Freitag, Oktober 25

Nachrichtendienste müssen sich öffnen und kooperieren. Nur so können sie im technologischen Wettkampf mithalten.

Die NSA gilt als der geheimste Geheimdienst der USA. Die National Security Agency, die sich unter anderem mit der Überwachung von elektronischer Kommunikation beschäftigt, hatte deshalb den Übernamen «No Such Agency». Sinngemäss übersetzt: «Es gibt keine solche Behörde».

Doch diese Zeiten sind vorbei, denn die NSA sucht inzwischen die Öffentlichkeit. Vor wenigen Wochen hat sie sogar einen Podcast lanciert, in dem NSA-Mitarbeiter unter ihrem echten Namen über ihre Arbeit sprechen. In Anspielung auf den Übernamen heisst er «No Such Podcast».

In den Gesprächen geht es etwa darum, wie die elektronische Aufklärung (Sigint) der NSA mithalf, den Terroristen Usama bin Ladin zu finden. Oder warum IT-Sicherheit eine Frage der nationalen Sicherheit ist. Am Ende der Episode gibt es dann noch einen Hinweis darauf, wie man sich beim Geheimdienst auf eine Stelle bewerben kann.

Dass die NSA mit ihrem Podcast auch Fachkräfte ansprechen und für eine Bewerbung motivieren möchte, wird rasch klar. In vielen Folgen geht es auch um die menschliche Seite der nachrichtendienstlichen Tätigkeit. Zum Beispiel, wenn zwei Frauen beschreiben, wie sie zur NSA gekommen sind, oder wenn ein früherer Kadermitarbeiter schildert, wie er am Abend nach der Erschiessung Usama bin Ladins 2011 in Tränen ausgebrochen war.

Der Unterton des Podcasts: Die NSA ist ein einzigartiger Arbeitgeber mit einer sinnstiftenden Mission, einem grossen Teamgeist und einem attraktiven Arbeitsumfeld. Aus der «No Such Agency» soll eine nahbare Behörde werden.

Die Arbeit beim Geheimdienst hat Nachteile

Die neue Offenheit soll helfen, die nötigen Fachkräfte zu finden. Denn viele Nachrichtendienste tun sich schwer damit, geeignete Bewerber zu rekrutieren. Dem Bundesnachrichtendienst (BND) in Deutschland sollen Hunderte Mitarbeiter fehlen. Als Folge hat er im Frühjahr eine öffentlichkeitswirksame Kampagne gestartet mit Slogans wie «Wir suchen Terroristen (m/w/d) – finde sie mit uns». Parallel dazu gaben Mitarbeiter in den Medien anonym Einblick in ihre Arbeit.

In den USA kämpfen Geheimdienste damit, genügend Fachkräfte aus den sogenannten Mint-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, zu rekrutieren. Die vergleichsweise tiefen Löhne sind nur ein Faktor, der potenzielle Bewerber abschreckt. Eine Untersuchung der Nationalen Wissenschaftsakademien listete 2022 daneben auch den langwierigen Anstellungsprozess, die Restriktionen bei Reisen und Kontakten ins Ausland oder die Beschränkungen bei Aktivitäten im Internet auf.

Um mehr Bewerber anzuziehen, könnten Geheimdienste in Zukunft weniger streng sein bei der Sicherheitsprüfung. Einen entsprechenden Vorschlag machte die amerikanische Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) 2021 in einem Bericht, der 103 Empfehlungen umfasst, wie die Geheimdienste angesichts der technologischen Umwälzungen reformiert werden sollten.

Das CSIS rät den amerikanischen Nachrichtendiensten, sie sollten mehr Stellen schaffen zum Beispiel im technischen Bereich, die keine oder eine geringere Sicherheitsüberprüfung erforderten. Nicht alle Stellenbewerber könnten oder wollten das aufwendige Verfahren durchlaufen, damit sie auch für streng geheime Angelegenheiten zugelassen sind.

Gefragt sind KI-Experten und Atomphysiker

Dass Nachrichtendienste die Öffentlichkeit suchen, um Fachkräfte zu finden, ist nur Teil einer grösseren Entwicklung. In den vergangenen dreissig Jahren kam es zu einem radikalen Wandel. Die Geheimdienste haben ihre Spitzenposition in der technologischen Entwicklung verloren. Zusätzlich haben sie keine Vorherrschaft mehr im Bereich «intelligence», also beim Sammeln und Auswerten von Informationen. Private Firmen und Organisationen machen ihnen Konkurrenz.

Bis in die 1980er Jahre entwickelte die NSA noch die besten Computer. Diese Zeiten sind vorbei. Die Fortschritte im Bereich künstliche Intelligenz oder Quantencomputer kommen heute aus dem privaten Sektor. Dort findet auch die spannende Forschung statt.

Die neusten Technologien stehen zudem nicht mehr exklusiv den Sicherheitsdiensten zur Verfügung. Die privaten Firmen vermarkten sie weltweit. Praktisch jeder kann darauf zugreifen, egal, ob ein gegnerischer Staat, Kriminelle oder eine Terrororganisation.

Der globale Wettstreit zwischen China, Russland und den USA findet zunehmend im Bereich der Erforschung und Entwicklung neuer Technologien statt. Wer dort vorne liegt, hat einen strategischen Vorteil. Das gilt auch für die Geheimdienste dieser Länder, die mit neuer Technologie effizienter spionieren oder sich besser vor gegnerischer Spionage schützen können.

