Mittwoch, Oktober 23

Daniel Frischknecht war einst ein Junkie und prostituierte sich für Heroin. Dann fand er zum Glauben, wurde Präsident der konservativsten Partei des Landes. Was treibt diesen Mann an?

Daniel Frischknecht sitzt in seiner Psychologie-Praxis in Romanshorn und redet ohne Unterlass in seinem spitzen Ostschweizer Dialekt. Der einstige Thurgauer Kantonsrat ist seit 2020 nationaler Präsident der evangelikalen Kleinpartei EDU. Der 60-jährige schaut auf ein bewegtes Leben zurück – nun kämpft er mit Vehemenz gegen die staatliche Unterstützung für den Eurovision Song Contest (ESC), der 2025 in Basel stattfinden wird. Die EDU hat in Basel das Referendum ergriffen und will die dafür nötigen 2000 Unterschriften bald einreichen.

Herr Frischknecht, was stört Sie so am ESC?

Es wird immer noch so getan, als handle es sich um einen unschuldigen Musikevent, so wie einst, als Céline Dion für die Schweiz gewann. Dagegen haben wir gar nichts. Aber der ESC ist zu einem hochpolitischen Anlass verkommen. Das zeigt sich etwa darin, dass die israelische Sängerin Eden Golan zensuriert wurde: Sie durfte nicht über das Leid und den Schmerz der Terrorattacke vom 7. Oktober singen. Vor allem aber wurde die Veranstaltung in den letzten fünfzehn Jahren zu einer Propagandaplattform für Homosexuelle, Nonbinäre und so weiter.

Und dadurch fühlen Sie sich provoziert?

Es geht um den Versuch einer Gehirnwäsche, bei der das Schweizer Fernsehen zuvorderst mitmacht. Das hat dann ganz konkrete Auswirkungen. Als wir gegen die Ehe für alle kämpften, liessen es verschiedene Banken nicht zu, dass wir ein Konto eröffnen. Alle, die sich nicht einem gewissen Konformitätsdruck unterwerfen, werden bestraft. Das Ganze hat sektenhafte Züge angenommen. Der ESC ist ein Brandbeschleuniger für solche Versuche, Andersdenkende mundtot zu machen. Letztlich geht es darum, die göttliche Ordnung zu zerstören und durch eine neue Ordnung zu ersetzen. Erinnern Sie sich, was am Schluss des Auftritts von Nemo passiert ist?

Nein.

Er bekam eine Dornenkrone aufgesetzt. Für uns Christen ist das nicht einfach eine Performance. Nein, es ist Gotteslästerung! Nemo, der Nonbinäre, gebärdete sich als Erlöser.

Wieso zerstört so etwas die «göttliche Ordnung»?

Der Mensch wurde geschaffen als Mann und Frau, nur sie können sich fortpflanzen. Doch die Familie als Fundament jeder Gesellschaft wird zunehmend ausgehöhlt. Was Homosexuelle oder Nonbinäre in ihrem Privatleben machen, ist deren Angelegenheit. Aber das Problem ist, dass sie anderen permanent ihren Lebensstil, ihre Weltsicht aufzwingen wollen. Und am ESC wird das geradezu zelebriert.

Sie sprechen auch von satanistischen Inhalten am ESC. Mit Verlaub – das ist doch Unsinn.

Wer das nicht sieht, muss mit Blindheit geschlagen sein. Es gab Pentagramme auf der Bühne, eine Sängerin bezeichnete sich offen als «witch», also als Hexe.

Das ist doch ein völlig harmloses Kokettieren mit dunklen Mächten, wie es im Pop immer wieder vorkommt.

Nein, sicher nicht! Ich bin aber dem ESC in dieser Hinsicht sogar dankbar: Er macht etwas sichtbar, was schon länger im Verborgenen vorhanden war. Natürlich wollen das alle, die der permanenten Gehirnwäsche ausgesetzt sind, nicht wahrhaben.

Wovon sprechen Sie hier konkret?

Der Leibhaftige macht sich schon lange bemerkbar. Wieso gibt es so viele Suizide? Wieso gehen Männer und Frauen fast selbstverständlich fremd? Wieso gibt es sogar Werbung, die zum Seitensprung verleitet? Das dient doch alles dem Menschen nicht. Und ich merke, dass dieser Feind des Lebens immer frecher wird. Und dann sitzen die Leute in TV-Diskussionssendungen und empören sich über Auswirkungen wie Mobbing an der Schule. Statt dass man sich einmal überlegt, woher das alles kommt.

Woher kommt es denn?

Es ist ja kein Wunder, wenn die Jungen Vorbilder haben wie die «Künstler» vom ESC. Es war an der Medienkonferenz ein klassischer Fall von Mobbing und Ausgrenzung gegenüber Eden Golan. Die anderen zogen sich eine Flagge über den Kopf, um ihr nicht zuhören zu müssen – oder schrien rein. Es ist die klare Botschaft: Leute, deren Meinung ich nicht teile, habe ich zu hassen. Aber über solche Zusammenhänge berichten die Medien nicht. Man muss vom Zeitgeist geblendet sein, um das nicht zu erkennen.

