Donnerstag, Dezember 26

Eine ungewöhnliche Sammlung von Teekeramik im Museum Rietberg zeigt, dass die uralte Töpferkunst doch noch ganz neu erfunden werden kann.

Es ist ein bisschen wie mit dem Rad. Das Gefäss kann eigentlich nicht neu erfunden werden. Ein gut geformter Topf, Krug oder Becher, eine Vase, die ihrer Funktion als Behälter für Wasser und Blumen nachkommt: Das Prinzip ist gesetzt. Spielraum gibt es höchstens bei Volumen und Grösse. Mehr oder weniger bauchig oder schlank kann ein Behältnis sein. Die Töpferscheibe aber gibt seit Jahrtausenden die Richtung vor: Der Ton wird um ein leeres Zentrum aufgebaut und hochgezogen.

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Oder geht es doch noch anders? Eine Kabinettausstellung im Museum Rietberg präsentiert ein paar wenige, aber besonders ungewöhnliche Beispiele zeitgenössischer japanischer Keramik. Die Stücke stammen aus einer Sammlung von rund fünfzig Keramikobjekten des 20. Jahrhunderts, die 2022 dem Museum Rietberg vom deutsch-schweizerischen Mediziner und Pharmakologen Harald Reuter (1934–2022) und dessen Frau Liselotte Reuter (1934–2015) vermacht wurden.

Die Objekte sind dem japanischen Teegeschirr zuzuordnen. Aus unserer Sicht handelt es sich dabei zwar um Kunsthandwerk, in Japan wird zwischen bildender und angewandter Kunst aber nicht unterschieden. Dies sind Kategorien, die erst spät aus dem Westen übernommen wurden und für die genuin japanische Töpferkunst keine Bedeutung haben. Konkret: Eine Teeschale ist gleichwertig mit einer Landschaftsmalerei in Tusche oder einem kunstvollen Schriftbild japanischer und chinesischer Zeichen.

An eine solche Kalligrafie erinnert die ungewöhnliche Formensprache einer der ausgestellten Keramiken. Wie ein mit energischen Pinselhieben gemaltes Schriftbild mutet die Tonvase von Michikawa Shôzô (geb. 1953) an. Eine klassische Gefässform ist in dem asymmetrischen, dynamisch facettierten und unregelmässig von einer weiss-grauen Schlicker-Glasur überzogenen Objekt kaum zu erkennen.

Die tatsächlich vorhandene Hohlform des Tonkörpers und die Öffnung im oberen Bereich lassen die Funktion als Vase allerdings unangetastet. Gleichwohl setzt sich die skulpturale Gestaltung kühn über alle Gesetze einer klassischen Gefässform hinweg.

Schönheit des Schnitts

Die Extravaganz dieser Vase steht allerdings in keinem Widerspruch zur formvollendeten Teezeremonie Japans. Im Gegenteil: Die Vase setzt einen Kontrapunkt zur Harmonie des Ablaufs, in dessen Zentrum das Trinken einer Schale japanischen Matcha-Tees steht. Platziert in der Bildnische des Teeraums und vielleicht mit einer einzigen Blume bestückt, kann eine solche Keramik eine Atmosphäre konzentrierter Gegenwärtigkeit schaffen.

Das Museum Rietberg verfügt selber über einen traditionell japanischen Teeraum, in dem regelmässig Teezeremonien durchgeführt werden. Deshalb schätzt sich die Japan-Kuratorin Khanh Trinh glücklich, ihrer Abteilung, die bisher kaum über namhafte Beispiele japanischer Teekeramik verfügte, eine solche Schenkung eingliedern zu können.

Äusserst kontrastreich ist die gegenwärtige Präsentation insbesondere vor dem Hintergrund der museumseigenen Sammlung chinesischer Keramik: Mit der «Meiyintang»-Kollektion von Gilbert Zuellig beherbergt das Rietberg rund 600 Objekte von Weltrang. Die Stücke aus einer Zeitspanne von sechs Jahrtausenden machen deutlich, zu welch unübertroffener Perfektion es die chinesische Kultur in der Töpferkunst gebracht hat. In diesem Kontext muten die Kreationen japanischer Zeitgenossen aus der Sammlung Reuter besonders eigenwillig an.

Die Reuters sammelten Blumenvasen, Teebecher und Sakeflaschen in unterschiedlichen Formen, Strukturen und Farbigkeiten. Wobei das Verbindende der Sammelstücke namhafter Künstler und Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts das Skulpturale ist.

Repräsentativ für diese Vorliebe ist die jetzt ausgestellte Sakeflasche von Fujioka Shûhei (geb. 1947). Das ungewöhnliche Stück weist einen kantig-kubistischen Gefässkörper auf, der an Felsformationen erinnert. Fujioka scheint diese Keramik nicht wie üblich auf einer Töpferscheibe gedreht, sondern geradezu aus dem Tonklumpen herausgeschnitten zu haben.

Dabei griff Fujioka auf ein für japanisches Schönheitsempfinden wichtiges ästhetisches Konzept zurück: «Kire» – der Schnitt – trennt nach japanischer Auffassung einen Gegenstand gewissermassen von seiner Natürlichkeit ab. Gerade durch seinen technisch-künstlerischen Eingriff aber bringt der Künstler die innere Natur des Objekts zum Vorschein. Ein Gefäss, gegen den Strich geformt, offenbart erst wirklich, was das Wesen eines Gefässes ausmacht.

Wiederbelebung alter Traditionen

Mit seinem gewagten Wurf hat Fujioka zudem einer weit über tausendjährigen Töpfertradition neues Leben eingehaucht. Die Flasche ist in der Tradition der Iga-Ware gebrannt, einem der sechs «alten Öfen» Japans, der seit dem 8. Jahrhundert bekannt ist. Ein facettierter Sakebecher von Fujioka in der Ausstellung vermag das für Iga-Keramik charakteristische Glasurdekor der «drei Landschaften» besonders schön zu veranschaulichen.

Auf dessen Oberfläche entstand beim Brennen im offenen Feuer eine Ascheglasur mit ganz besonderen Effekten. Im Inferno der Feuersbrunst von weit über tausend Grad schmolz die auf dem Gefässkörper angehäufte Holzasche und verglaste zu smaragdgrünen «Edelstein»-Tropfen. Der direkte Kontakt des Tons mit den Flammen verlieh der Oberfläche ein warmes Orange, das an einen Sonnenuntergang erinnert. Hinzu kommt das Spiel dunkelgrauer und schwarzer Brandflecken.

Der Töpfer hat kaum Kontrolle über diese Effekte. Oft zerspringen ihm im Brand die schönsten Stücke. Allein langjährige Erfahrung bringt Meisterleistungen wie jene von Fujioka Shûhei hervor.

Bei diesen kreativen Erscheinungsformen zeitgenössischer japanischer Keramik hat man es gewissermassen mit der modernen Neuerfindung eines uralten Kunsthandwerks zu tun. Im rasanten Modernisierungsprozess Japans an der Schwelle zur Moderne diente die Rückbesinnung auf mittelalterliche Töpfertraditionen und damit auf vermeintlich traditionelle Werte nicht zuletzt der Bildung einer nationalen Identität.

Der Begriff einer eigentlichen Teekeramik wurde erstmals in den dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts geprägt. Damit ist eine ausserordentlich kreative und lebendige Keramiktradition entstanden, wie die Beispiele aus der Sammlung Reuter vor Augen führen.

Museum Rietberg, Zürich.

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