Die Verfahren dauern lange, und die Polizei spricht selten die schärfste Massnahme aus. Das kritisiert der CEO der Schweizer Fussball-Liga.

Es ist der 19. Oktober 2024, der Nachmittag vor dem Zürcher Fussballderby. Rund fünfzig vermummte GC-Ultras stürmen beim Bahnhof Hardbrücke eine S-Bahn. In dem Zug sitzen auch einige FCZ-Fans. Beim Angriff wird Pfefferspray versprüht, im Innern des Zugs kommt es zu Sachbeschädigungen.

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Zuvor hatten die GC-Ultras auf der Hardbrücke mehrere FCZ-Fans angegriffen. Diese seien ausgeraubt und teilweise verletzt worden, werden Polizei und Staatsanwaltschaft später festhalten.

Fünf Monate nach dem Vorfall gelingt den Ermittlern ein Schlag gegen die gewaltbereite Ultra-Szene. Rund zwei Dutzend Tatverdächtige, mutmasslich gewaltbereite GC-Ultras können die Behörden identifizieren.

Neun junge Männer – acht Schweizer und ein Brasilianer – werden festgenommen. Ihnen werden unter anderem schwere Körperverletzung, Raub, Angriff sowie Landfriedensbruch vorgeworfen. Gegen mehr als ein Dutzend weitere Beteiligte ist wegen des Verdachts auf Angriff beziehungsweise wegen Landfriedensbruchs Anzeige erstattet worden.

Die meisten der neun festgenommenen GC-Ultras sind inzwischen wieder auf freiem Fuss – und sie dürfen sich auf das Zürcher Derby von diesem Sonntag freuen. Denn die Behörden hindern die Männer nicht daran, das Spiel auch im Stadion zu verfolgen. «Es wäre möglich, dass diese das Derby besuchen», sagt ein Sprecher der Stadtpolizei. Es seien noch keine Rayonverbote oder Meldeauflagen ausgesprochen worden.

Viele Rayonverbote, aber keine einzige Meldeauflage

Rayonverbote und Meldeauflagen sind Massnahmen, zu denen die Polizei laut dem Hooligan-Konkordat ermächtigt ist. Ein Stadionverbot dagegen kann von den Klubs oder der Liga erlassen werden.

Erlässt die Polizei ein Rayonverbot für den Letzigrund, darf sich die bestrafte Person am Spieltag nicht im Perimeter rund ums Stadion aufhalten. Das Rayon ist relativ weit gesteckt, umfasst beim Letzigrund etwa auch den S-Bahnhof Hardbrücke oder den Albisriederplatz.

Die andere, schärfere Massnahme der Behörden ist die Meldeauflage: Die bestrafte Person muss sich am Spieltag 30 Minuten vor und 15 Minuten nach dem Spiel bei einem Polizeiposten an ihrem Wohnort melden. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die Person nicht doch ans Spiel wagt.

Dass gegen die verhafteten S-Bahn-Ultras weder Rayonverbote noch Meldeauflagen verfügt worden sind, liegt laut Stadtpolizei daran, dass die Verfahren gegen die Männer nicht abgeschlossen sind. Bis rechtskräftige Verurteilungen vorliegen, gilt die Unschuldsvermutung.

Die Meldeauflage, das griffigste Mittel, um Gewalttäter zu überwachen, wird von den Zürcher Behörden kaum je umgesetzt. Dies zeigen exklusive Zahlen der Stadtpolizei. So sprach diese 2024 keine einzige Meldeauflage aus. 2023 war es eine einzige.

Die Polizei begründet ihre Zurückhaltung damit, dass die Voraussetzungen für das Aussprechen einer Meldeauflage nicht erfüllt gewesen seien. Die «Intensität des Deliktes» habe nicht gereicht, darum sei es bei Rayonverboten geblieben.

Ein solches Rayonverbot erhält, wer zum Beispiel Pyrotechnik zündet, ohne dass Personen zu Schaden kommen oder ohne damit jemanden konkret zu gefährden. Auch bei Tätlichkeiten oder Sachbeschädigungen wie Sprayereien wird laut Stadtpolizei ein Rayonverbot ausgesprochen.

