Sonntag, Oktober 27

Wenn eines der etabliertesten Lokale Zürichs schliesst, ist das Wehklagen gross. Doch am Beispiel des Niederdorf-Lokals «Oepfelchammer» muss niemand den Untergang der Schweizer Gastronomie festmachen.

Die Geschichte von Gottfried Kellers Stammlokal ist schon hundertfach erzählt worden. Wer sich interessiert für Literatur und die Entwicklung der Schweizer Gastronomie, weiss genau, dass sich der Autor des «Grünen Heinrich» einst in seinem Stammlokal einmal so lange aufhielt, dass er am nächsten Tag den Amtsantritt als Zürcher Stadtschreiber verpasste.

Solche Anekdoten freilich und ein museumsreifes Ambiente haben die Beiz im Niederdorf nicht davor bewahren können, ihre Schliessung anzukündigen. Betrübt teilten die Inhaber auf ihrer Website mit, dass der Betrieb leider nicht aufrechterhalten werden könne. «Für immer» beende das Restaurant seine Tätigkeit, man listet angedeutete Mietzinserhöhungen, Umbauten und fehlende Kostendeckung als Gründe fürs Aufhören.

Gastronomie muss den Zeitgeist treffen – und der ist selten berechenbar

Wer das Aus als schlechtes Omen nimmt, wer nun den Niedergang der Gastronomie Zürichs im Besonderen und Mitteleuropas im Allgemeinen herbeizitiert, liegt dennoch weitgehend falsch. Auch dann, wenn man andere Betriebe als Beweis heranzieht. In Zürich verkündete das «Kin» die bevorstehende Schliessung, in Winterthur wird der «Wein-Punkt» in absehbarer Zeit dichtmachen, auch anderswo werfen Wirte das Handtuch.

Doch es entstanden oder entstehen auch neue Projekte, ob höchst ambitioniert wie «The Counter», das im gerade erschienenen «Guide Michelin» sogleich mit zwei Sternen ausgezeichnet wurde, oder schlichter. Ehrwürdige Gasthöfe wiederum werden von jungen Paaren übernommen, wie man am Beispiel der «Burg» oberhalb von Meilen erkennen kann. Eigentlich nicht verwunderlich, dass andere dafür weichen müssen.

Das Problem mit dem Zeitgeist: Gäste konsumieren anders als früher

Mit dem Willen der Menschen, in unsicheren Zeiten mehr zu sparen als in Epochen, in denen weder Kriege noch Pandemien herrschen und die Wirtschaft boomt, ist die Geschäftsaufgabe etablierter Lokale nur teilweise zu erklären. Auch die Probleme bei der Rekrutierung von Mitarbeitern sind selten der alleinige Grund für das Aus.

Es ist vor allem das Konsumverhalten der Menschen, das sich ändert – stärker als in vielen zurückliegenden Jahren und unvorhersagbarer zudem. Die Pandemie dürfte sich langfristig auf die Art und Weise auswirken, wie sich Herr und Frau Schweizer treffen. Einige suchen nicht mehr im gleichen Masse wie früher das Zusammensein mit Fremden, manche meiden Innenräume. Dass auch der Alkoholkonsum zurückgeht, macht den Wirten zu schaffen. Ohne den Rausch bleiben viele halt weniger lange in der Beiz ihrer Wahl oder gleich ganz zu Hause.

Gute Lage, genaue Fokussierung und Mut zum Risiko

Dass ein Restaurant ohne Spitzenlage nicht existieren könnte, ist ein Märchen. Allein eine grosse Zahl an Vorübergehenden ist noch lange keine Garantie für Erfolg. Andererseits ist kaum zu leugnen, dass es Wirte im Umfeld der als Magnete wirkenden Grossstädte und Stadtquartiere schwerer haben als die im Herzen der Metropolen. Winterthurer etwa neigen dazu, zum Ausgang nach Zürich zu fahren, weshalb die eigene Gastronomie kaum Strahlkraft entwickeln kann – was wiederum das Geschäft der Etablierten schwächt.

Daraus zu schliessen, dass man besser immer nur das Bewährte anbieten soll, wäre aber falsch. Auf Nummer sicher zu gehen und bloss den millionsten Hamburger zu verkaufen, mag zwar für eine Weile funktionieren, stärkt aber kaum die gastronomische Wertigkeit einer Stadt und schädigt letztlich alle. Es muss eher darum gehen, Nischen zu entdecken, Mut zu Innovationen oder zeitgeistigen Konzepten zu finden und ein Scheitern einzukalkulieren. Was die «Oepfelchammer» angeht, so fühlten sich vielleicht einfach nicht mehr genügend Menschen angesprochen von den Themen Nostalgie und Historie – und das zweifellos überzeugende Essen konnte dieses Manko nicht ausgleichen. Wer liest heute schon noch Gottfried Keller?

Einige Restaurants mit viel Tradition bleiben bestehen – hoffentlich noch lange

Viele altehrwürdige Adressen konnten sich auf eine bestimmte Zielgruppe ausrichten, sind durch die Literatur bekanntgeworden – oder hatten vielleicht auch ein bisschen mehr Glück als die «Oepfelchammer».

Nicht nur um die «Kronenhalle» muss niemandem bange sein – dazu ist die Lage viel zu gut, der Ruhm zu gross – auch der «Kropf», die aufs Mittelalter zurückgehende Bierhalle, bleibt wohl noch länger erhalten. Dass man nach wie vor im «Grünen Glas» speisen kann, von Tatar bis zum Zürigeschnetzelten, ist eine reine Freude (und angesichts der etwas versteckten Situation nicht selbstverständlich). Und «Mère Catherine» wird, darauf wetten wir, noch in 20 Jahren Entrecôte mit hausgemachter Café-de-Paris-Sauce verabreichen.

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