Die Nachrichtendienste müssen versuchen, mit den technologischen Entwicklungen mitzuhalten. Dazu brauchen sie Mitarbeiter mit dem entsprechenden Wissen. Jahrelang waren das zum Beispiel Physiker, die Irans Atomwaffenprogramm analysieren konnten, oder Ingenieure, die das Raketenprogramm Nordkoreas verstanden.

Heute sind zusätzliche Fähigkeiten gefragt. Die Analysten westlicher Geheimdienste müssen auch begreifen können, was China im Bereich künstliche Intelligenz oder Quantencomputer derzeit aufbaut. Diese Experten sind in der Privatwirtschaft ebenfalls gefragt.

«Das bedeutet eine grundlegende Änderung der Kultur»

Der technologische Wandel erfordert eine Öffnung gegenüber externen Partnern. Die Geheimdienste können die Herausforderung nicht mehr allein meistern. Sie brauchen Kooperationen mit dem zivilen Sektor. Das können Hochschulen und Forschungslabore sein, die ihre technologische Entwicklungen teilen, oder Startups und Tech-Unternehmen, die ihre Anwendungen zur Verfügung stellen.

Solche Kooperationen bedeuten für Nachrichtendienste einen Paradigmenwechsel. Der Chef des britischen Auslandgeheimdienstes MI6, Richard Moore, sagte es 2021 in einer Rede so: «Ich kann gar nicht genug betonen, was für eine grundlegende Änderung das für die Kultur, das Ethos und die Arbeitsweise des MI6 bedeutet.»

Traditionell habe man sich auf die eigenen Fähigkeiten verlassen, um jene Spitzentechnologie zu entwickeln, die für die geheimen Missionen nötig gewesen seien, sagte Moore. Das gehe nun nicht mehr. Der MI6 könne nicht mit der globalen Tech-Industrie mithalten. «Wir sollten stattdessen ihre Hilfe in Anspruch nehmen.»

Als Folge der technologischen Entwicklung haben die Geheimdienste ihre einzigartige Stellung im Informationsbereich verloren. Heute sind zahlreiche Informationen und Datensätze vorhanden, die auch für Privatpersonen und Organisationen verfügbar sind. Deshalb erlebt die sogenannte Open Source Intelligence (Osint) einen Höhenflug.

Bei Osint nutzen zum Beispiel Journalisten öffentlich verfügbare Daten wie Informationen aus sozialen Netzwerken oder GPS-Daten von Flugzeugen, um Analysen oder Nachforschungen durchzuführen. Das ermöglicht Erkenntnisse, wie sie vor einigen Jahren praktisch nur Geheimdiensten oder Strafverfolgungsbehörden möglich gewesen wären.

Die Machtverhältnisse verschieben sich durch die öffentlichen Daten – weg von staatlichen Behörden und hin zu kleineren Akteuren. Das Potenzial von Osint erkennen inzwischen auch die Behörden. Im März haben die USA erstmals eine Osint-Strategie für ihre Nachrichtendienste veröffentlicht.

Ein Bereich, in dem private Akteure bereits heute mehr wissen als Nachrichtendienste, sind die Aktivitäten im Cyberraum. Die Infrastruktur, die für Cyberangriffe oder Beeinflussungsoperationen genutzt wird, befindet sich weitgehend in privaten Händen. Besonders IT-Sicherheitsfirmen, welche ihre Software weltweit bei Behörden und Unternehmen im Einsatz haben, sehen gewisse verdeckte staatliche Aktivitäten im Internet besser als ein einzelner Nachrichtendienst.

Firmen wie Mandiant von Google, Crowdstrike, Sentinel One oder Microsoft können deshalb Cyberoperationen früh erkennen und oft auch einem ausländischen Geheimdienst zuordnen. Der deutsche Politologe Thomas Rid brachte es in einem Interview mit der NZZ so auf den Punkt: «Die Nachrichtendienste haben das Monopol auf die Spionageabwehr verloren.»

Die vernetzte Welt zwingt zu mehr Offenheit für Neues

Geheimdienste werden auch künftig geheim arbeiten. Doch können sie ihren Auftrag nicht mehr allein erfüllen – weil Informationen breit verfügbar sind, private Firmen die technologische Entwicklung vorantreiben und die Welt digital vernetzt ist. Die Nachrichtendienste haben Konkurrenz bekommen.

Für die westlichen Staaten ist die Herausforderung besonders gross. Ein autokratisches Regime wie China kann seine Forschungsinstitute und Unternehmen zur Kooperation verpflichten. In demokratischen Staaten ist das kaum möglich.

Der Ausweg ist Flexibilität. Genauso wie der technologische Wandel die Gesellschaft oder die Wirtschaft verändert, zwingt er auch Nachrichtendienste zu Anpassungen. Das mag schwierig sein in einer Kultur, die auf klaren Normen und strengen Regeln beruht. Doch die Alternative für die Nachrichtendienste ist, zunehmend Fähigkeiten einzubüssen. In einer Zeit der verstärkten Konfrontation zwischen den Grossmächten sind das schlechte Aussichten.

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