Samstag, Oktober 5

Die vom Bund eingesetzte Expertengruppe sieht viel Sparpotenzial. Zu den zentralen Stichworten zählen etwa Krippenfinanzierung, AHV-Subventionen, Regionalverkehr und Klimasubventionen.

3 bis 4 Milliarden Franken. Etwa so hoch könnte ab 2027 das jährliche Bundesdefizit sein, wenn es beim geltenden Ausgabenkurs bleibt. Der Bundesrat hatte deshalb diesen Frühling eine externe Expertengruppe mit der Erarbeitung von Vorschlägen zur Verhinderung dieser drohenden Defizite beauftragt. Unter der Leitung des früheren Bundesfinanzverwalters Serge Gaillard rangen zwei liberale Ökonomen, eine ehemalige linke Finanzpolitikerin sowie ein früherer Direktor des Bauernverbands und Ex-FDP-Nationalrat um Antworten.

Die Gruppe hat ihren Auftrag sogar übererfüllt, wie der am Donnerstag publizierte Schlussbericht zeigt. Die Experten präsentierten ein Paket mit über 60 Massnahmen, die zusammen ein Verbesserungspotenzial von rund 4 Milliarden Franken für 2027 und fast 5 Milliarden für 2030 ergäben. Erstaunlicherweise erreichte die Gruppe in den meisten Fragen einen Konsens; nur bei einzelnen marginalen Punkten gab es Mehrheiten und Minderheiten.

Schuldenbremse bestätigt

Die erste Kernbotschaft des Berichts: Die Experten lehnen eine Lockerung der Schuldenbremse des Bundes ab. Hauptbegründung: Die Regeln sorgten in normalen Zeiten für eine Reduktion der Schulden, was Spielräume für Krisen wie etwa die Covid-19-Pandemie ermögliche. Der Bericht sagt auch klar, dass der geplante Anstieg der Armeeausgaben im Sinn der Haushaltsregeln nicht als ausserordentlich zu qualifizieren sei und deshalb den ordentlichen Regeln der Schuldenbremse zu unterstehen habe.

Die zweite Hauptbotschaft, die ebenfalls einen Konsens erhielt: Die vom Bundesrat gewünschte Haushaltsentlastung ist ohne Steuererhöhung möglich und ohne dass der Bund zu Tode gespart wird. Bei einem Bundesbudget von rund 90 Milliarden Franken 2027 entspräche eine Einsparung von 4 Milliarden etwas über 4 Prozent. Und selbst mit den vorgeschlagenen Einsparungen würden die jährlichen Bundesausgaben weiter steigen.

2 Milliarden weniger Subventionen

Die Gruppe hat sämtliche Subventionen nach drei Kriterien unter die Lupe genommen: Lässt sich das politische Ziel der Subvention effizienter erreichen? Entspricht die Subvention dem Prinzip der Subsidiarität und dem Gleichklang von Kosten, Nutzen und Entscheidungsgewalt? Und wie hoch sind die Verwaltungskosten?

Der Bericht ortet eine Vielzahl von zweifelhaften Subventionen mit einem Kürzungspotenzial von total rund 2 Milliarden Franken pro Jahr. Die Liste reicht von kleinen Posten (wenige Millionen Franken pro Jahr) bis zu Posten mit Sparpotenzial von Hunderten von Millionen. Wohl fast jede Empfehlung wird bei Betroffenen und ihren Lobbyisten auf heftigen Widerstand stossen.

So empfehlen die Experten unter anderem eine Reduktion der Klimasubventionen (Sparpotenzial etwa 400 Millionen Franken pro Jahr). Der Bericht stellt die Klimaziele des Bundes nicht infrage, doch Klimasubventionen für Unternehmen und Privathaushalte sind laut dem Bericht oft ineffizient (lies: verschwenderisch). Der Bericht betont, was viele Ökonomen seit langem sagen: Lenkungsabgaben sind das effizienteste Mittel der Klimapolitik. Laut den Experten wären auch technische Vorgaben etwa für Gebäude und Fahrzeuge einem Subventionsregime vorzuziehen.

Bedeutendes Sparpotenzial sieht der Bericht auch bei den Verkehrssubventionen, besonders im Regionalverkehr. Zu den grösseren Posten zählt überdies die Sparempfehlung für die Asylpolitik. Die Experten empfehlen eine Beschränkung des Bundesbeitrags an die Kantone für Flüchtlinge von derzeit fünf bis sieben Jahre auf noch vier Jahre. Dies soll die Anreize für die Kantone zur Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt erhöhen.

Der Bund sollte zudem laut den Experten auf die Subventionierung von Kinderkrippen verzichten, da dies Sache der Kantone sei (Sparwirkung beim Bund 800 bis 900 Millionen Franken pro Jahr).

