Samstag, November 23

Was wären die Thailänder ohne ihre Relishes und Dips? Es gibt davon Varianten ohne Ende, die alle eigene Namen haben und meist mit bestimmten Regionen im Land verknüpft sind. An Nam chup yum ist speziell, dass frische Garnelen in die Mischung kommen.

Nam chup yum: Relish aus Garnelenpaste, Knoblauch, Chili und Tamarinde mit frischen Garnelen

«Kosten Sie! Das ist die Essenz unseres Landes! Nicht irgendein Curry . . .» Der Mann greift mit seiner Rechten durch die Luft, als versuche er, die Bilder verschiedener Currygerichte herbeizuzaubern. Dann schubst er den Pappteller mit dem ungekochten Gemüse noch etwas näher zu mir hin. Mitten in der Rohkost steckt ein himmelblaues Plastikschälchen mit einer rötlich-grauen Sauce. Ich verspüre nicht die geringste Lust, mich so früh am Tag schon auf ein solches Experiment einzulassen.

Der Central Market von Phuket Town ist kein übertrieben pittoreskes Erlebnis. In der düsteren Halle bieten nur ein paar wenige Gemüsehändler, Fischer und Metzger ihre Ware an, zufällig hingeworfene Salatbüschel, Frischware in Plastiksäcken und Metallbecken voller Schlachtteile im Schein von flackernden Neonröhren und nackten Energiesparbirnen. Drei Viertel der Stände stehen leer.

Ich war unterwegs zur Thalang Road im Zentrum von Phuket Town, wo ich mir die «prachtvollen Häuser im sino-portugiesischen Stil» ansehen wollte, die «schönste Altstadt Thailands», wie die Prospekte schwärmen, das «Juwel», den «glitzernden Stern der Andamanensee». Dann aber brach statt Glitzer auf einmal ein heftiger Regen aus dem schon seit Stunden düsteren Himmel. Wie von Zauberhand hatten plötzlich alle Einheimischen farbige Pelerinen an – ich hingegen stellte fest, dass ich sogar meinen Schirm im Hotelzimmer vergessen hatte. Ich suchte also Zuflucht im nächsten Gebäude, das zugänglich war.

Tropenregen sind bekannt dafür, dass sie heftig sind, aber nur von kurzer Dauer. Dieser hier mag sich aber nicht an die Regeln halten. Jedes Mal, wenn ich meinen Weg fortsetzen will, schickt er eine neue Tropfensalve zu Boden. Also drehe ich wieder und wieder eine Runde um die paar Stände – bis die Verkäuferinnen anfangen, mir hinterherzukichern.

«Warum ist denn dieser Markt so leer?», frage ich meinen neuen Bekannten, der einen kanariengelben Plastiküberwurf trägt und auf dem Kopf einen halboffenen Motorradhelm mit Snoopy-Kleber.

«Oh, das ist wegen Corona, sonst ist alles ganz voll hier. Aber jetzt: keine Touristen, kein Business, kein Markt.»

«Ist das nicht ein Markt für die Leute von hier? Für die Einheimischen?»

«Einheimische?» Er lacht und entblösst dabei eine Reihe von dunklen Zahnstümpfen: «Ja, ja, das ist ein lokaler Markt. Aber viele Restaurants kaufen hier ein, viele kleine Pensionen – normalerweise, aber jetzt . . .»

Ich rücke meinen Rucksack zurecht, trete etwas zurück und setze ein entschiedenes «So, I have to . . .» in die Luft, dem eine angedeutete Verbeugung folgt. Doch er legt sanft seine kleine, knorrige Hand auf meinem Unterarm: «Sie kennen doch Papayasalat, Tom kha gai, Phat thai?» Ich nicke und merke, wie meine Stirn ungeduldig Runzeln schlägt. «Probieren Sie das hier, dann verstehen Sie wirklich, wie wir hier in Thailand essen.»

Ich schaue mir wieder die gräuliche Sauce an und will mich immer noch nicht überwinden: «Ich kann jetzt nichts essen. Blutzuckerspiegel! Problem! Sie verstehen. Aber was ist das denn?»

«Nam chup yum.»

«Nam was?»

«Wait!» Er eilt zu einem Fischstand, kommt mit einem Zettelchen und einem Kugelschreiber wieder, ritzt ein paar Buchstaben in das feuchte Papier, streckt es mir hin. Ich verabschiede mich schnell und trage das Fetzchen mit zwei Fingern zum Markt hinaus auf die Strasse. Endlich hat es aufgehört zu regnen.

Für jemanden, der gerne den kulinarischen Abenteurer mimt, war das nicht eben eine Heldentat. Und die Begegnung, die Worte des Mannes lassen mich dann auch den ganzen Tag lang nicht los. Als ich am Abend wieder zu der kleinen Journalistengruppe stosse, mit der ich auf die Insel Phuket gereist bin, frage ich sogleich unsere Begleiterin Noi, ob sie Nam chup yum kenne. Ihre Augen beginnen zu leuchten und machen mir vollends klar, dass ich auf dem Central Market wirklich etwas verpasst habe. Sie erklärt mir genau, wie ihre Familie dieses Relish zubereitet, und sorgt dann dafür, dass bei unserem nächsten Restaurantbesuch eine kleine Schüssel davon vor mir auf dem Tisch steht. Es stellt sich heraus, dass es sich bei Nam chup yum um eine für die Insel Phuket typische Version von Nam phrik handelt, einer Kategorie von Relishes, Saucen, Pasten oder Dips, die zwar in Restaurants nicht allzu oft angeboten wird, tatsächlich aber so etwas wie den «weichen Kern der Thai-Küche» darstellt, wie der Koch David Thompson es beschreibt. König Chulalongkorn, der grosse Modernisierer des Landes, soll während seiner Reisen durch Europa wiederholt geklagt haben, wie sehr ihm Nam phrik fehle. Und die Kochbuchautorin Leela Punyaratabandhu ereifert sich: «Was wären die Thailänder ohne ihre Relishes? Ohne Nam phrik wäre ihr Leben sicherlich möglich, aber sinnlos.»