Sie sprechen selbst abschätzig über Menschen, die eine andere Weltsicht haben. Muss man als Christ nicht auch eine Person wie Nemo lieben?

Doch, auf jeden Fall! Ich hasse ihn doch nicht, so wie ich auch keine Homosexuellen hasse. Er hat eine phantastische Stimme. Nur schade, dass er seine Gabe, die er von Gott bekommen hat, auf so missbräuchliche Art verwendet.

Ein EDU-Stadtparlamentarier aus Biel hat auch das Olympische Komitee sowie den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und weitere Persönlichkeiten wegen der Eröffnungsfeier von Paris 2024 verklagt. Was halten Sie von dieser Klage?

Ich finde zwar auch, dass die blasphemische Darstellung des letzten Abendmahls mit Dragqueens und einem Transgender-Model eine Fortsetzung der Vorgänge am ESC war. Was hat das Essen von Jesus mit seinen Jüngern mit Olympia zu tun? Natürlich nichts. Es ging nur darum, Aufmerksamkeit zu erregen für die «queere» Sache. Aber ich würde in einem solchen Fall nicht klagen. Das führt zu nichts, man ist eh chancenlos.

Ihre EDU gilt als die konservativste Partei der Schweiz. Ist das für Sie eine Auszeichnung?

Nein, das ist kein Qualitätslabel. Und dabei geht vergessen, dass wir in manchen Bereichen extrem progressiv sind, etwa bei der Förderung von Geothermie oder bei den Kinderzulagen. In Bezug auf die christlichen Werte sind wir aber selbstverständlich konservativ, klar! Nächstes Jahr wird unsere Partei fünfzig Jahre alt. Wir sind uns immer treu geblieben. Es ist die Gesellschaft, die sich so stark gewandelt hat.

Die Ehe für alle wurde eingeführt, die Cannabis-Legalisierung steht bevor, vielleicht kommt irgendwann auch eine Regelung zum dritten Geschlecht: Sie müssen an dieser Gesellschaft leiden.

Leiden würde ich nur, wenn ich mir vorwerfen müsste, dass ich solche Fehlentwicklungen hätte verhindern können.

Gut, dann sagen wir: Sie müssen eine Ohnmacht empfinden.

Das trifft es vielleicht eher. Aber suizidale Gefühle entwickle ich deswegen trotzdem nicht. Ich bin mit dem Glauben unterwegs, er gibt mir jeden Tag von neuem Kraft. Wenn ich einmal den Löffel an der Réception abgebe, will ich sagen können: Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand. Das werde ich auch beim ESC machen, das verspreche ich Ihnen. Sollten wir mit unserem Referendum nicht erfolgreich sein, werden wir gegen die Verschwendung der SRF-Gebührengelder für diesen Anlass vorgehen.

Den Kirchen laufen die Menschen in Scharen davon. Glauben Sie, dass die Schweiz noch ein christliches Land ist?

Das eine hat wenig mit dem anderen zu tun. Ich bin mit achtzehn aus der reformierten Kirche ausgetreten – und nie wieder in eine Kirche eingetreten. Man kann bestens Christ sein, ohne Kirchenmitglied zu sein. Was die katholische Kirche in einigen Lehrthesen verkündet, etwa die Unfehlbarkeit des Papstes, ist ohnehin Nonsens.

Und was ist mit der Schweiz als christlichem Land?

Ich weiss gar nicht, ob wir je so christlich waren, wie wir meinten. Es gab eine grössere soziale Kontrolle, deshalb wurden die von den Kirchen gesetzten Normen besser eingehalten. Dadurch ging es uns als Gesellschaft besser. Aber ich stelle infrage, ob der Einzelne eher eine Beziehung zu Gott, dem Geber dieser Ordnung, hatte als heute. Eine Hoffnung habe ich allerdings: Vielleicht wenden sich die Menschen bald wieder Gott zu.

Wieso sollten sie das tun?

Weil es ihnen schlechtgeht. Weil sie alles andere ausprobiert haben und keine Alternative mehr haben. Alle Leute, die in meine Psychologie-Praxis kommen, haben eins gemein: Sie leiden. Die Degeneration der Gesellschaft, die sich an allem zeigt, was ich bereits beschrieben habe, wird dazu führen, dass die Leute wieder die Sinnfrage stellen. Und wenn sie merken, dass all die angeblichen Erlöser nichts taugen, dann wenden sie sich dem wahren Erlöser wieder zu.

Sie beschreiben damit quasi Ihre eigene Lebensgeschichte: Auch sie waren ganz unten, bevor Sie sich bekehrt haben.

Ja, ich war ein Heroin-Junkie und habe gestohlen und mich prostituiert, um mir den Stoff leisten zu können – in manchen Monaten brauchte ich damals dafür 9000 Franken.

Wie konnte es so weit kommen?

