Unsere Leserin fragt sich, ob ein Zungenschaber wirklich nötig ist, um die Mundhygiene zu vervollständigen. Ulrich Saxer, Gründer der ersten Dentalhygieneschule der Schweiz, erklärt, wer davon profitiert.
Leserfrage: Mein Partner nutzt schon lange einen Zungenschaber. Ist das für die Mundhygiene wirklich wichtig?
Die regelmässige Zahnpflege ist eine Erfolgsgeschichte. Zähneputzen nicht vergessen, jeden Tag, nach jedem Essen. Das hat sich bewährt: Kinder haben heute 95 Prozent weniger Karies als noch vor fünfzig Jahren. Darüber hinaus sorgt ein regelmässiger Besuch bei der Dentalhygiene für eine gründliche Politur, so dass die Zähne glänzen. Die Zahnärzte hätten immer weniger zu tun, hört man manchmal. Wofür also noch einen Zungenschaber?
Tatsächlich kann er die Mundhygiene vervollständigen. Denn die Zunge wird bei der täglichen Reinigung sonst übergangen, obwohl sich auf ihr die meisten Bakterien tummeln.
Harmlose und nützliche Mitbewohner
In der Mundhöhle leben geschätzt 20 Milliarden Bakterien – sowie einige Pilze und Viren: ein Mikrokosmos aus 500 bis 700 verschiedenen Arten. Die meisten von ihnen sind harmlos und sogar nützlich: Sie wachsen eng nebeneinander und bilden dadurch einen dichten Biofilm, den krank machende Bakterien nur schwer durchdringen können.
Gelingt es ihnen doch einmal, kann es zu einem Ungleichgewicht kommen, in dem sich schädliche Bakterien stark vermehren. Manche Arten verursachen Karies, andere Zahnfleischentzündungen und wieder andere einen üblen Geruch.
Ulrich Saxer, Gründer der ersten Dentalhygieneschule in der Schweiz, erklärt: «Mit Zahn- und Interdentalbürste sollte man die Bakterienflora bei der allgemeinen Reinigung im Normbereich halten und dadurch sowohl Karies als auch Entzündungen im Zahnfleisch vorbeugen. Für Menschen, die Probleme mit dem Zahnfleisch haben oder die trotz ausgiebiger Zahnpflege noch Karies entwickeln, könnte ein Zungenschaber eine gute Option sein.» Der häufigste Grund, einer Person einen Zungenschaber zu empfehlen, sei aber Mundgeruch.
Übelriechende Bakterien
Es ist ein schambehaftetes Problem, über das nicht viel geredet wird. Dabei ist es relativ verbreitet: «25 Prozent aller Menschen leiden zu bestimmten Tageszeiten unter sozial inkompatiblem Mundgeruch; etwa 6 Prozent aller Personen ständig», schreibt der Zahnarzt Andreas Filippi in einem wissenschaftlichen Artikel.
Ältere Menschen sind häufiger betroffen als jüngere, Männer häufiger als Frauen. In den meisten Fällen sind gewisse Bakterienarten auf der Zunge schuld daran. Sie erzeugen in ihrem Stoffwechsel schwefelhaltige Verbindungen, die beim Ausatmen von den Mitmenschen als übelriechend wahrgenommen werden.
Mit dem Zungenschaber entfernt man den Belag, der sich auf der Zunge mehr oder weniger stark bilden kann. Er besteht aus abgeschilferten Hautzellen, Schleimstoffen und Bakterien. Mit zunehmendem Alter oder bei bestimmten Krankheiten geht der Speichelfluss zurück, dann wird die oberste Schicht auf der Zunge nicht mehr so gut abgestossen.
Der Belag wird dicker, und es sammeln sich mehr Bakterien an, insbesondere solche, die für ihren Stoffwechsel keinen Sauerstoff benötigen. Es sind vor allem diese, die übelriechende Schwefelstoffe herstellen. Menschen mit Zungenbelag haben eine bis zu 25-mal so hohe Bakteriendichte auf der Zunge. Das ist oft mit Mundgeruch verbunden.
Ab einem Alter von etwa 50 bis 55 Jahren empfiehlt Saxer einen Zungenschaber, sofern man Probleme mit Mundgeruch hat. Für Menschen mit tiefen Zungenfurchen kann dies schon früher ratsam sein, denn dort siedeln sich eher Bakterien an, die keinen Sauerstoff brauchen und übelriechende Schwefelstoffe produzieren.
Schallzahnbürste als Alternative
Empfohlen wird die Zungenreinigung ein- bis zweimal täglich. Dabei schabt man mit leichtem Druck drei- bis viermal von hinten nach vorn über den Zungenrücken. Für welches Modell man sich entscheidet, ist aus medizinischer Sicht irrelevant.
Man hat also die Qual der Wahl, denn es gibt die Geräte in verschiedenster Ausführung, vom einfachen elastischen Metallstab bis zu handlich geformten bunten Geräten aus Kunststoff. Man sollte das wählen, was einem am besten in der Hand liegt beziehungsweise was man besser über die Zunge ziehen kann.
Alternativ bietet sich auch eine Schallzahnbürste mit 44 000 bis 84 000 Bewegungen an. Denn diese erzeugt eine Hydrodynamik, mit der Bakterien auch aus den Zahnzwischenräumen und aus den Tiefen der Zunge gespült werden.
Gegen Mundgeruch werden auch Mundspülungen angeboten. Der Nachteil ist laut Saxer, dass sie in der ganzen Mundhöhle wirken und auch nützliche Bakterien eliminieren.
Sie haben auch eine Frage rund um Ernährung und Gesundheit? Schreiben Sie uns an wohlundsein@nzz.ch.