Die Thailänder stellen diese Dips seit Hunderten von Jahren aus einfachen, in der Regel sehr würzigen und scharfen Zutaten her, die sie im Mörser zusammenstampfen und traditionell mit viel Reis essen, der die Schärfe etwas mildert und den Hunger stillt. Es gibt Varianten ohne Ende, die alle eigene Namen haben und meist mit bestimmten Regionen im Land verknüpft sind. Heute wird Nam phrik auch oft mit rohem oder gedünstetem Gemüse aufgetragen. Das populärste dieser Relishes ist Nam phrik gapi, das aus Garnelenpaste, Knoblauch, Salz, Chilis, Zucker, Limettensaft und manchmal etwas Fischsauce, gerösteten Schalotten und Korianderwurzel besteht. Garnelenpaste (Gapi) gehört zu den wichtigsten Grundzutaten der Thai-Küche und ist in jedem Asia-Laden zu bekommen. Sie wird aus kleinen Garnelen gemacht, die gesalzen, fermentiert, getrocknet und schliesslich zerstampft werden. Gapi hat einen ungewöhnlich starken, würzigen Geruch, der bei den meisten wüste Grimassen provoziert. Die Kunst eines gelungenen Nam phrik besteht darin, dieses Aroma so mit anderen Zutaten zu umspielen, dass es als lecker empfunden werden kann – ohne dabei den Geschmack der Paste zu verwässern.

Nam chup yum wird nach einem ganz ähnlichen Prinzip zubereitet, wobei zusätzlich frische Garnelen in die Mischung kommen und die Limette manchmal durch Tamarinde ersetzt wird (was allerdings eine dunkelbräunliche, nicht sehr appetitliche Färbung bewirkt). Man sollte sich bei der Zubereitung dieser Sauce auch von seiner Intuition und dem eigenen Geschmacksempfinden leiten lassen – nicht zuletzt, weil sich die Garnelenpasten je nach Marke in Stärke und Aroma voneinander unterscheiden. Unter Umständen kann man der Sauce etwas mehr (geröstete) Zwiebel beimengen, mehr Zucker oder mehr Säure zugeben und sie, was laut Noi in Phuket gerne gemacht wird, mit ein bisschen Wasser oder Brühe verdünnen.

Auf Phuket wird Nam chup yum mit lauter ungekochtem Gemüse serviert, mit Schlangenbohnen, einer golfballgrossen Aubergine, Gurke, weisser Kurkuma, Flügelbohnen und zarten Kohlblättern. Hier in Mitteleuropa kombiniere ich das Relish mit rohem oder gedünstetem Saisongemüse aus der Region – und immer, wenn ich diesen scharfen, sauren, salzigen und ganz leicht süsslichen Dip mit einer Mischung aus Verwunderung und Begeisterung geniesse, verspreche ich mir, dass ich nie mehr ein kulinarisches Geschenk ausschlagen werde, bloss weil es etwas gräulich aussieht und mir von einem Mann mit schwarzen Zähnen hingeschoben wird.

Zutaten (für 2 Personen)

  • 3 Knoblauchzehen
  • 2 grüne Thai-Chilis, in Ringen, zum Zermörsern
  • ⅓ TL Salz
  • 7 g Garnelenpaste (Gapi), entspricht 1 TL gehäuft
  • ½ TL Zucker
  • ½ TL Limettenabrieb
  • 2 EL Limettensaft
  • 1 TL Fischsauce
  • 30 g rote Schalotten, in sehr feinen Streifen
  • 2 grüne Thai-Chilis in Rädchen
  • 2 rote Thai-Chilis in Rädchen
  • 50 g gekochte Garnelenschwänze
  • 1–2 EL Wasser, optional

Zubereitung (15 Minuten)

  • Knoblauch, 2 grüne Chilis und Salz im Mörser zu einer feinen Paste zerstossen. Je feiner man die Chilis zermanscht, desto schärfer wird die Sauce. Wer es weniger scharf mag, kann vor dem Mörsern die Samen aus den Chilis entfernen.
  • Garnelenpaste dazugeben und alles mit dem Mörser gut verrühren. Man kann die Paste vor dem Mörsern auch in Alufolie wickeln und einige Minuten im Backofen erhitzen, darf sie aber nicht verbrennen lassen.
  • Zucker, Limettenabrieb, Limettensaft und Fischsauce einrühren.
  • Schalotten, grüne und rote Chilis in Rädchen zugeben. Man kann die geschälten Schalotten vor Verwendung kurz über der Gasflamme anrösten, das verleiht dem Relish zusätzliches Aroma. Entfernt man die Samen aus den Chilis, wird die Sauce weniger scharf.
  • Garnelen quer halbieren, der Länge nach in flache Scheiben schneiden, zum Relish geben. Eventuell alles mit 1–2 EL Wasser ein wenig verdünnen, gut verrühren.


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