Ein Dorn im Auge sind den Experten auch zwei Budgetposten des Bundes mit besonders starker Ausgabenbindung und Wachstumsdynamik: die Subventionen für die AHV und für die Verbilligung der Krankenkassenprämien. Laut dem Bericht sollten die Bundessubventionen für die AHV nicht ans (besonders starke) Wachstum der AHV-Ausgaben gebunden sein, sondern besser an die Entwicklung der Mehrwertsteuererträge. Damit würden die AHV-Ausgaben des Bundes etwa im Gleichklang mit der Wirtschaft wachsen. Bei den Prämienverbilligungen sollen die Bundessubventionen nicht ans effektive Kostenwachstum der obligatorischen Krankenversicherung gebunden sein, sondern an ein Wachstumsziel.

Eiertanz um die Armee

Zur Armee vollführen die Experten einen Eiertanz. Den Plan des Bundesrats, die Armeeausgaben bis 2035 auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen, akzeptieren sie im Grundsatz mit halbwegs hörbarem Zähneknirschen. Aber sie empfehlen der Regierung trotzdem, auch ein Szenario mit weniger raschem Ausbau zu «prüfen», was das Budget 2030 um gegen 600 Millionen Franken entlasten könne. Die Idee einer im Vergleich zum Bundesratskurs noch beschleunigten Erhöhung des Armeebudgets erwähnt der Bericht vornehm überhaupt nicht.

Die Liste der Sparempfehlungen ist noch weit länger und wird verschiedenste Interessengruppen aus dem Busch klopfen – von den Hilfswerken (empfohlenes Einfrieren der Entwicklungshilfe für einige Jahre) über das Bundespersonal (weniger Wachstum bei den Personalausgaben) bis zu den Hochschulen und den Kantonen. Generell ist vor allem mit scharfer Kritik der Linken zu rechnen: Die Linke will nicht sparen, sondern möchte zusätzliche Mehrausgaben und höhere Steuern, so dass bereits die Übungsanlage der Expertengruppe linken Reflexen fundamental zuwiderläuft. So hatte die SP am Mittwochvormittag bereits vor Publikation des Berichts eine Einladung für eine Medienkonferenz mit dem Titel «Frontalangriff auf die soziale Schweiz» verschickt.

Ein SP-Mitglied war in der Expertengruppe dabei: die frühere Nationalrätin Ursula Schneider Schüttel, ehemalige Präsidentin der Finanzdelegation des Parlaments. Sie betrachte den Bericht nicht aus parteipolitischer Sicht, sondern aus finanzpolitischer Sicht, sagt sie im Gespräch: Aus dieser Sicht könnte sie hinter den Empfehlungen der Expertengruppe stehen.

Relativ glimpflich kommen im Bericht die Bauern davon. Die Experten verzichteten hier auf einen Stich ins Wespennest und beschränkten sich auf einzelne kleinere Empfehlungen.

Grundstückgewinnsteuer für den Bund?

Im Einklang mit den Vorgaben des Bundesrats erarbeitete die Gruppe auch ein Paket, das Steuererhöhungen enthält und die Sparvorgaben entsprechend reduzieren würde. Der Bericht macht aber deutlich, dass dies nicht die Wunschvariante des Gremiums ist.

Als Erstes unter diesem Titel empfehlen die Experten die Beseitigung des Steuerprivilegs für Kapitalbezüge aus der zweiten und der dritten Säule (geschätzte Mehreinnahmen pro Jahr von 220 Millionen Franken für den Bund). In zweiter Priorität sollen die Ausnahmen und Sondersätze bei der Mehrwertsteuer stark reduziert werden. Dies könnte laut dem Bericht eine Reduktion des regulären Mehrwertsteuersatzes von 8,1 auf 6,8 Prozent erlauben und trotzdem noch Mehreinnahmen von etwa 1 Milliarde Franken pro Jahr bringen.

In dritter Priorität empfehlen die Experten eine Grundstückgewinnsteuer für Privatpersonen auch auf Bundesebene. Eine solche Steuer hätte laut dem Bericht weniger Fehlanreize als etwa eine Erhöhung der Einkommenssteuer oder der Mehrwertsteuer und könnte laut Bundesschätzung jährliche Einnahmen von etwa 1 Milliarde Franken bringen.

Der Bundesrat hat am Mittwoch den Expertenbericht als gute Grundlage bezeichnet. Laut der Regierung soll die geforderte Entlastung vorwiegend durch Massnahmen bei den Ausgaben erreicht werden – mit punktuellen Massnahmen via Mehreinnahmen im Sinn der Ausgewogenheit. Nun sollen runde Tische mit Kantonen, Parteien und Sozialpartnern zur Diskussion des Pakets folgen. Voraussichtlich im nächsten Januar will der Bundesrat ein konkretes Paket in die Vernehmlassung schicken.

Exit mobile version