Mein Vater war Alkoholiker und gewalttätig. Er versoff unser Geld, meine Mutter sammelte zuweilen auf einem Feld Maiskolben ein, damit meine vier Geschwister und ich überhaupt etwas zu essen hatten. Ich war ein unsicheres Kind, stotterte. Als Achtjähriger hatte ich einen Kumpel, der zwanzig war. Er bot mir sauren Most an. Und obwohl ich mir geschworen hatte, nie so zu werden wie mein Vater, griff ich zu. Ich wollte meinen Freund nicht verlieren. Der Alkohol hat mich umgehauen. Meine Mutter sagte mir daraufhin immer wieder: Du wirst einmal wie dein Vater. Je mehr ich mich gegen die Prophezeiung wehrte, umso wahrer wurde sie. Es war wie ein Fluch.

Führte von dort ein direkter Weg in die harten Drogen?

So kann man es sehen. Wenn ich in der Schule eine Prüfung oder einen Vortrag hatte, musste ich mir Mut antrinken. Mit dreizehn begann ich zu kiffen. Und dann entdeckten wir das Leimschnüffeln, den Leim klauten wir in der Papeterie. Am Mittwochnachmittag kauften wir uns harten Schnaps und dröhnten uns im Wald zu. Später kamen noch Medikamente und LSD dazu. Ich merkte gar nicht, dass ich mich in einer Abwärtsspirale befand. Ich kannte schon Leute, die Heroin nahmen. Und ich dachte: Wie dumm ist das denn? Da kommt man doch nicht mehr raus!

Wenig später hingen Sie selbst an der Nadel.

Ich kam mit siebzehn Jahren an einen Punkt, da ging es mir so mies, dass ich fand, es könne doch gar nicht schlimmer werden. Also fragte ich ein befreundetes Paar, ob sie mir einen Schuss geben könnten. Und plötzlich diese Wärme in meinem Körper, diese Geborgenheit! Natürlich wollte ich immer mehr von diesem Gefühl. Die Abschlussprüfung an der Handelsschule verhaute ich komplett. Und ich begann zu dealen, um den Heroinkonsum finanzieren zu können. Ich fuhr am Freitagabend nach Amsterdam, deckte mich mit Stoff ein und kam am Sonntag wieder zurück. Mein gekauftes Heroin war dann sehr gefragt auf der Strasse, und ich konnte so meine Sucht finanzieren.

Lebten Sie zeitweise auch auf der Gasse?

Nein, ich hatte immer eine Wohnung, zuweilen führte ich auch ein beinahe bürgerliches Leben, mit einem Job, ich fuhr sogar BMW. Und dann lernte ich Gott kennen.

Wie kam es dazu?

Meine Mutter teilte mir mit, sie werde sich bei einer Pfingstgemeinde taufen lassen. Sie bat mich, an der Taufe teilzunehmen. Widerwillig ging ich hin, vorher kippte ich noch alle Schmerzmittel rein, die ich zu Hause fand. Bei der Predigt hatte ich das Gefühl, dass der Pastor nur über mich sprach, über meine Sünden. Es war wie ein besonders krasser Trip. Als ich am Abend im Bett lag, wurde es plötzlich hell um mich herum. Ich hörte eine Stimme, die sagte: «Ich will dich frei machen, du sollst mein Sprachrohr werden.» Ich verspürte einen grossen Frieden. Die nächsten dreieinhalb Monate nahm ich keine Drogen mehr, begann, in der Bibel zu lesen.

Und dann?

Ich hatte einen Rückfall. Im Januar 1985 wollte ich mir den goldenen Schuss setzen. Ein Freund rief die Ambulanz, als sie ankam, war ich klinisch tot. Doch im Spital haben sie mich wieder zurückgeholt. Ich dachte: Nicht einmal das kriegst du hin – und mit Gott hast du es auch verspielt. Es kam eine ganz finstere Zeit, ich fühlte mich wie ein Zombie.

Wie fanden Sie aus diesem Loch heraus?

Ich wurde verhaftet und wegen all meiner Delikte zu einem Jahr Gefängnis unbedingt verurteilt. Doch der Richter bot mir an, die Gefängnisstrafe in eine stationäre Entzugstherapie umzuwandeln. Es war ein letzter Strohhalm, und ich ergriff ihn. Ich entschied mich für eine christliche Therapie, bei Best Hope in Herisau. Ich blieb mehr als zwei Jahre, dann war ich von der Sucht geheilt und endlich auf dem richtigen Weg. Ich machte eine Schreinerlehre, holte die Matura nach und studierte Psychologie. Heute erinnert mich meine Leberzirrhose, die ich wegen einer Hepatitis-C-Infektion bekam, an die Drogenzeit.

Ihre Biografie ist eine typische Erweckungsgeschichte, wie man sie in evangelikalen Kreisen liebt. Sprechen Sie deshalb so offen über alles, was Sie durchgemacht haben?

Nein, ich habe kein narzisstisches Motiv. Aber es soll niemand meinen, ich wüsste nicht, wie das wahre Leben aussieht. Wenn ich in der Politik von Drogen oder über die homosexuelle Szene spreche, dann tue ich das auch aufgrund meiner eigenen Erfahrungen.

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