Samstag, Oktober 5

Bezahlte Unterschriftensammler haben mutmasslich mehrfach betrogen. Wer jetzt sofort ein Verbot verlangt oder die Digitalisierung forcieren will, gefährdet die Demokratie erst recht.

Hässlich, aber wahr: Die direkte Demokratie ist käuflich.

Zwar kann man den Ausgang einer Volksabstimmung auch mit dem grössten Kampagnenbudget nicht abschliessend beeinflussen. Die Abstimmung an sich aber, die kann man tatsächlich kaufen. Wer genug Geld hat, engagiert eine Firma, die gegen Bezahlung Unterschriften für eine Volksinitiative oder ein Referendum sammelt. So kann jeder politisch interessierte Financier jeden Urnengang erzwingen, den er sich wünscht.

Dass entlöhnte Unterschriftenjäger nicht zwingend lupenreine Demokraten sind, konnte man ahnen. Trotzdem ist die Dreistigkeit frappierend, die nun sichtbar wird. Die Tamedia-Zeitungen haben publik gemacht, dass mehrere Verfahren wegen Wahlfälschung laufen. Mutmasslich wurden Unterschriften im grossen Stil und mit plumpsten Methoden erschlichen, gefälscht, kopiert, erfunden.

Sollte sich der Verdacht erhärten, müssen die Täter hart bestraft werden. Darüber hinaus aber ist von voreiligen Schlüssen dringend abzuraten. Die direkte Demokratie ist ein fragiles System. Nicht nur skrupellose Betrüger können ihr Schaden zufügen, sondern auch unüberlegte Reformen.

Dieselben Probleme wie in den 1930er Jahren

Im Raum steht vor allem die Forderung, das bezahlte Sammeln von Unterschriften zu verbieten. Das mag einleuchtend klingen, angesichts der Verfehlungen, die nun sichtbar werden, erst recht. Und doch ist die Sache zwiespältig. Was genau will man verbieten? Wenn der Gesetzgeber einfach nur den Sammelfirmen das Handwerk legt, provoziert er neue Probleme und Ungerechtigkeiten. Finanzstarke Akteure wie Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände oder Einzelpersonen könnten weiterhin Angestellte während der Arbeitszeit auf die Strasse schicken, um Unterschriften zu sammeln.

Und wer auch dies unterbinden will, kommt erst recht in Teufels Küche. Wie soll die Polizei herausfinden, ob ein Verbandsfunktionär während der Arbeitszeit Unterschriften sammelt oder in der Freizeit?

Angesichts des Zetermordios, das dieser Tage die Schlagzeilen dominiert, mag es erstaunen, aber eigentlich sind diese Probleme längst bekannt. Bereits in den 1930er Jahren hat sich der Bundesrat darüber echauffiert, dass die Gewerkschaften Arbeitslose gegen Bezahlung auf Unterschriftenjagd schickten. Das Wirken der «bezahlten Agenten» habe die «bedauerlichsten Folgen». Schon damals wies der Bundesrat warnend darauf hin, die Betrüger würden Namen von Briefkästen oder aus Adressbüchern abschreiben.

Doch man mache sich keine Illusionen. Es geht stets um dasselbe: um die Macht im Staat. Wird das Geschäft mit den Unterschriften verboten, wird es weniger Initiativen und Referenden geben. Im Vorteil wären etablierte Akteure wie Verbände oder Parteien, die genug Gefolgsleute oder Angestellte haben, die sie zum Sammeln losschicken können. Für neue Kräfte oder Ad-hoc-Komitees hingegen wäre der Zugang zur Urne erschwert. Die Chancengleichheit würde leiden.

Datenbank der politischen Gesinnung

Erst recht riskant ist eine zweite Idee, die bereits kolportiert wird: Wenn die Schweiz das Sammeln von Unterschriften vollständig digitalisieren würde, liessen sich Betrügereien vermutlich verhindern. Gemeint ist ein System, in dem Stimmbürger ihre Unterschrift direkt via Smartphone oder Computer abgeben (E-Collecting). Manche Betrügereien liessen sich damit wohl unterbinden.

Aber zu welchem Preis? Die Digitalisierung der direkten Demokratie birgt Risiken, die schwerer wiegen als die Fälschungen, die nun publik geworden sind. Das eine sind Fragen zu Sicherheit und Datenschutz. Der Staat müsste eine Plattform betreiben, auf der sichtbar wäre, wer welche Initiativen und Referenden unterstützte – eine nationale Datenbank der politischen Gesinnung. Keine verlockende Vorstellung.

Das andere sind die staatspolitischen Konsequenzen. Die Zulassung der E-Signatur würde tektonische Verschiebungen zwischen der direkten und der repräsentativen Demokratie bewirken. Es gäbe deutlich mehr Referenden und Initiativen, weil in der Mausklick-Demokratie plötzlich jede Online-affine Gruppe genügend Unterschriften sammeln könnte. Das liesse sich mit einer Erhöhung der Unterschriftenzahl einschränken, aber nicht verhindern.

Plötzlich jeder referendumsfähig

Im basisdemokratischen Utopia mag dieses Szenario verheissungsvoll klingen. In der Realität aber ist zu befürchten, dass die Handlungsfähigkeit von Bundesrat und Parlament weiter eingeschränkt wird. Schon heute wird oft beklagt, die ehemals gut geölte Kompromiss-Maschine in Bundesbern funktionierte nicht mehr richtig. Wenn mit E-Collecting die Zahl referendumsfähiger Akteure vervielfacht wird, macht dies die Suche nach tragfähigen Lösungen noch schwieriger, die Politik noch unberechenbarer. Von der Polarisierung ganz zu schweigen, die bei einer weiteren Verlagerung in den virtuellen Raum sicher nicht nachlässt.

Die direkte Demokratie ist wichtig, Bundesrat und Parlament sind es auch. Die Balance muss stimmen. Ein Verbot bezahlter Unterschriften würde die direkte Demokratie einschränken, und die Digitalisierung würde sie beschleunigen. Beide hätte unabsehbare Folgen.

Die Betrügereien krimineller Unterschriftensammler kratzen am Fundament der Schweizer Demokratie. Das ist schlimm. Deswegen überstürzt an diesem Fundament herumzuflicken, wäre noch schlimmer.

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