Wer dagegen Gewalt ausübt oder pyrotechnische Gegenstände in der Absicht verwendet, Leute zu gefährden oder zu schädigen, oder wer diese Gefahr zumindest in Kauf nimmt, der wird mit einer Meldeauflage belegt.

Eine Schwierigkeit ist, die Taten überhaupt nachweisen zu können. Meist sind die Täter vermummt. Wie bei den Fackelwürfen vom Derby 2021, als ein FCZ-Mob die GC-Kurve angegriffen hatte. Vor Gericht konnte der Fackelwurf dem Beschuldigten nicht nachgewiesen werden.

Ein Rayonverbot, das schwächere der beiden Mittel, erteilte die Stadtpolizei 2023 gegen 30 Personen. 2024 sprach sie gegen 60 Personen Rayonverbote aus.

Allerdings stellt sich die Frage: Wenn sich aktenkundige Ultras am Spieltag nicht auf dem Polizeiposten melden müssen, wie kontrolliert die Polizei, dass die Rayonverbote überhaupt eingehalten werden?

Man habe verschiedene Möglichkeiten, um allfällige Verstösse gegen Rayonverbote zu überprüfen, heisst es bei der Stadtpolizei. Aus polizeitaktischen Überlegungen wolle man sich aber nicht äussern.

Liga und Behörden streiten über Massnahmen

Claudius Schäfer ist der CEO der Schweizer Fussballliga. Er sagt: «Es ist nicht nachvollziehbar, dass nicht nur in der Stadt Zürich, sondern in der ganzen Schweiz in der gesamten letzten Saison keine einzige Meldeauflage ausgesprochen wurde.»

Laut Schäfer bietet das Hooligan-Konkordat mit seinen Rayonverboten und Meldeauflagen wirkungsvolle Instrumente, um gewalttätige Einzeltäter gezielt vom Stadion fernzuhalten – und gerade die Meldeauflage habe sich etwa in England als wirksamstes Mittel erwiesen.

Hintergrund der Kritik durch Schäfer ist die härtere Gangart gegen Fangewalt, die die Kantone und Städte vor einem Jahr angeschlagen haben. Das sogenannte Kaskadenmodell ist ein Sanktionskatalog, der Massnahmen wie einfache Verwarnungen bis zu Spielverboten enthält. Das Kaskadenmodell geht Schäfer zu weit.

In Zürich etwa sperrte die Stadt die Stehplätze in der Letzigrund-Südkurve, weil es zuvor zu Ausschreitungen gekommen war. Der FCZ wehrt sich gegen diese Massnahme vor Gericht. Auch die Liga hat wenig Freude am Kaskadenmodell. Vor einem Jahr ist sie aus dem Modell ausgestiegen, die Politik hält aber daran fest.

Der Liga-CEO Claudius Schäfer sagt zur NZZ, es brauche «keine neuen, rechtlich fragwürdigen und für friedliche Fans unverhältnismässigen Kollektivstrafen» wie sie das Kaskadenmodell vorsehe. Vielmehr gehe es um «eine konsequente und flächendeckende Anwendung der bestehenden gesetzlichen Instrumente».

Am Sonntag ist in Zürich wieder Derby-Zeit. Nebst dem besagten S-Bahn-Angriff kam es diese Saison an Spieltagen zu weiteren Vorfällen. So kesselte im Dezember die Polizei Hunderte von GC-Fans ein, weil zuvor einige GC-Ultras am Fanmarsch Petarden gezündet hatten.

Dass am Sonntag mit einer gewissen Spannung gerechnet werden muss, scheint sich auch in der Restschweiz herumgesprochen zu haben. Die «Luzerner Zeitung», sonst eher am FCL interessiert, widmete dem Zürcher Derby eine Seite inklusive Ortsbesuch an der Limmat. Der Tenor der Luzerner: «Es knistert in Zürich.»

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