In keiner Fussballsendung diskutieren Experten so fundiert und locker wie in «Match of the Day». Das verdankt das Format Gary Lineker. Er ermöglichte früheren Profis eine erfolgreiche zweite Karriere vor der Kamera.
Bereits als Fussballer entsprach Gary Lineker aus dem kulturell vielschichtigen Leicester nicht der Norm. In seinen 16 Jahren als Profi erhielt der stets gut gelaunte Strahlemann in keinem Match je eine gelbe oder rote Karte. Obwohl es englische Spieler damals allenfalls vereinzelt ins Ausland zog, wechselte Lineker bereits in jungen Jahren zum FC Barcelona und beendete später seine Karriere in Japan.
Mehr noch als die vielen Tore für seine Vereine und die englische Nationalmannschaft blieben zwei Dinge von ihm in Erinnerung: Wie Lineker sich im WM-Halbfinal 1990 gegen Deutschland zunächst um seinen am Boden zerstörten Mitspieler Paul Gascoigne kümmerte, der nach seiner gelben Karte den Final wegen einer Sperre verpasst hätte. Und dann sein berühmtester Spruch nach der Niederlage der Engländer im Elfmeterschiessen jener Partie, als er sagte: «Fussball ist ein einfaches Spiel. Zweiundzwanzig Männer jagen 90 Minuten einem Ball nach – und am Ende gewinnen immer die Deutschen.»
Er überzeugte mit Einfühlungsvermögen und tiefer Fachkenntnis
Mit seinem Einfühlungsvermögen und seiner tiefen Fachkenntnis einerseits sowie seinem geschliffenen Humor und seiner pointierten Ausdrucksweise anderseits deutete Lineker bereits als Spieler seine Begabung für die später folgende zweite Laufbahn im TV an. Seit 1995 beeinflusst er mit diesen Fähigkeiten massgeblich die Sportberichterstattung in England, bei der BBC und später für sechs Jahre beim Pay-TV-Sender BT Sport, der seit kurzem unter dem neuen Namen TNT Sports läuft. Doch wie noch die schillerndste Karriere auf dem Platz geht irgendwann auch jene vor der Kamera dem Ende entgegen. Bei Lineker scheint das jetzt der Fall zu sein.
In einer gemeinsamen Erklärung gaben die BBC und Lineker am Dienstag bekannt, die Zusammenarbeit künftig zu reduzieren. Zum Saisonende wird Lineker nach dannzumal 26 Jahren als Moderator der BBC-Flaggschiff-Sendung «Match of the Day» abtreten. In der Saison 2025/26 wird der 63-Jährige nur noch die FA-Cup-Partien in der BBC präsentieren – und zum Abschluss die Fussball-WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko. Er wolle sich bei allen bedanken, die dies möglich gemacht haben, liess sich Lineker zitieren. Sein Verhältnis zum neuen Direktor von BBC Sports, Alex Kay-Jelski, soll nicht das Beste gewesen sein.
Über Linekers Abgang ist zuletzt immer wieder spekuliert worden, nachdem der Sender ihn im März 2023 wegen eines kontroversen Tweets zur britischen Asylpolitik vorübergehend abgesetzt hatte. Auch wegen der damals landesweiten Solidarität setzten beide Seiten das Engagement trotzdem fort. Lineker präsentierte weiterhin mit ehemaligen Fussballern die Spieltags-Höhepunkte der Premier League. Seine Berichterstattung mit den Kollegen suchte ihresgleichen, sie avancierte zum Vorbild für andere ehemalige Profis, die zu Experten wurden: Die Analysen waren tiefgreifend, die Meinungen fundiert und die Atmosphäre entspannt.
Der mediale Fussball-Boom verhalf Lineker zu riesiger Popularität
Die Harmonie in den Gesprächsrunden basierte auf dem Vertrauensverhältnis zwischen Lineker und seinen Gästen. Sie konnten sich trotz der gegenseitigen Frotzeleien darauf verlassen, dass dabei niemand schlecht wegkommt. Lineker widerlegte damit die Gesetzmässigkeit, wonach berühmte Fussballer nach ihrem Rücktritt kaum an ihre bisherigen Erfolge anknüpfen können. Vielmehr ermöglichte er seinen Kollegen, ihre zweite Karriere mindestens ebenso erfolgreich zu gestalten wie die auf dem Platz.
Das richtige Mass liess Lineker in seinen Einschätzungen nur selten vermissen. Am meisten Wirbel löste wohl eine Aussage an der vergangenen EM in Deutschland aus. In seinem Podcast «The Rest Is Football» sagte er nach dem Vorrundenspiel zwischen England und Dänemark (1:1), das Spiel sei «shit» gewesen – und suggerierte dem damaligen englischen Nationaltrainer Gareth Southgate Ahnungslosigkeit («War es taktisch unfähig?»). Später rechtfertigte er sich, er habe das Spiel selbst gemeint. Seine Kritik wirkte, als wollte er sein neues Projekt vermarkten. Nun kündigte die BBC an, Linekers Podcast fortan ebenfalls auszustrahlen.
Der mediale Fussball-Boom hat Lineker zu riesiger Popularität verholfen, seine solidarische Grundhaltung hat ihn vom Nationalliebling zum Nationalheiligtum gemacht. Das britische Magazin «Esquire» bezeichnete ihn einst als «Grossbritanniens liberale Stimme». Sein letzter von unzähligen erinnerungswürdigen TV-Einsätzen dürfte der WM-Final 2026 in New York sein.
Zum Abschied wird Gary Lineker sich wünschen, dass der Fussball ein einfaches Spiel sei, in dem zweiundzwanzig Männer 90 Minuten einem Ball nachjagen – und am Ende die Engländer gewinnen.