Donnerstag, März 20

Vor dem letzten EM-Testspiel am Samstag gegen die Schweiz haben die Österreicher sechs Siege in Folge errungen. Der ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick will den österreichischen Fussball in Europa neu positionieren.

Die Geschichten ähneln sich: Der Zürcher Marcel Koller hatte sich im Herbst 2015 mit dem Nationalteam von Österreich gerade eindrücklich für die Euro 2016 qualifiziert, als Gerüchte über attraktive Alternativangebote für den Erfolgstrainer aufkamen. Ganz Fussball-Österreich wirkte auf Koller ein, der schliesslich mit einem aufgebesserten Vertrag zum Verbleib bewegt werden konnte.

Und nun war Ralf Rangnick nach der erfolgreich abgeschlossenen Euro-Kampagne mit dem Team des Österreichischen Fussball-Bundes (ÖFB) wochenlang Kandidat im heiteren Trainer-Raten beim FC Bayern.

Sein Bauchgefühl habe ihm geraten, den Bayern abzusagen, bekannte Rangnick in einem ORF-Gespräch. Unter der vorübergehenden Doppelbelastung – die Europameisterschaft mit Österreich und die Saisonvorbereitung für den FC Bayern – hätte ein Projekt gelitten, so der zum Perfektionismus neigende Coach. Die Freiheitsgrade im Österreichischen Verband waren dem Schwaben wohl mehr wert als ein vielfach höher dotierter Vertrag aus der Säbener Strasse.

Blickt man auf die Karriere des «Fussball-Professors» aus Backnang bei Stuttgart zurück, so wurden alle Arbeitgeber, die ihm weitreichende Kompetenzen einräumten, mit Erfolg belohnt.

Rangnick stellte das ÖFB-Team neu auf

Eine Verkettung günstiger Umstände führte vor zwei Jahren zum Engagement von Ralf Rangnick. Ausgerechnet der aktuelle Bayern-Sportdirektor Christoph Freund gab dem ÖFB den Tipp, dass sein ehemaliger Mentor aus dem Red-Bull-Universum Interesse hätte, mit dem österreichischen Team bei der EM in Deutschland seine Art von modernem Fussball zu präsentieren. Ob die Entscheidung im DFB gegen Rangnick als Deutscher Teamchef Zusatzmotivation war, ist nicht belegt.

Innert weniger Wochen gelang es dem 65-Jährigen, das zuvor notorisch erfolglose ÖFB-Team neu aufzustellen. Gleich im ersten Spiel siegte es gegen Kroatien in Osijek mit 3:0, Frankreich wurde in Wien ein 1:1 abgerungen. Aggressives Spiel gegen den Ball und schnelles Umschalten führten zu Erfolgserlebnissen und neuem Selbstvertrauen. Die Handschrift des Trainers war auch am vergangenen Dienstagabend im Wiener Prater gegen Serbien sichtbar, wenn auch nicht über die gesamte Spieldauer.

Er habe aus dem 2:1 gegen den physisch und spielerisch starken Gegner viele Erkenntnisse gewonnen, sagte Rangnick nach dem Match. Die ersten 30 Minuten seien ganz nach seinen Vorstellungen gewesen, besser könne man nicht in ein Spiel starten. Im letzten EM-Test gegen die Schweiz am Samstag in St. Gallen wird es kaum noch Experimente geben. Marcel Sabitzer wird zwar geschont, Heinz Lindner, der Goalie mit GC-, Basel- und Sitten-Vergangenheit, soll aber im Tor stehen.

Motiviertes Kollektiv – auch dank Impulsen von Ralph Krueger

Immerhin konnte das ÖFB-Team die vergangenen sechs Partien in Folge gewinnen. Das Muster der jüngsten Erfolge, darunter gegen Deutschland (2:0) und die Türkei (6:1), ist leicht auszumachen. Als motiviertes Kollektiv mit hoher Präsenz von Beginn an gelingt es immer wieder, den Gegner zu überraschen. Nicht zufällig hält Christoph Baumgartner mit seinem Blitztreffer nach 6,3 Sekunden gegen die Slowakei den Weltrekord für das schnellste Tor in einem Länderspiel.

Die Devise lautet, mit kalkuliertem Risiko mutig nach vorne zu spielen, den Gegner unter Druck zu setzen und Überraschungsmomente zu nutzen. Diese hohe Intensität ist naturgemäss nicht über 90 Minuten zu halten, gegen Serbien führte das in der zweiten Spielhälfte zu einem Abnützungskampf mit klaren Vorteilen für das Team vom Balkan.

Neben hoher Dynamik legen Rangnick und sein Stab grossen Wert auf den Teamgeist. Dabei setzt man bewusst auf Impulse von aussen. So wurden Ralph Krueger, der langjährige Coach des Schweizer Eishockey-Teams, oder der deutsche Kampfsportler Marc Gassert in die Teamcamps eingeladen. Auch die Kraft der Symbole setzt Rangnick bewusst ein: Jeder Spieler bekam von ihm einen Karabinerhaken als Schlüsselbund. Dieser soll mehrmals täglich an die persönliche Verbundenheit mit dem Team erinnern.

Alaba mit Sonderrolle während der Euro

Wurde das Nationalteam in der Vergangenheit oft auf wenige bekannte Namen wie Marko Arnautovic, Marcel Sabitzer oder David Alaba reduziert, so machen inzwischen die Dichte und Tiefe des Kaders die Qualität des ÖFB-Teams aus. Langzeitverletzte wie Angreifer Sasa Kalajdzic, Mittelfeldmotor Xaver Schlager und Captain Alaba müssen ersetzt werden. Letzterer wird das Team aber in einer Sonderrolle als Teil des Betreuerstabs während der Euro unterstützen.

Ralf Rangnick hat den Ehrgeiz, den ÖFB nachhaltig erfolgreich zu machen. Abseits vom Tagesgeschäft als Teamcoach beschäftigt er sich mit vielen Themen, die nicht in seiner Aufgabenbeschreibung stehen. Und greift dabei tief in die Verbandsstrukturen ein. Mit Leidenschaft und Akribie entwirft er Nachwuchskonzepte, verhandelt mit Kanzler und Vizekanzler den Neubau eines Nationalstadions, kümmert sich aber auch um die richtige Rasenhöhe in einer Spielstätte.

Der im Umbruch befindliche ÖFB ist dankbar für das Engagement des Visionärs und Strategen Rangnick: «Warum soll Österreich im europäischen Fussball zukünftig nicht eine ähnlich erfolgreiche Rolle wie Kroatien, Belgien oder die Schweiz spielen?», fragte der Trainer öffentlich und ermuntert die Österreicher, sich mehr zuzutrauen. So wie es Länder mit ähnlichen Voraussetzungen seit vielen Jahren erfolgreich vorleben.

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