Mir 32 Jahren erklimmt der Deutsche Marco Campanella im «Eden Roc» in Ascona die höchste Stufe, die der Gastroführer hierzulande bietet. Es ist eine Auszeichnung auch für die Gastronomie des Südkantons.
Man hatte die Sensation nur erahnen können: Wenn Gault-Millau einige Wochen vor der Bekanntgabe seiner Wertungen mit Bitte um höchste Diskretion den Ort der offiziellen Verleihung bekanntgibt, wissen Connaisseurs, dass dort jemand geehrt wird. Diesmal wurde nach Ascona geladen, wo die drei höchstdotierten Restaurants des Tessins stehen: 18 Punkte verzeichnen die Spitzenlokale der Fünfsternehotels «Eden Roc», «Giardino», dessen Küchenchef Rolf Fliegauf sich noch heuer nach 18 Jahren in die deutsche Heimat zurückzieht, und «Castello del Sole».
Gebeten wurde – Tusch! – ins edle «Eden Roc», dessen «La Brezza» der erst 32-jährige Marco Campanella führt, ein Deutscher mit italienischen Wurzeln. Er vollbringt das Kunststück, in zwei Landesteilen je zwei Michelin-Sterne und 18 Gault-Millau-Punkte zu halten – nämlich auch im Schwesterhotel «Tschuggen Grand» in Arosa, seinem Arbeitsplatz im Winter. Und nun wird er nicht nur zum «Koch des Jahres» der Schweiz ausgerufen, wie es die Einladung vermuten liess, sondern sogar auf 19 Punkte hochgestuft im «Eden Roc» mit seinem riesigen Garten direkt am See. Das Hotel erhält in der Wintersaison einen millionenschweren Umbau und wirtet deshalb zurzeit nur im «Marina Restaurant & Lounge», wo nun auch die Verleihung stattgefunden hat.
Die Suche nach dem Superstar
Urs Heller, Chef des zum Ringier-Konzern gehörenden Gault Millau Schweiz, preist unter anderem Campanellas «unglaubliche Saucen» und die Virtuosität im Kreieren veganer Alternativen. Hellers Aussage, sein Team fahnde seit fünf Jahren nach «Switzerlands next Superstar», könnte darauf schliessen lassen, dass diese Vergabe nur eine Marketinginstrument der auf Stars angewiesenen Maschinerie ist. Aber das soll die Leistung von Campanella, dessen Gattin Nicole Schneider als Gastgeberin fungiert, nicht schmälern. Fast schon legendär ist seine «Fingerfood Collection» — kleine Preziosen, die man unkompliziert ohne Besteck pickt –, er legt beispielsweise Aal in Coca Cola ein und ist ein grosser Liebhaber von Ravioli. Als Gault Millau ihn letztes Jahr zum «Aufsteiger des Jahres» des Tessins kürte, rühmten die Tester nebst seinem Genie seinen «grenzenlosen Fleiss». Vielleicht auch als Fingerzeig an die Generation Z, dass der Erfolg niemandem in den Schoss fällt.
Die Auszeichnung adelt nicht nur den Koch, sein Team und das Hotel, sondern auch das Tessin. Dieses mag als Sehnsuchtsort vieler Deutschschweiz seinen Charme durch formidable Risotti und charmante Grotti beziehen, die bis auf ein paar Edelvarianten nicht nach Punkten und Sternen schielen. Als Magnet für gutbetuchte Gäste bietet der Südkanton aber durchaus auch eine ansprechende Spitzengastronomie; er zählt bei einer etwas tieferen Einwohnerzahl als die Stadt Zürich immerhin mehr Lokale ab dem 16-Punkte-Niveau.
Wieder in die 16-Punkte-Kategorie steigt etwa die in der NZZ-Restaurantkritik heuer schon gerühmte Osteria dell’ Enoteca in Losone auf, wo der Koch Jacopo Rovetin und das Gastgeberpaar eine tolle Arbeit leisten. Weniger gut nachvollziehen können wir aufgrund unseres letzten Besuchs die 16 Punkte für das «Principe Leopoldo» in Lugano. Dafür stellen wir erfreut fest, dass auch Gault Millau auf die schöne Arbeit von Joao Antunes in der «Villa Emden» auf Brissago aufmerksam geworden ist und ihm 14 Punkte verleiht. Vielleicht entdecken die Tester nächstes Jahr auch «Osteria Bisnona» in Contone, wo Kira Ghidoni und ihr Team mit einer sehr zeitgenössische Regionalküche überzeugen.
Ein Stern über Schaffhausen
Was die übrige Schweiz betrifft, ist es ein bisschen wie bei der Rad-WM jüngst in Zürich: Es gibt mittlerweile so viele Kategorien, dass man schnell den Überblick verliert. Weiterhin überschaubar ist der erlauchte Kreis der höchstdotierten Köche des Landes, die nun wieder ein Septett bilden: Franck Giovannini in Crissier (VD), Tanja Grandits und Peter Knogl in Basel, Andreas Caminada in Fürstenau (GR), Philippe Chevrier in Satigny (GE), Heiko Nieder in Zürich) und Marco Campanella in Ascona.
42 Chefs sind in der neuen Ausgabe, die diese Woche in den Handel kommt, um mindestens einen Punkt herabgestuft worden, gegen 100 aber auch aufgewertet. Unter den 880 verzeichneten Adressen finden sich fast hundert neue, wie das der «Brasserie Süd» angegliederte «The Counter» im Zürcher Hauptbahnhof. Dort steigt Mitja Birlo, der letztes Jahr von Vals an die Limmat gezogen ist, gleich mit 18 Punkten ein. Dem gastronomisch etwas trüberen Winterthur beschert Alexander Bindig im formidablen «Trübli» endlich wieder einmal ein 16 Punkte, und Michael Dobler bekommt im «Rosa Pulver» 15 Punkte.
Mit ebenfalls 15 Punkten steigen in Zürich die Chefs zweier erneuerten Hotelrestaurants: einerseits im neuen «Marguita», mit dem das «Baur au Lac» sich eigentlich vom Fine Dining verabschieden will, andererseits in der «Savoy Brasserie & Bar» des «Mandarin Oriental Savoy», die in der NZZ-Restaurant diesen Frühling deutlich schlechter wegkam. Aber die «Mandarin Oriental»-Kette scheint ohnehin zu den Lieblingen von Gault Millau zu gehören: Er hat den Betrieb am Paradeplatz zum «Hotel des Jahres» erkoren – und zeichnet nun im Luzerner Pendant den Küchenchef Gilad Peled mit 17 Punkten aus. Das soll die höchste Note sein, die je in der Leuchtenstadt vergeben wurde.
Als Ehrenmeldung für Zürich geht die wichtige Auszeichnung «Gastgeberin des Jahres» diesmal an Ines Triebenbacher im dortigen «Igniv»-Ableger. Nicht vorenthalten sei der Leserschaft schliesslich ein Stern, der über dem Munot aufzugehen scheint. An der dem Tessin gegenüberliegenden Landesgrenze, in Schaffhausen, hat Gault Millau seine Deutschschweizer «Entdeckungen des Jahres» gefunden: 15 Punkte erhalten in der «Sommerlust». nun Dan Rodriguez-Zaugg & Alejandro Perez Polo, die in Barcelona im «Disfrutar» zusammengearbeitet haben, einem der höchstdotierten Restaurants der Welt.