Sujet in dieser Saison.

Rund um Trump, der zum dritten Mal für die Präsidentschaft kandidiert, hat sich ein ökonomisches Universum von Kleinhändlern gebildet, die aus der Marke Trump ein feines Geschäft machen.

Dass die Besucher ländlich geprägt sind, zeigt sich an der Kleidung; manche sehen aus, als ob sie direkt aus dem Stall gestolpert wären, mit fleckigen Jeans und Stiefeln. «Wir freuen uns einfach darauf, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein. Hier haben wir alle dieselbe Meinung», sagt Kimberly Overdorff, eine Bäuerin aus Brush Valley, Pennsylvania. Sie habe schon zweimal Trump gewählt – diesmal sei sie noch motivierter.

Inflation drangsaliert die Bauernbetriebe

Die vergangenen vier Jahre seien für die Bauern im Westen Pennsylvanias hart gewesen, erklärt die Bäuerin. Von der Covid-Krise hätten sie sich nie erholt. Overdorff, die zusammen mit ihrem Mann Mais und Sojabohnen produziert, klagt über die hohen Betriebs- und Lebenskosten. Besonders schmerzhaft seien die hohen Preise für Propangas und das Pflanzenschutzmittel Glyphosat. Um einen Bushel (rund 35 Liter) Mais zu produzieren, würden sie 6 Dollar ausgeben, am Markt erhalte sie für diesen aber bloss 4 Dollar 80.

Zugleich seien die Lebensmittelpreise wie zum Beispiel für Eier und Speck in die Höhe geschnellt. Sie kenne viele Betriebe, vor allem Milchbauern, die in den letzten Jahren den Betrieb hätten schliessen müssen. Das Leben sei besser gewesen, als Donald Trump Präsident gewesen sei. Wie viele ländliche Gebiete in Pennsylvania leidet Indiana County unter einem akuten Bevölkerungsschwund.

50 Kilometer von Indiana entfernt befindet sich die Stadt Butler, wo Trump am 13. Juli knapp einem Attentat entging. Nur Gottes Gnade habe diesen armen Mann gerettet, sagt Overdorff, und zwar gleich zweimal. Nie hätten sie sich Trump näher gefühlt als nach diesen Anschlägen. Noch nie habe ein Politiker eine derartige Verfolgung auf sich nehmen müssen. Auf die Frage, wie weit die politische Polarisierung fortgeschritten sei, ob sie noch Demokraten zu ihren Freunden zählten, sagen die Overdorffs: Selbstverständlich, man komme gut aus, man rede einfach nicht über Politik.

Die meisten, die in der sich schier endlos windenden Menschenschlange für das Trump-Rally anstehen, sind ganz gewöhnliche weisse Amerikaner und Amerikanerinnen. Bauern, Kriegsveteranen, Handwerker, Rentner, Geschäftsleute. Sie kommen meist aus der Gegend, einige aus Nachbarstaaten. Klar ist: Die Anziehungskraft von Donald Trump ist im ländlichen Pennsylvania ungebrochen, wenn nicht gewachsen.

Verschwörungstheorien und Kulturkampf

Im Gespräch mit den Trump-Anhängern zeigen sich schnell auch extremere Tendenzen. Die faktenfreie These eines angeblichen orchestrierten Wahlbetrugs durch die Demokraten ist als Gesprächsthema omnipräsent. «Klar werden sie wieder schummeln», meint eine blonde Frau um die fünfzig. In Arizona hätten das letzte Mal auch massenhaft illegale Immigranten abgestimmt. Dafür gibt es selbst nach einer doppelten Nachzählung keine Beweise, doch die Gruppe nickt zustimmend. Es ist, als ob die Wahlbetrugslüge zum Lackmustest für Trump-Fans geworden ist. Wer an sie glaubt, gehört zum Team Trump.

Er wisse genau, dass die Demokraten schummeln würden, er sei früher selbst Demokrat gewesen, sagt ein Mann mit einem hohen Uncle-Sam-Hut. Er nennt sich Reverend Moss: «Halleluja to ’ya!», lautet sein Gruss. Er habe einmal für Barack Obama gestimmt. Doch die Demokraten seien nicht mehr, was sie früher gewesen waren. Das Land brauche einen Unternehmer an der Spitze wie Trump. Der werde bestimmt gewählt, er kenne nur Leute, die sich beklagen würden: über die Inflation, über die unkontrollierte Einwanderung.

Das Gefühl, dass die Gesellschaft unfair geworden sei, teilen viele Leute. Der Navy-Veteran und seine Frau, Lloyd und Pamela Grey, haben nicht mehr genügend Geld, um Lebensmittel zu kaufen. «Wir bezahlen zuerst die Miete, damit wir nicht obdachlos werden, dann gehen wir zur Lebensmittelhilfe.» Es gebe keine Gerechtigkeit mehr. Immigranten, wie die Haitianer in Springfield, übernähmen die Jobs der Amerikaner, zögen in ihre Häuser ein, erhielten eine Kranken- und Altersversicherung, gratis Telefonie – dafür habe er nicht gekämpft, sagt Lloyd Grey. Er bete dafür, dass Trump die Wahl gewinne.

«Schaut all die Bedauernswerten (‹deplorables›), die gekommen sind!», ruft eine Frau höhnisch aus und braucht das Schimpfwort für die Trump-Fans, das Hillary Clinton erfunden hat – zu ihrem eigenen politischen Schaden.

Der grosse Auftritt von Donald Trump

Inzwischen hat sich die Arena der Indiana University zum Bersten gefüllt. Drinnen im Saal wartet ein Meer von Trump-Anhängern mit glänzenden Augen, roten Make-America-Great-Again-Mützen und hoch gestreckten Handys auf den republikanischen Kandidaten, der 45 Minuten nach dem angesagten Termin auf die Bühne tritt. Etwa 1000 Fans sind zu spät gekommen und schauen vor der Arena auf einer riesigen Leinwand zu.

Donald Trump ist in Hochform. Er schnurrt und brummt wie ein Kater die ersten Sätze hervor, und die Menge ist sofort in Trance. «Dieses Land geht zur Hölle», sagt er und setzt zu einer 90-minütigen Intonierung des Elends des Volkes an, der Verfehlungen der Demokraten, der Blödheit von Kamala Harris. In dem ihm eigenen Singsang verspricht er, er werde die Einwanderer entfernen, die Jobs der Stahlindustrie retten, die Lebenskosten halbieren, er werde die Energieproduktion verdoppeln, den Chinesen den Meister zeigen, den dritten Weltkrieg verhindern und Amerika werde wieder zu einem Land werden, auf das man stolz sein könne.

Die Menge lauscht gebannt seinen Worten, Wellen von Applaus ziehen durch das Stadion, der Milliardär verschmilzt mit den Bedürftigen. Der begnadete Volksverführer schenkt den Menschen für einen Augenblick die Zuversicht, nach der sie lechzen.

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