Donnerstag, November 28


ethischere Küche

Ausgerechnet eine Vereinigung Hunderter internationaler Hotels und Restaurants will sich für den Erhalt der biologischen Vielfalt der Meere einsetzen – indem sie Gästen den Verzicht auf gewisse Spezies schmackhaft macht.

Das Zungenbrechersprichwort muss umgeschrieben werden, nämlich in: «Fischers Fritz hat ausgefischt, es wird kein Fisch mehr aufgetischt!» Das ist die schlechte Nachricht für eine Milliarde Menschen, die ihren Eiweissbedarf vorwiegend aus tierischem und pflanzlichem Leben aus den Ozeanen unserer Erde decken. Auch für alle anderen, die sich regelmässig aus den Meeren bedienen. Gut hingegen für alles, was im Salzwasser schwimmt, taucht und auf dem Meeresgrund wächst.

Doch so weit sind wir nicht. Im Gegenteil. Ein Drittel sämtlicher Fischbestände ist überfischt, was heisst, dass die Fische vom Aussterben bedroht sind. Wer hingegen nicht ausstirbt, ist die Menschheit. Die erreicht bis 2050 die Zehn-Milliarden-Grenze, ihr Nahrungsmittelbedarf steigt simultan um fast 50 Prozent. Dies ist eine enorme Herausforderung. Vor allem, was die Meere und ihre Bewohner betrifft. Denn heute wird aus den nicht überfischten Beständen genauso viel entnommen, wie nachwachsen kann. Was nachhaltig ist, aber für die Zukunft auch bedeutet: Hier ist nicht mehr zu holen.

Genuss geht auch ohne blauen Tuna

Holger Bodendorf, Koch und Pächter des legendären Landhauses Stricker, holt mich in seinem schicken Maserati am Flughafen von Sylt ab. Holger ist der Inbegriff eines kochenden Promi-Hoteliers. Ich wette, mindestens eine seiner Schwiegermütter raunte ihrer Tochter bei seinem ersten Anblick dasselbe ins Ohr. Holger kennt auf der berühmten Insel jede Ecke, und jede kennt den Holger.

Er chauffiert mich über die Insel. «Hier wohnt der Jauch, dort Jürgen Klopp. Dort hat Dieter Bohlen sein Zuhause.» Schön, doch wegen der Cervelat-Promi-Dichte bin ich nicht hier. Relais & Château, die Vereinigung Hunderter Hotels und Restaurants weltweit, beging am 8. Juni den World Oceans Day. Die Chefköche der angegliederten Betriebe starteten dabei einen kollektiven Appell zum Erhalt der biologischen Vielfalt der Meere. Mit dem gleissenden Licht von total 370 Michelin-Sternen wird dieser nicht ungehört verhallen.

Doch sägen hier die Köche nicht an ihrem eigenen Ast, wenn sie bei Gourmets hochgeschätzte Arten wie Blauflossenthunfisch, Zackenbarsch oder Seeteufel von ihren Menukarten streichen? Bodendorf relativiert: «Einige dieser Arten werden mittlerweile erfolgreich gezüchtet. Aber klar, bei gewissen Spezies sind es wild gefangene Jungfische, die dann bis zur Schlachtreife hochgezüchtet werden, wie beim blauen Tuna oder beim besonders gefährdeten Aal. Da müssen wir unseren Gästen den Verzicht schmackhaft machen.»

Nachhaltigkeit ist auch ein bürokratischer Aufwand

Wir fahren durch Sylter Dörfer, deren reetgedeckte Häuser mich an einen Hobbit-Film erinnern. An den Meerwasserbecken der Sylter Royal-Austernzucht empfängt uns aber nicht Sauron, der Bösewicht aus der Ringe-Saga, sondern Christoffer Bohlig. Wie Sauron ein riesiger Kerl von einem Mann. Das muss die Luft hier sein. Oder die Austernproteine. Ich komme mir gerade etwas klein vor. Zügig schmeisse ich mir ein Dutzend der köstlichen Tiere ein, vielleicht lässt mich der Proteinschock an (physischer) Grösse aufholen.

Bohlig züchtet die Schalentiere unter Aspekten maximaler Nachhaltigkeit. Nicht nur, weil ihm die ausufernde Regulierungswut der deutschen Bürokratie gar keine andere Wahl lässt. Sondern auch, weil ihm seine Liebe zur grossartigen Natur und seine Verantwortung ihr gegenüber hier sein Arbeitsethos vorschreiben. Ich stelle mir angegraute Beamte in muffigen Büros vor, die sich wohl der kleinen Alltäglichkeiten der eigenen, wohlgeordneten Existenz bewusst sind, nicht aber des harten Alltags im Nordseewatt. «Für den TÜV-Stempel für einen selbstentwickelten Anhänger, der dank Rädern rollt, aber auch schwimmfähig ist, wirbelte ich unzählige Amtsstuben durcheinander», erzählt mir Christoffer Bohlig. Sauron lässt grüssen.

Vereinigung will bedrohte Arten wie den Aal aus den Küchen verbannen

Mauro Colagreco, Vizepräsident von Relais & Châteaux – er erkochte sich unter anderem im Restaurant «Mirazur» an der Côte d’Azur drei Sterne –, sagt, es sei dringend notwendig, Gästen die Arten zu servieren, die nicht überfischt seien oder die mit Rücksicht auf Umwelt, Tiere und Menschen verantwortungsvoll gezüchtet worden seien. «Als Vereinigung haben wir einen grossen Einfluss auf die globale kulinarische Kultur. Wir müssen unseren Gästen eine ethische Küche anbieten, die unsere Ressourcen respektiert. Als Köche können wir dazu beitragen, unseren Planeten zu bewahren: Es geht darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Unser Engagement für den Aal ist ein hervorragendes Beispiel; wir müssen unser Verhalten ändern, um Arten, die auf der Roten Liste stehen, zu retten.»

Wobei gerade der Aal ein Beispiel dafür ist, wie herausfordernd dieser Kampf gegen das Aussterben ist. In vielen Ländern kommt das Tier so regelmässig auf den Tisch wie bei uns Fondue moitié-moitié. In Japan etwa, wo sie es gar köstlich grillieren.

Holger serviert mir abends sein Oceans-Day-Menu. Sechs Gänge, alles aus dem Meer, nachhaltig angelgefischt oder aus einer Zucht. Es ist köstlich und zeigt: Es geht doch. Am nächsten Morgen – wir tauschen noch unsere Kochbücher aus, ein unerlässliches Ritual – fährt mich Holger an den Bahnhof. In seinem Kochbuch finde ich später Fotos, die ihn einem Rockstar gleich auf einer Harley in den Dünen zeigen. Was er irgendwie auch ist, nicht nur optisch. Denn jeder, der seine Popularität für hehre Zwecke einsetzt, verdient Bewunderung. Etwas mehr für den Artenerhalt als für den Erhalt des Verbrennermotors.

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